Der Bioladen Nets.werk in Steyr versorgt mich mit fair bezahlten Orangen vom Peloponnes, würzigem Bio-Schafkäse aus der Region und deftiger Agitation gegen Impfungen. Der Gründer des Bionetzwerks mit mittlerweile 19 Standorten, Gerhard Z., macht auf seiner Webseite kein Hehl daraus, von Impfungen nicht viel zu halten. Von der "Megademo" gegen die "2G-Impfapartheid" am 20. November war Z. offenbar schwer und positiv beeindruckt. Hie und da empfiehlt der Biopionier auch impfapokalyptische Beiträge des oberösterreichischen Internetsenders Auf1. Der Anchorman dieses neurechten Kanals, Stefan Magnet, hat eine gut dokumentierte Vergangenheit mit allerlei Spuren ins Neonazimilieu. Vor dem graust dem Bioladen offenbar weniger als vor den Eiern unglücklicher Hühner.

Rechtsextreme Scheitel und alternative Dreadlocks

Alternative, Biofreaks, Esoteriker, Späthippies, Globulischlucker, Freunde der Waldorf-Pädagogik - sie sind fixer Bestandteil im Potpourri der Impfgegner und pittoresker Aufputz bei den Demos der selbsternannten Freiheitsfreunde. Kaum eine Reportage zu den Aufmärschen kommt ohne das Beschwören der Vielfalt der Teilnehmer aus. Vorne die Rechten mit den Seitenscheiteln, dahinter die Eso-Fraktion in allen Farben des Regenbogens.

Antisemitische Chiffren in vorderster Reihe bei der Coronademo in Wien Ende November.
Foto: Joe Klamar / AFP

Rechtsextreme Identitäre haben sich bei den Demos unübersehbar in die erste Reihe gestellt, die antisemitischen Chiffren rund um den "Great Reset" tragen sie voran wie eine Monstranz. Den "Great Reset" plant angeblich just jener "Globalistendreck", der "das Volk spalten" und zur "Giftspritze" bewegen will. Die Identitären nutzen die Gunst der Stunde, um einmal einen Zug mit mehr als ein paar Dutzend Gleichgesinnter anzuführen. Sie machen gar kein Hehl daraus, die Unwucht der mitmarschierenden "Normalos" und Esoteriker und das Thema Corona für ihre rechtsextreme Agenda des angeblich "großen Austauschs" nutzen zu wollen.

Die Impffeindschaft eint rechte und alternative Impfgegner

Die Impffeindschaft ist das Scharnier zwischen rechtem und esoterischem Narrensaum. Identitären-Sprachrohr Martin Sellner sorgt sich gar ums richtige Framing. Auf Telegram fordert er dazu auf, anstelle des Worts "ungeimpft" das frisch und fröhlich wirkende "impffrei" zu verwenden. Das klinge doch gleich viel besser. Wir merken an: zumindest so lange man nicht "impffrei" im Intensivbett auf den Bauch gedreht werden muss. Impffrei.work ist auch der Name einer Webseite, auf der impffeindliche Arbeitgeber ebensolche Arbeitnehmer suchen. Das Biounternehmen Morgentau sucht dort zum Beispiel Mitarbeiter. Es bekennt sich zur esoterischen, "biodynamischen Landwirtschaft" und offenbar auch zur "Impffreiheit". Nebenbei: In der Ökooffensive des Handelsriesen Spar ist Morgentau der erste "Demeter-Gemüsebauer".

Zurück zu den Demos: Hinter den rechten Stiefeln kommen die Anti-Vax-Moms und die Papas mit Dreads und Kutten aus Hanf. Man hat Hirsebällchen für die Kleinen zur Demo mitgenommen und wippt gemeinsam mit dem Schamanen, der die Trommel rührt. Mit den Neonazis und den Hooligans ein paar Meter weiter vorne arrangiert man sich leichter als mit Wegwerfwindeln, der bösen Schulmedizin und der diabolischen Pharmaindustrie samt "Giftspritzen". Es weht ein Hauch vom Goa der 80er-Jahre in diesem Spielmannszug bizarrer Soziotope. 

Ja, das sind überzeichnete Extreme. Sie ergeben aber gute Fotomotive, samt den Freaks, die ihre Pappschildern mit den platten Parolen in die Höhe halten. Die ergeben ein schönes Glossar der global trendenden Verschwörungsplaudereien. Bill Gates, die "Eliten", "Globalisten", wer auch immer die sein sollen, die böse Schulmedizin, die teuflische "Big Pharma", sie kommen schlecht weg, bei den neuen Nazis und bei den Späthippies.

Die unterschiedlichen Äußerlichkeiten täuschen 

Die Gegensätze im Äußeren täuschen darüber hinweg: Impfgegner aus alternativen und esoterischen Milieus sind kein Gegenstück zu den Impfgegnern aus rechtsextremen Milieus. Die alternativ oder esoterisch bewegte Impfgegnerszene hat jahrzehntelang die latenten Botschaften des rechten Kampfes gegen Impfungen in die Welt getragen - ohne dass das je reflektiert wurde.

Bei den Aufmärschen der Impfgegner schließt sich kein Kreis, der völlig unterschiedliche Motive von Impfgegnern umschreibt. Die Aufmärsche legen den Vektor offen, der sich aus Kräften ergibt, die seit jeher in eine Richtung zeigen: Antisemitismus, Wissenschaftsfeindlichkeit und Zynismus.

Das "Gift" der "Schulmedizin" und der "Jud"

"Gift und Jud' tut selten gut". So agitierte in den 30er-Jahren das SS-Hetzblatt "Stürmer" gegen Impfungen und die angeblich "jüdische Schulmedizin". Die Anti-Vax-Mom von heute und der Plastikschamane, sie lassen das Wort "Jud" weg. Doch sie hassen die "Schulmedizin" aus ganz ähnlichen Gründen, aus denen die Nazis die "Schulmedizin" als "jüdisch"  diskreditierten. Den Rechten ist die Impfung zuwider, weil sie keinen exklusiven Benefit für Volk oder Rasse verspricht und das "Aussortieren" vermeintlich Schwacher verhindert. Die Alternativen fühlen sich um die Chance gebracht, zu beweisen, dass sie dem Virus mit ihren gesunden, achtsamen, spirituellen und irrsinnig bewussten Lebensstil etwas entgegenzusetzen hätten.

Die Anthroposophie des Universalesoterikers Rudolf Steiner spielt in der Impfgegnerszene eine wichtige Rolle. Steiner schrieb im Jahr 1906: "Es gibt keine Möglichkeit, der Krankheit zu entkommen, wenn man die Gesundheit haben will. (…) Wollen wir stark sein, dann müssen wir uns gegen die Schwäche schützen." Das zynische Weltbild Steiners wird über Waldorf-Schulen und -Kindergärten, biodynamische Landwirte, anthroposophische Homöopathieproduzenten und Ärzte verbreitet. 

Rechte und alternative Impfgegner argumentieren ähnlich

Wer mit Leuten aus diesem Milieu über Impfungen diskutiert und über Tote, die durch Impfungen vermieden hätten werden können (egal ob bei Masern oder Corona), der hört: Na ja, das waren halt Personen, die einfach "die Konstitution nicht hatten", um zu bestehen. Unausgesprochener Zusatz: Diese unglücklichen Geister wären auch mit der Impfung verstorben, schwaches Leben halt, die Natur putzt aus. Wir indes, wir brauchen keine Impfung. Das kommt uns bekannt vor: FPÖ-Chef Herbert Kickl schwor im Frühjahr seine Anhänger bei einer Rede darauf ein: "Wir alle haben ein intaktes Immunsystem." Das Unausgesprochene: Wer Probleme mit einem Virus hat, ist eben schwach. Eine Impfung ist etwas für Schwächlinge, oder noch besser: Für Leute, denen kein Platz im kruppstahlharten Volkskörper zusteht.

Esoteriker feiern die Krankheiten ihrer Kinder

Die Impfgegner aus dem alternativen Milieu vermeiden derlei Kraftausdrücke. Sie feiern ihre Kinder, wenn sie Krankheiten bekommen, mit blumigen Metaphern. Wenn sie mit ihren Kindern etwa "Masern durchlebt" haben oder eine andere Krankheit, ohne das Gift der "Schulmedizin", so wollen sie einen enormen Entwicklungsschub nach der Gesundung entdeckt haben. Den Kindern, die mit der geimpften, tumben Masse gleichförmig und ohne Prüfungen des Karmas durchs Leben ziehen, blieben solch charakterbildende Stahlbäder versagt. In einem an Schwülstigkeit kaum zu überbietenden Aufsatz im anthroposophischen Magazin "Erziehungskunst" schwärmt eine Mutter von den Masern ihrer Kinder. Die müssen zwar mit hohem Fieber ins Krankenhaus, die Mutter flachst trotzdem munter und schreibt sich in spirituelle Rage: "Und ich werde nicht vergessen, wie Maya ganz oben auf dem Gipfel des Fiebers aus tiefstem Herzen zu mir sagte: Mama! Wenn ich mal Kinder habe, dürfen sie auch die Masern bekommen!"

Anthroposophen: Jede Krankheit hat ihren Sinn

In einem Merkblatt anthroposophischer Ärzte lesen wir: "Die Frage nach dem möglichen Sinn einer Krankheit wird nur selten gestellt (...). Wenn ein Kind keine Masern bekommt, kann seine Entwicklung durch das Durchmachen anderer fieberhafter Erkrankungen unterstützt werden."

Wer in Krankheiten einen tieferen Sinn vermutet, wird den Sinn von Impfungen kaum verstehen: den Schutz verletzlicher Menschen, Verantwortung für die Gesellschaft. Den rechten Impfgegnern ist die Impfung zuwider, weil ihnen Solidarität mit Schwächeren zuwider ist. Für die esoterischen und alternativen Impfgegner ist der Begriff Solidarität ein Fremdwort. Esoterik ist die Religion der Egomanie, die Anthroposophie ist ihr Katechismus.

Die Masern sind kaum mehr zu erhaschen von derlei Eltern, Corona kommt da gerade recht. Die Infektion ist keine Bedrohung. Sie ist die Chance, mit dem Überstehen der Krankheit die überhöhte Selbstwahrnehmung als ganz tolle, gesunde und spirituell gestählte Sippe zu belegen. Eine Infektionskrankheit, die von den eigenen Kindern überstanden wird: das ist eine Art "Eisernes Kreuz", das dem Esoteriker unverdächtig scheint.

Lieber mit Nazis marschieren als der Realität ins Auge sehen

Diese Leute sind nicht durch Erzählungen aus den Intensivstationen zu überzeugen. Nicht deswegen, weil sie es nicht glauben. Sondern weil das Leiden eines spirituell unzureichend gewappneten Plebs die Bestätigung des eigenen, eitlen Attitüde ist. Wenn Krankheit Sinn ergibt, dann trifft sie wohl die Richtigen. Der Hass auf die angebliche "Schulmedizin" sitzt in diesen Milieus tief, er ist ideologisch verfestigt, er spiegelt sich in Biografien und hat sich manifestiert: in der Begeisterung für Globuli, Bioresonanz und Waldorf-Pädagogik. Sich impfen zu lassen, das hieße, ein Kartenhaus an Überzeugungen und gelebter Praxis zusammenstürzen zu lassen, das Gesicht zu verlieren.

Die Rechtsextremisten an der Spitze des Demonstrationszuges, die Hooligans am Rande, die Freaks mit ihren Schildern und Kostümen, die blendet man geschickt aus, ebenso wie die Zustände in den Intensivstationen. In der Masse mit allerlei ungustiösen Figuren und im Furor gegen die "Schulmedizin" und Impfungen fühlt man sich wohler als in der Konfrontation mit der Realität und dem schlichten Faktum, dass die Impfung einfach Sinn ergibt. Das ist es, was als Bedrohung wahrgenommen wird. (Christian Kreil, 1.12.2021)

Christian Kreil bloggt rund um Esoterik, Verschwörungsplauderei und Pseudomedizin. Soeben erschien sein Buch "Fakemedizin".

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