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Der Sand wollte seine Stadt begraben, der Sand wollte sich einen Weg zwischen Zahnräder und Kolben bahnen, bis die Geräte auseinanderfielen. Der Sand bezahlte seine tägliche Wasserration, wenn er genug davon aus der Grube hinaus zu den Dünen schleppte. Wo er am nächsten Tag weiter nach Westen geweht werden würde. Er würde nach Westen fliegen, während aus dem Osten neuer Sand kam, um ihn zu ersetzen. Ein Körnchen für jedes Körnchen. Gerechter Handel.

Es ist ein veritables Sisyphus-Szenario, das der mit seiner "Silo"-Reihe bekannt gewordene US-Autor Hugh Howey hier beschreibt. Tagtäglich müssen seine Romanfiguren die Quellen, von denen das Überleben ihrer Siedlung abhängt, freischaufeln. Der herbeigewehte Sand strömt so unerbittlich nach, dass er neue Berufe hervorgebracht hat: Sandkriecher heißen die, die mit Kübeln den Sand abtransportieren. Und Pflücker diejenigen, die die Holzplanken, über die die Sandkriecher laufen, regelmäßig hochziehen müssen – ansonsten würden auch die in den Dünen versinken.

Wann und wo

Wir befinden uns offenbar im Westen der USA, auch wenn dies nie explizit ausgesprochen wird – vermutlich weil die Vereinigten Staaten ohnehin schon lange nicht mehr bestehen. Wie viel Zeit zwischen unserer Epoche und der von "Sandtaucher" vergangen ist, bleibt unklar. Genug jedenfalls, um neue politische Verhältnisse und sogar neue Mythologien hervorzubringen: So ist zum Beispiel ein Sternbild nun als "Schwert des Kriegers Colorado" bekannt. Schauplatz im engeren Sinne ist die Stadt Springston, die durch einen Betonwall vor dem heranrückenden Sand geschützt ist – auch wenn sich alle fragen, wie lange noch.

"Sandtaucher" ist als Familiengeschichte angelegt, und die betreffende Familie ist tief gefallen. Einst gehörte sie zur Oberschicht von Springston, doch nach dem Verschwinden des Vaters lebt der Rest in einem Slum am Stadtrand. Die Mutter prostituiert sich und scheint sich nicht um ihre Kinder zu scheren (später wird sie allerdings noch in ein verständnisvolleres Licht gerückt werden), während Tochter Vic und der älteste Sohn Palmer ihren Lebensunterhalt durch Bergungsmissionen in der Wüste bestreiten. Der mittlere Sohn Conner, der sich zugleich um den Jüngsten, Rob, kümmert, ist der Einzige, der die Familie noch irgendwie zusammenzuhalten versucht.

Die Sandtaucher

Stichwort Bergungsmissionen: An dieser Stelle kommt das eigentliche Phantastik-Element des Romans ins Spiel. Da die alte Welt – zumindest in der Region, auf die wir uns hier konzentrieren – unter kilometerhohen Dünen begraben liegt, braucht es eine spezielle Technologie, um an ihr kostbares Erbe zu gelangen. Die Sandtaucher des Titels können dank ihrer Spezialanzüge (Infraschall-?)Kraftfelder projizieren, mit denen sie den Sand auflockern und lenken. Eine spezielle "Sandsicht", die von der Festigkeit abhängige Falschfarbeneindrücke der Umgebung vermittelt, gibt es auch.

Unterm Strich ist es wohl eher eine magische als eine machbare Technologie. Nichtsdestotrotz liefert sie (buchstäblich) atemberaubende Passagen ab, in denen Palmer zu den Ruinen des sagenhaften Danvar – Denver vermutlich – abtaucht und dort eine unerfreuliche Überraschung erlebt. Später wird die Technologie noch für ganz andere Verwendungszwecke adaptiert werden, die Fremen von Arrakis würden Bauklötzer staunen!

Spannung und Besinnung

Im Lauf der Lektüre werden sich einige Fragen anhäufen, die für Spannung sorgen: Was befindet sich im berüchtigten Niemandsland östlich von Springston, warum ist von dort andauernder Donner zu hören, und warum ist niemand jemals aus diesem Niemandsland zurückgekehrt? Was wollen die Banditen, denen sich Palmer angeschlossen hat, wirklich in Danvar finden? Und wer ist für die Bombenattentate verantwortlich, die Springston seit Jahren in Atem halten?

Action ist also ausreichend gegeben, Howeys eigentlicher Fokus liegt aber auf seinen Figuren. Jede davon wird über ihre Gedanken, Worte und Werke zum plastischen Charakter. Ein schönes Beispiel dafür sind etwa Conners Bemühungen, die Familie zu ihrer alljährlichen Gedenkzeremonie zusammenzubringen. Und doch muss er mitansehen, wie einer nach dem anderen fernbleibt, bis er schließlich mit Rob alleine dasteht. Howey erzählt einfach, aber eindringlich. Er bleibt wie schon in früheren Werken an der Grenze von Young Adult und "Erwachsenenliteratur" – und wie früher schützt YA seine Protagonisten nicht davor, schwere Prüfungen auferlegt zu bekommen.

Einen mehr! Einen mehr bitte!

Wie schon einst "Silo", so ist auch "Sand" ursprünglich als Reihe einzeln veröffentlichter Novellen erschienen, fünf an der Zahl. Die deutschsprachige Ausgabe hält sich an die nachträglich veröffentlichte Omnibus-Edition. Und es ist gut, dass für uns das Ganze in einem Rutsch daherkommt. Denn Howey wechselt zwischen den einzelnen Episoden die Hauptfigur, zudem enden gleich die erste und die zweite mit einem Cliffhanger – da hätte mich die Wartezeit beim ursprünglichen Veröffentlichungsmodus doch etwas genervt.

Ob der eigentliche Schluss dann jeden befriedigen wird, sei dahingestellt. Zwar kommt es in Teil 5 zu einigen gravierenden Ereignissen – da Howey in "Sandtaucher" aber gänzlich auf Infodumps zum globalen Kontext verzichtet, lässt sich kaum abschätzen, welche Folgen diese Ereignisse für die Zukunft nun wirklich haben werden. Gefühlsmäßig fehlt hier ein sechster Teil, der das nur vage Angedeutete zu einem wirklich runden Schluss bringt. Ansonsten ein tolles Buch und wieder mal ein typischer Howey.