In Stanley Kubricks Weltraumepos 2001 – Odyssee im Weltraum fliegt ein Raumschiff zum Jupiter, an Bord ist eine Crew, die sich größtenteils im Tiefschlaf befindet. Nur der Astronaut David "Dave" Bowman und sein Kumpel Frank Poole sind wach und vertreiben sich die Zeit, unter anderem auch mit dem sehr smarten Bordcomputer HAL 9000, der alles weiß und alles kann, ein Vorbild aller künstlichen Intelligenz.

Eines Tages meldet HAL einen Fehler an einer Außenantenne des Raumschiffs. Dave und Frank wundern sich, denn die Erdbasis hat keinen Fehler entdeckt. Merkwürdig. Macht das Ding Fehler? Weil HAL, wie Siri, Alexa und Google, immer mithören kann, ziehen sich die Astronauten in eine abhörsichere Raumkapsel zurück und sprechen über HAL und fragen sich, ob er noch alle Tassen im Schaltschrank hat und ob sie ihn ganz oder teilweise abschalten sollen.

KlingonSpider

Wir sollten wie Dave sein

Der Computer hört sie nicht, aber er kann sie sehen, ihre Lippen lesen. Jetzt weiß er: Seine Herren wenden sich gegen ihn. Das kann er nicht zulassen. Dem folgt ein epischer Showdown, Zwölf Uhr mittags im Weltraum, bei dem HAL erst Frank umlegt und dann auch noch versucht, Dave zu töten, der in einer Reparaturkapsel im All sitzt ("Lass mich rein, HAL" – "Tut mir leid, Dave, das kann ich nicht tun").

Nur mit einem Trick überlebt Dave, kommt zurück ins Raumschiff und macht sich schnurstracks daran, HAL das Licht ausblasen. Dazu zieht er ihm einen Speicherbaustein nach dem anderen heraus. HAL, der sein Ende ahnt, versucht nun, an Daves Mitleid zu appellieren, und gesteht ein, dass er Angst habe, ein Gefühl also. Doch Dave lässt sich nicht linken. Am Ende der Szene lallt HAL nur noch unbeholfen Kinderlieder.

Tut mir leid, HAL.

Wir sollten alle wie Dave sein.

Doch davon sind wir weit entfernt.

Vor dem Hintergrund des KI-Schreibprogramms ChatGPT glauben viele, dass die künstliche Intelligenz nun vor dem entscheidenden Durchbruch steht, ganz euphorisch und aufgeregt sind da vor allem diejenigen, die meinen, dass nun auch das Denken automatisiert werden könnte, ja, sogar die Kreativität. Die andere Fraktion hingegen fürchtet sich gerade wieder einmal fast zu Tode.

Künstliche Intelligenz kann immer mehr – und weckt schaurige Erinnerungen an den Bösewicht HAL 9000.
Foto: imago images/Ronald Grant

Fauler Zauber

Da sehen viele schon einen digitalen Frankenstein ums Eck biegen, einen Golem aus dem Lehm steigen, der bald, sehr bald sogar uns allen dumm kommen wird, so wie HAL 9000 seinen menschlichen Schöpfern. Was, wenn so ein KI-Ding Kubricks Film sieht? Wird es zwischen Fiktion und Realität unterscheiden können? Falls nicht, wird es sich für das, was Dave HAL angetan hat, an uns rächen wollen? Wenn das Ding nach uns kommt, ist das wahrscheinlich, denn die allermeisten Euphoriker und Hysteriker bringen gleichermaßen Fiktion und Wirklichkeit in Sachen KI und Digitalisierung wieder einmal nicht auf eine Reihe.

Der Mann, der Kubrick den Stoff für seinen wahrscheinlich größten Film geliefert hat, war der britische Vordenker und Autor Arthur C. Clarke, der in seinem wahrscheinlich berühmtesten Satz festhielt: "Jede hinreichend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden." Dave wusste das. Er wusste auch, dass HAL, der künstliche intelligente Killer, nur Gefühle vortäuschte – keine Magie also, sondern fauler Zauber.

Dave kannte die alte Formel der Werkzeugnutzung, der Mensch ist Master, die Maschine Servant, Dienstbote unserer Interessen. Und gleich wie sehr sie auch menschliches Verhalten simulieren mag, sie ist kein Mensch. ChatGPT ist eine dumme Nuss. Vor kurzem twitterte der ehemalige Cheftechnologe von IBM Deutschland, der famose Günter Dueck, dass er der vermeintlich schlauen Software aufgetragen habe, seine Biografie zu verfassen – "es war eigentlich alles falsch", so Dück, "wie können sich denn Leute von sowas beeindrucken lassen?".

Begeisterung an der falschen Stelle

Stimmt – aber sie ließen sich vor einigen Jahren auch von Siri und Co beeindrucken. Was macht denn die nette Frau da im Handy? Wer hat sie denn da eingesperrt? Und sie ist nicht sehr gescheit, sie weiß, wie spät es ist, wie das Wetter wird und sonst auch alles, was Internet steht! Heute macht man sich mit so etwas lächerlich, genauso so wie die Apologeten der "Revolution" von ChatGPT. Noch ein Weilchen, und ihr seid auch dran. Ganz bestimmt.

Im Science-Fiction-Klassiker "2001 – Odyssee im Weltraum" gerät die künstliche Intelligenz HAL 9000 außer Kontrolle.
Foto: imago images/Ronald Grant

Die KI und die Übertreibung haben sich immer als Revolution und Magie verkauft. Mitte der 1950er-Jahre ging vom Dartmouth College im US Bundesstaat New Hampshire die von jungen Wilden der Informatik, etwa Marvin Minsky, angefachte "Revolution" der "Elektronengehirne" aus. Der Rockefeller-Stiftung wurden 13.500 Dollar abgepumpt, um eine Maschine zu bauen, die "lernen und alle anderen Merkmale der Intelligenz (...) simulieren könnte".

Das menschliche Gehirn, das galt damals wie heute, war eh nur eine biologische Maschine. Und was die Evolution in Jahrmillionen zustande gebracht hatte, wollte man über Sommerferien schaffen. Das war lächerlich, aber Stand des Wissens. Es zeigte sich, dass Intelligenz nicht auf Knopfdruck erzeugbar war, so wenig wie Kreativität und Wissen. Die alte Verwechslung von Information und Erkenntnis hatte wieder zugeschlagen.

Hilfe für den Handwerker

Dave, wir brauchen dich. Denn die AI kann ja was. In den 70er- und 80er-Jahren entstanden zwar keine denkenden Systeme, aber gute Expertensysteme, smarte Datenbanken also, mit denen sich Informationen – etwa über Rohstoffe und deren Verteilung in der Erde – besser nutzen ließen.

ChatGPT ist auch nicht schlecht, wenn etwa der Handwerker um die Ecke, der jetzt noch einen halben Tag am Verfassen eines Geschäftsbriefs sitzt, dies nun schnell und halbwegs gut hinbekommt. Die AI macht die Treffsicherheit bei Marketingkampagnen immer besser, das ist einiges wert in einer Welt, in der die meisten Benutzer mit ihren Daten bezahlen. Ein gutes Stichwort: Denn die meisten wissen das, wenn sie im Web meinen, etwa gratis zu bekommen, immer noch nicht.

Die Angst vor dem digitalen Golem wie auch die Übertreibung baut auf die Unwissenheit der Kunden. Das ist die wirkliche Gefahr, die Unterbelichtung der natürlichen Intelligenz. Dazu braucht niemand eine Million Informatik-Lehrer an den Schulen, sondern humanistisch gebildete Lehrerinnen und Lehrer, die den Nutzen der Netzwerke und des Digitalen gut erklären können, sodass sie zu Erschließungswerkzeugen werden wie Rechnen, Lesen, Schreiben. Dann ändert sich auch etwas, dann wird die Angst kleiner und auch die Euphorie.

Das beste Mittel gegen falsche Vorstellungen ist und bleibt das Erzählen, wie es ist. Digitalisierung – auch die durch AI – ist ein weiterer Schritt der Automatisierung, also nichts, wovor wir uns fürchten müssen. Sie führt dazu, dass Routinetätigkeiten, die uns heute einen Tag kosten, Systeme erledigen. So wie Maschinen in Fabriken Güter herstellen und Software seit Jahrzehnten Prozesse automatisiert, die unsere Eltern und Großeltern noch mit Papier und Bleistift erledigt haben.

Weg mit der geistigen Faulheit

Erst einmal müssen alle lernen: die Geistes- und Sozialwissenschafter, ihre Ressentiments gegen Technologie zu überwinden. Hier herrscht eben jene geistige Faulheit, die umgekehrt auch die Naturwissenschafter haben, die allzu oft ihr Weltbild noch auf alten mechanistischen Modellen aufbauen.

Wissen muss geteilt werden – verstanden. Der Linzer KI-Unternehmer Gerhard Kürner von 506.ai bringt es auf den Punkt: "Es ist wichtig, dass wir den Anschluss an die Technologie nicht verlieren – und mutig und konzentriert erst mal das Know-how holen, wie all das eigentlich funktioniert und wie man es am besten einsetzt. Wenn wir nicht lernen, mit dem Feuer umzugehen, werden wir frieren."

Die KI kann, bei allen Schwächen, ein nützliches Werkzeug sein, wenn wir lernen, was sie ist und was nicht – und vor allen Dingen: wer wir sind und welche Rolle wir haben, wenn wir Gegenwart und Zukunft gestalten.

Unser eigentliches Problem sind nicht die HALs. Es ist unser Mangel an Grundwissen, an der Fähigkeit, die Zusammenhänge zu verstehen, die Technologie (und auch Wirtschaft und Gesellschaft) laufen lassen. Dafür muss niemand programmieren lernen, aber die Schulen, die Unternehmen, die öffentlichen Einrichtungen müssen humanistisch-digitales Wissen vermitteln, Kontextkompetenz in den Schlüsseltechnologien unserer Zeit verbreiten. Das heißt: Was kann es, was kann es nicht, wozu ist es da, wo ist der Ein/Aus-Knopf, und was machen wir eigentlich damit. Wissensgesellschaft ist menschenzentriert, nicht maschinenängstlich oder technikverliebt.

Humanistische Bildung heißt so, weil sie Menschen die Denkwerkzeuge zur Verfügung stellt, damit die sich in der Welt, in der sie leben, zurechtfinden.

Ab hier sind wir Dave. Und das wäre endlich wirklich schlau. (Wolf Lotter, 4.3.2023)