In der DDR war die dänische Krimikomödien-Serien "Olsenbande" ein großer Erfolg. Darin plante die Bande beziehungsweise ihr Chef in jeder Folge einen neuen großen Coup, der dann aus mehr oder weniger trivialen Gründen regelmäßig, also planadäquat, scheiterte. In der DDR soll der wiederkehrende Satz "Ich habe einen Plan" zum Running Gag geworden sein, wusste man dort doch nur zu gut Bescheid, dass die verkündeten Fünfjahrespläne ziemlich auf Sand gebaut, sprich Fake, gewesen sind.

Die Planwirtschaften der Gesellschaften im Einflussbereich der Sowjetunion sind gescheitert, aus verschiedenen Gründen, nicht nur aufgrund der Unfähigkeit stalinistisch-leninistischer Ideologen. Aber sie haben die gesellschaftliche Planung in Verruf gebracht. Allerdings stellt sich immer wieder heraus, dass auch die kapitalistische Produktionsweise der vielfach verteufelten Planwirtschaft nicht viel nachsteht. Die Behauptung, dass der Markt alles und der Plan nichts sei, glaubt sowieso niemand mehr. Und auch die empirische Erfahrung im betriebswirtschaftlichen Alltag lehrt uns etwas anderes. Jedes neue Start-up-Unternehmen benötigt einen Businessplan, egal ob es Risikokapital verbrennen oder eine staatliche Förderung in Anspruch nehmen möchte. Das Kapital ist ein scheues Reh, und ohne Vorsichtsmaßnahmen, sprich ohne Vorsorge vulgo Planung, bewegt sich da überhaupt nichts.

Pläne können von großen Projekten bis zu kleinen, persönlichen reichen. Pheobe aus der Serie "Friends" hat weder Plan A noch B parat.
Foto: Warner Bros.

Vom Flughafen zum Eigenheim

Für größere gesellschaftliche Projekte wie den Berliner Flughafen, aber auch jede Eigenheim-Modernisierung sind Pläne ein zentrales Kommunikationsmedium zwischen Bauherren sowie Ausführenden. Die Logistikketten der Just-in-Time-Produktion sind ohne punktgenaue Planung nicht denkbar. Staus, Lieferengpässe oder gar Streiks machen das Planen jedoch zu einem Risiko. Die postfordistische Regulierung im kognitiven Kapitalismus zeichnet sich durch die Externalisierung von Risiken aus. Planung verkommt hier zum Abwälzen von Unsicherheiten auf die schwächsten Marktteilnehmenden. Das mögen kleine Unternehmen oder eben der einzelne Verkäufer sein. Gemäß der Devise "Ihr aber tragt das Risiko" zeichnet sich das freie (angeblich ungeplante) Spiel der Kräfte durch eine kaum mögliche Planungssicherheit für die ohne ökonomische, soziale oder kulturelle Verhandlungsmacht ausgestatteten einzelnen Akteuren oder Klein- und Mittelunternehmen aus. Unternehmensberater haben häufig keinen Plan, sondern vor allem die Funktion, bereits feststehende bestimmte Einschränkungen und Rationalisierungen durchzusetzen.

Wie Pläne hingegen zu einer Lachnummer verkommen, zeigen die Fahrpläne der Deutschen Bahn. Gerechterweise sollte man aber auch die Flugpläne im europäischen Luftverkehr erwähnen, weil deren Unpünktlichkeit der des Bahnverkehrs in nichts nachsteht. Aber Planungssicherheit gibt es hier nicht mehr. Die spannende Frage ist vielmehr, ob der verspätete Zug schon so spät kommt, dass er pünktlich zum nächsten Abfahrtszeitpunkt da ist. Aber das hat mit Planen kaum mehr etwas zu tun. Das ist ein großes gesellschaftliches Experiment zur Einübung von Gelassenheit als neuer Sekundärtugend – Pünktlichkeit erscheint nur noch für einen Teil der Bevölkerung.

Tücken und Täuschung

Diese Entwicklung sagt noch nichts über die Qualität von Plänen. Auf der Ebene von Großprojekten steht ein Plan in erster Linie für die Durchsetzung von Entscheidungen. Die Tücken des Objekts hingegen werden bei Projekten wie Stuttgart 21 bereits mutwillig verschwiegen. Tatsächlich wissen alle Beteiligten, dass die Dinge so ausgehen, wie sie ausgehen. Das wiederum ist so sicher wie das Amen in der Kirche, das immerhin noch einigermaßen voraussehbar ist.

Verschwörungstheorien sehen auch überall gezielte Planung zum Zwecke der Täuschung. So zuletzt die Fata Morgana des "großen Austauschs" seitens der FPÖ und ihrer Vorfeldtruppe, der Identitären. Darin wollen die europäischen Eliten angeblich die christliche gegen eine muslimische Bevölkerung austauschen. Diese Machinationen sind die Planspiele für die kommenden ethnischen Säuberungen (O-Ton FPÖ: "Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist").

Stadtpläne sind zum einen für die Orientierung wichtig, zum anderen geben sie tiefere Einblicke in die Stadtentwicklung.
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Pläne sollen Sicherheit geben und Unsicherheiten absichern, aber auch Gewissheiten ins rechte Licht setzen. Individuelle Sicherheit gibt es aber kaum noch. Für die Subjekte beziehungsweise die Individuen ist die "Anarchie" und Unplanbarkeit quasi zum Normalzustand geworden. Für die soziale Reproduktion der Eliten bedarf es keines Planes – das funktioniert auf der Grundlage sozialer Reproduktionsmechanismen, die niemand anordnet, sondern die hinter dem Rücken der Subjekte wirken. Dafür stellt die Soziologie eine ganze Reihe von theoretischen Überlegungen zur Verfügung. Mir erscheinen nach wie vor das Habituskonzept von Bourdieu oder das Konzept der alltäglichen Lebensführung Erklärungen für das subjektive Handeln ohne Plan zu liefern, aber vermittelt durch objektivierbare soziale Strukturen. Insofern muss jede neoliberale Argumentation, die einen Plan als zu einengend verwirft, die Frage nach dem "Hidden Script" beantworten.

Kurzfristige Planung

Die Frage nach dem Plan, der Planung oder der Planbarkeit ist kulturanalytisch betrachtet nicht nur als gesellschaftliche Dimension von Belang, sondern eben auch auf der Ebene von Akteuren oder, genauer, von Subjekten. Im Kontext der Proteste sozialer Bewegungen hat sich meiner Beobachtung nach auch eine punktuelle Kurzfristigkeit durchgesetzt. Statt mit Protesten von Bewegungen haben wir es mit Protesten zu tun, die sich als zeitlich beschränkte Projekte charakterisieren und aufgrund ihrer Selbstbegrenzung potenziell mehr Menschen adressieren. Das ist ein veränderter Typus von Protest, der von Technokraten wie von Regierenden kaum vorhergesehen und eingeplant werden kann. Wer hätte denn im vergangenen Oktober geglaubt, dass sich mit der Parole #FridaysforFuture eine globale Schülerbewegung durchsetzt? Regierungen, Bürokraten und Technokraten, allesamt Magier des Plans, haben keinen Plan, wann und wo sich welcher Protest zu artikulieren beginnt.

Die gegenwärtigen Formen gesellschaftlicher Differenzierung – andere sprechen von Individualisierung – bedingen für einen großen Teil der Bevölkerung die Unplanbarkeit ihrer Lebensläufe. Im Übergang von der Disziplinargesellschaft zur Kontrollgesellschaft werden die eingeübten Muster von Herrschaft abgelöst. Internalisierte Formen der Selbstkontrolle sind jetzt weniger fix(iert), sondern werden von Mustern der Kontrolle (zum Beispiel lebenslanges Lernen) abgelöst, die nicht mehr feststehende Werte und Normen exekutieren. Vielmehr wird ein ständiges "In-Bewegung-Sein" beziehungsweise sich selbst "In-Bewegung-Halten" als normatives Ideal für ökonomisches, soziales und kulturelles Handeln propagiert. Offenheit, Unwägbarkeit und Bewegung an sich sind nunmehr der Plan.

Die Fantasien, die auf die befreiende Wirkung von Entgrenzungen aller Art fokussieren, müssen sich mit der Frage der Implikationen, Konsequenzen oder Kollateralschäden beschäftigen. In welcher Weise dann bestehende Pläne reformuliert werden, ist ein anderer Punkt, bei dem Aspekte des verantwortungsvollen Umgangs mit Ressourcen genauso berücksichtigt werden müssen wie die Frage, welche Folgekosten (nicht nur ökonomisch gedacht) diese Planlosigkeit oder Freiheit hervorruft. (Klaus Schönberger, 18.7.2019)