Auf Bermuda sitzt die Kanzlei Appleby, deren Daten geleakt wurden.

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Der US-Konzern Nike gibt in seinen Bilanzen nüchtern an, 12,2 Milliarden Dollar außerhalb der Vereinigten Staaten geparkt zu haben. Dieses Vermögen besteht aus Profiten, die im internationalen Geschäft gemacht wurden. In den USA ist ein Steuersatz von 35 Prozent auf Konzerngewinne vorgeschrieben. Eine Sonderregel erlaubt es Unternehmen wie Nike, erst Steuern in den USA zu zahlen, wenn das Geld ins Land geholt wird. Im Ausland bezahlte Steuern werden dabei angerechnet.

Um Investoren einen Überblick zu geben, rechnen einige Konzerne aus, was an Abgaben fällig ist, wenn das Geld nach Hause fließt. So auch Nike. Ergebnis: Auf die 12,2 Milliarden hatte der Konzern rund ein Prozent Gewinnsteuer außerhalb der USA bezahlt.

In der Disziplin Steuereffizienz hat Nike immer schon beeindruckt. Das Institute on Taxation and Economic Policy (ITEP), ein Washingtoner Thinktank, hat Wochen vor Veröffentlichung der Paradise Papers einen Bericht zu dem Sportartikelhersteller präsentiert.

Die Paradise Papers gaben dann einen einmaligen Einblick in die Mechanismen dahinter. Nike verkauft Schuhe in Europa über niederländische Gesellschaften. Händler erwerben die Artikel von Nike in Holland, ehe sie diese an Kunden verkaufen.

Geld geht auf Reisen

Ein großer Teil des Gewinnes, der mit dem Sportartikel gemacht wird, landet somit in den Niederlanden. Von dort geht die Reise weiter. Viele Markenrechte des Unternehmens werden von der Nike International Ltd. auf den Bermudas gehalten. Die niederländische Gesellschaft zahlt für die Nutzung dieser Rechte Lizenzen. Ein großer Teil der Gewinne fließt weiter und landet so auf den Bermudas, wo die Unternehmenssteuer bei 0,0 Prozent liegt.

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Mit den Panama Papers kam im Vorjahr eine neue Regulierungswelle gegen Steueroasen in Schwung.
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Zahlreiche Regierungen versuchen weltweit Strategien gegen aggressive Modelle zur Steueroptimierung zu finden. Wer sind dabei die Gewinner und die Verlierer, warum geht alles so langsam?

Um diese Fragen beantworten zu können, muss man die Vorgänge kennen. Daher kontaktierte der STANDARD den Leiter der Steuerabteilung eines großen österreichischenUnternehmens, um die Geschichte anschaulich zu machen. Weder die Firma noch der Name des Mannes – nennen wir ihn Herr Mayer – sollen in der Zeitung stehen. So lautet die Bedingung für das Gespräch.

Neugierige Steuerprüfer

In der Finanz gibt es eine eigene Abteilung, die Großprüfer, die großen Unternehmen auf die Finger schaut. Manchmal dauern die Steuerprüfungen Monate. Offshore-Gesellschaften sind das Erste, was dabei thematisiert wird, erzählt Herr Mayer. Die Steuerprüfer verlangen eine detaillierte Darstellung der Konzernstruktur. Bei Tochtergesellschaften, ob in Irland oder in den Niederlanden, müssen Zweck und Finanzflüsse dargestellt werden.

Unternehmen verstecken nicht wie Sportler, Künstler, Industrielle oder Diktatoren ihr Geld in Steueroasen. Kapital soll produktiv sein. Was Steueroptimierer bezwecken, ist, Gewinne in Länder zu schaffen, wo die effektive Steuerrate möglichst niedrig ist. Nach Irland zum Beispiel oder in die Niederlande, weil dort die Weiterleitung von Geldern in alle Welt fast zum Nulltarif erlaubt ist.

Profitturbo Lizenzen

Dazu dienen oft Lizenzgebühren, die konzernintern von einer Gesellschaft an die andere bezahlt werden. Lizenzen gibt es in vielen Formen: Franchiseunternehmen wie McDonald’s zahlen sie für die Nutzung des Markennamens. Für die Nutzung von Patenten können Lizenzen bezahlt werden, aber auch bloß für spezielle Produktionsverfahren oder Know-how. Bei Starbucks etwa war es üblich, für die Rösttechnologie Lizenzen zu zahlen. Solche Vorgänge sind per se weder illegal noch anrüchig.

Damit er starten kann, beauftragt Herr Mayer ein Beratungsunternehmen, in der Regel eines der Big Four – Deloitte, KPMG, Ernst & Young und PwC –, damit, eine Studie zu erstellen. Auf dieser Basis wird analysiert, wie viel ein Unternehmen ans Ausland bezahlen darf. Es gibt keine starren Regeln, aber Richtwerte.

Lukrative Markenrechte

Für Markenrechte sind Zahlungen von ein bis zwei Prozent des Umsatzes möglich, für Patente bis zu fünf Prozent. An dieser Stelle kommt die "aggressive Steuerplanung" ins Spiel. So lautet die Bezeichnung, wenn Konzerne bei Preisgestaltungen an die Grenzen des Möglichen gehen und sich nicht an Gegebenheiten im Konzern orientieren, sondern nur an Steueroptimierung denken. Wer gut und "sehr aggressiv" ist, schafft es, zehn Prozent des Umsatzes ins Ausland zu bringen, sagt Mayer.

Was das bringt, lässt sich beispielhaft darstellen: Unternehmen Y hat 1000 Euro Umsatz und macht 100 Euro Gewinn. In Österreich fallen 25 Euro Steuern an. Schafft Y fünf Prozent Lizenzzahlungen ins Ausland, schrumpft der Gewinn in Österreich auf 50. Die Steuerlast sinkt auf weniger als die Hälfte, auf zehn Euro.

Schwieriger Vergleich

Der Großprüfer und Steuergewerkschafter Manfred Kuster erzählt, wie die Finanz mit solchen Fällen umgeht. Seine Aufgabe ist es zu untersuchen, ob Transfers von Lizenzen ins Ausland rechtmäßig sind und ob die Höhe korrekt ist. Entwickelt ein steirisches Unternehmen an seinem Heimatstandort eine Technologie für die Produktion, kann es das Patent dafür nicht steuerrechtlich nach Irland transferieren.

Daher werden Firmenunterlagen durchforstet, um zu sehen, wo Forschung stattfindet. Für die Kontrolle der Preise nutzt Kuster Datenbanken wie Amadeus, die von einer Tochtergesellschaft der US-Ratingagentur Moody’s betrieben wird. Dort werden tausende Transaktionen zwischen Konzernen erfasst. So lässt sich vergleichen, was zwei fremde Unternehmen für eine Lizenz zahlen.

Globalisierung fordert Steuersystem

Ein Kernproblem ist, dass Vergleiche in vielen Fällen schwierig sind, jede Lizenz ist anders. Kuster sagt, dass die Zahl der aggressiven Steuersparer in den vergangenen Jahren unter österreichischen Unternehmen abgenommen hat. Dafür mitverantwortlich sind striktere Vorgaben der Industriestaatenorganisation OECD bei Preisgestaltungen.

Trumps früherer Chefstratege Stephen Bannon zählt zu den Nutznießern von Offshore-Konstruktionen.
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Globalisierung und die Prinzipien des internationalen Steuersystems sorgen aber dafür, dass in den meisten Fällen gar keine Lizenzen nötig sind, um Gewinne ins Ausland zu schaffen. Wer ein Microsoft-Produkt herunterlädt, sieht auf der Rechnung Microsoft Irland oder den US-Ableger, der Gewinn fällt nicht in Österreich an.

Wer bei Amazon kauft, schließt einen Vertrag mit der luxemburgischen Amazon EU S.à.r.l. Google bietet seine Dienste via Irland an. Es geht aber nicht nur um die digitale Ökonomie. Wenn lokal nur ein Vertrieb tätig ist, der die Produkte im Ausland einkauft, bedeute dies, dass Gewinne häufig nicht im Inland anfallen, wenn es dort keine Betriebsstätte gibt. Das ist der Fall bei Nike. So operieren aber alle großen multinationalen Unternehmen.

Mehrere Vorstöße

Im Steuerrecht wird nicht dort angeknüpft, wo der Kunde sitzt, sondern wo die Leistung wirklich oder vermeintlich "hergestellt" wurde. Solange an diesem Prinzip nicht gerüttelt wird, sind Änderungen schwierig. Die SPÖ schlägt aktuell vor, die Höhe von Lizenzzahlungen in Niedrigsteuerländer gesetzlich zu beschränken. Aber was, wenn gar keine Lizenzen verwendet werden oder Gelder zuerst in ein Hochsteuerland gehen und dann weitergeleitet werden?

In der EU wird daher aktuell hitzig über einen anderen Ansatz gestritten: Transparenz soll zur Waffe gegen extrem aggressive Formen der Steuerplanung werden.

Oft ist für die Öffentlichkeit nicht einsehbar, wohin Finanzströme gehen, welchen Zweck über die Welt verstreute Konzerngesellschaften verfolgen. Ohne solch ein Wissen ist es jedoch nicht möglich, eine echte Debatte darüber zu führen, ob Unternehmenssteuern zu hoch oder zu niedrig sind und wie groß die Schieflage durch Gewinnverschiebungen ist.

USA als Spaltpilz

100 Länder in der Industriestaatenorganisation OECD werden ab Mitte 2018 Konzerninformationen untereinander automatisch austauschen. Google muss in den USA an die Finanz berichten – in welchem Land welche Umsätze gemacht werden, wie viele Mitarbeiter es wo gibt, wie viele Steuern wo bezahlt werden. Die Berichte bekommt auch das Finanzministerium in Wien. Österreich wird die gleichen Infos über Red Bull schicken. Mit diesem Country-by-Country-Reporting soll die Finanz einen Überblick über alle Konzernverästelungen erhalten.

Dem EU-Parlament und der EU-Kommission geht das nicht weit genug. Sie plädieren dafür, die Informationen im Internet zu veröffentlichen. Dann könnten Wissenschafter und NGOs die Zahlen auswerten – die Informationen lägen am Tisch. Gestritten wird, was offengelegt werden soll. Die Kommission will nur Zahlen in Bezug auf EU-Staaten veröffentlichen. Das EU-Parlament unterstützt eine Offenlegungspflicht in Bezug auf alle Länder. Nur wenn klar wird, was auf den Caymans und den Bermudas verrechnet wird, sei Transparenz gegeben, argumentieren Politiker wie die SPÖ-Abgeordnete Evelyn Regner und Othmar Karas von der ÖVP. Zudem soll das Ganze für Töchter ausländischer Gesellschaften in der EU gelten.

Nachteile befürchtet

Dieser Vorschlag sorgt für Kritik in Paris bei der OECD. Durch die Veröffentlichung könnten europäische Unternehmen im Ausland unter Druck kommen. Die meisten europäischen Länder, besonders jene mit einer großen Exportindustrie wie Deutschland und Österreich, ziehen netto mehr Finanzströme aus dem Ausland an, die sie besteuern können. Wenn Daten offengelegt werden, könnte dies in anderen Teilen der Welt Begehrlichkeiten wecken, die bisher beim Steuerkuchen kaum zugreifen konnten.

Die Grafik zeigt, welche Steueroasen für welche Regionen von Bedeutung sind.

Der Experte der OECD für solche Fragen, Achim Pross, argumentiert zudem, dass Drittstaaten, etwa die USA, aus dem Country-by-Country-System aussteigen könnten, wenn ausländische Unternehmen von der EU zur Offenlegung verpflichtet werden. Damit hätten diese Konzerne einen Vorteil gegenüber ihrer Konkurrenz in Europa. Sie müssten den öffentlichen Druck weniger fürchten, weil ihre Steuersparmodelle geheim bleiben können.

Steueroase im Kommen

Das sorgt bei Fachleuten in Europa besonders im Hinblick auf die USA für Unbehagen, weil das Land in Steuerfragen derzeit als rücksichtslos gilt.

Die Paradise Papers zeigen nicht nur, wie Unternehmen Steueroasen nutzen, sondern auch Privatpersonen. Seit kurzem ist das global bisher größte Projekt angelaufen, mit dem künftig verhindert werden soll, dass Bürger Geld im Ausland vor der Finanz verstecken können. Ende September hat der automatische und grenzüberschreitende Austausch von Informationen zu Konten von Bürgern begonnen. 50 Länder sind dabei, auch Österreich erhielt vor kurzem erste Daten. Im kommenden Jahr kommen noch einmal 50 Länder dazu. Banken müssen den wirtschaftlichen Eigentümer hinter Konten feststellen.

Handelt es sich um einen im Ausland ansässigen Bürger, werden die Infos über Identität, Kontostand, Zinseinnahmen quer um den halben Globus geschickt. Versicherungen müssen Einnahmen aus Versicherungsprodukten melden, Broker über Vermögen berichten, die sie für ausländische Kunden verwalten. Ob das System funktioniert, hängt davon ab, wie kreativ Steuerberater dabei sind, Schlupflöcher zu konstruieren. Dazu kommt die Frage, ob Finanzbehörden diese Megamengen an Daten sinnvoll aufarbeiten können.

Extrawurst der USA

Sicher ist, dass Entwicklungsländer, denen die Kapazitäten in der Verwaltung fehlen, nichts von diesem Tausch haben werden. Sicher ist auch, dass die USA die Profiteure des neuen Systems sind. Die Vereinigten Staaten haben ein eigenes Modell entwickelt, um Daten über Konten ihrer Bürger zu erhalten. Sie haben mit dutzenden Staaten wie Österreich Abkommen geschlossen. Erst dieser US-Druck hat dazu geführt, dass der globale Datentausch in Gang gekommen ist.

Allerdings: Die Vereinigten Staaten beteiligen sich nicht am internationalen Modell, sie achten nur ihre separaten Vereinbarungen. In diesen steht zwar, dass der Austausch wechselseitig sein muss. Doch die dafür notwendigen Gesetze hat der Kongress nicht beschlossen. Welche Daten Österreich bisher aus Washington bekommen hat? "Keine", heißt es im Finanzministerium in Wien.

Der intransparenteste Finanzplatz ab kommendem Jahr sind die USA selbst. (András Szigetvari, 12.11.2017)