In den großen Städten der Volksrepublik – zu sehen ein Louis-Vuitton-Shop in Wuhan – wird Reichtum zur Schau gestellt, während viele Millionen Chinesen nur knapp über der Armutsgrenze leben.

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Ein pinker Lamborghini, der sich durch die engen Gassen Schanghais quetscht und der dann von einem älteren Herrn in Uniform eingeparkt wird, weil der oder die Fahrerin das Navigieren in und aus Parklücken noch nicht so gut beherrscht – kein seltener Anblick in Schanghai. Auch die Dichte an jungen Frauen in Burberry-Mänteln und mit Louis-Vuitton-Taschen ist in den angesagten Vierteln Schanghais höher als in Paris oder London. Die Corona-Pandemie hat diesen Trend nochmals verstärkt. 45 Prozent aller Luxusgüter weltweit werden derzeit an chinesische Konsumenten verkauft. 2019 waren es noch 37 Prozent. Und doch fürchten die Luxusunternehmen dieser Welt gerade nichts mehr als die Entwicklungen in China.

Laut einer Studie der Investmentbank Jefferies ist die Gruppe der Luxuskonsumenten ziemlich klein: Rund 110.000 Personen sind für ein Viertel aller Luxuskäufe verantwortlich. Und deren Shopping-Wut will Peking jetzt begrenzen. Man werde in Zukunft "exzessiv hohe Gehälter regulieren und Gruppen mit hohen Einkommen dazu motivieren, der Gesellschaft mehr zurückzugeben", hieß es aus Peking.

Der chinesische Staatspräsident hat außerdem ein neues Credo ausgegeben: "Gemeinsame Prosperität" lautet die neue Devise nun, die das "Einige sollen zuerst reich werden" ersetzt.

Neues Credo

Letzteres war das Credo Deng Xiaopings Anfang der Achtzigerjahre, der damit die Öffnung der chinesischen Volkswirtschaft einleitete. Damit wischte der Vorsitzende der kommunistischen Partei Chinas auch erst einmal alle kognitiven Dissonanzen beiseite, die viele Chinesen angesichts eines kapitalistischen Treibhauses mit formell kommunistischer Führung hatten. Solange alle reicher wurden, war es eben schon okay, wenn einige sehr schnell sehr reich wurden.

Lange hat dies kaum einen Chinesen gestört. Die Ungleichheit im Land aber nahm zu und hat, je nach Betrachtungsweise, drastische Ausmaße angenommen. Offiziell liegt der Gini-Koeffizient, der die Wohlstandsverteilung eines Landes mit Werten zwischen null (völlig gleich) und eins (maximale Ungleichheit) bei 0,46. Andere Studien aber gehen von einem Wert von 0,66 aus. Zwar lebt seit vergangenen Jahr offiziell kein Chinese mehr in absoluter Armut. Millionen von Menschen führen aber eben auch ein Leben nur knapp oberhalb der Armutsgrenze. Auf der anderen Seite sieht man in den Städten an der Ostküste immer wieder sagenhaften zur Schau gestellten Reichtum – so etwas wie calvinistische Ethik der Zurückhaltung existiert in der Volksrepublik nicht.

Luxusunternehmen, für die China seit Jahren der am stärksten wachsende Markt ist, fürchten die neue Devise bereits: Die Aktien der Unternehmen LVMH, Hermès, Kering, Richemont und Burberry haben seit Bekanntgabe des Credos knapp 60 Milliarden US-Dollar an Marktwert verloren.

Branchen unter Druck

Noch ist unklar, was sich konkret hinter der "Gemeinsamen Prosperität" verbirgt. Tatsache aber ist, dass in den vergangenen Monaten einigen Sektoren an den Kragen gegangen ist, die Präsident Xi Jinpings stetigen Machtausbau im Wege stehen. Zuerst bekam das im Herbst vergangenen Jahres der Gründer des Alibaba-Konzerns, Jack Ma, zu spüren, der für einige Monate von der Bildfläche verschwand.

Als er wieder auftauchte, war der einst so schillernde Milliardär still geworden. Kurz darauf wurden die mächtigen Techkonzerne des Landes, darunter Tencent und Didi, wegen ihrer Datensammelwut zurechtgewiesen (die Daten sammelt jetzt die Regierung selbst). Und im Sommer landete die Ausbildungsbranche im Visier der Regulatoren: Private Bildungsangebote wurden massiv eingeschränkt. Und schließlich ging es am Montag gerade der Gaming-Industrie an den Kragen: Junge Chinesen sollen nur noch für drei Stunden am Tag online spielen dürfen.

Investoren verschreckt

Anscheinend aber fürchtet man in Peking derzeit, mit dem neuen Credo ausländische Investoren verschreckt zu haben. In der vergangenen Woche ruderten die Staatsmedien etwas zurück: Die Reichen auszurauben, um es den Armen zu geben, sei nicht das Ziel, hieß es aus dem Finanzministerium. (Philipp Mattheis aus Peking, 4.9.2021)