Sollten Sie morgens mit den Öffis in die Arbeit fahren, haben Sie sich schon einmal überlegt, zu welchem Teil Sie den Bus, die Bim, die Bahn mitfinanziert haben? Nein? Hier die Antwort: Höchstwahrscheinlich tragen Sie zur Finanzierung mehr bei – relativ zu Ihrem Einkommen gesehen – als Red-Bull-Erbe Mark Mateschitz.

Die Erkenntnis basiert auf einer Studie für Österreich, Deutschland und der Schweiz. Oxfam, das gewerkschaftsnahe Momentum-Institut und das Netzwerk Steuergerechtigkeit haben sich angesehen, wie die Steuerbelastung von unterschiedlichen Einkommensklassen konkret aussieht: für Mittelstandsfamilien, für Muster-Multimillionäre und für "echte" Milliardäre. Konkret ist das für Österreich der Red-Bull-Erbe Mark Mateschitz, für Deutschland die BMW-Erben Susanne Klatten und Stefan Quandt sowie für die Schweiz die Erben des Roche-Pharmakonzerns André Hoffmann und Jörg Duschmalé.

Red-Bull-Erbe Mark Mateschitz gemeinsam mit seiner Freundin Victoria Swarovski bei einem Formel-1-Event.
Die effektive Steuerbelastung von Red-Bull-Erbe Mark Mateschitz liegt bei 26 Prozent, was deutlich unter dem Einkommensspitzensteuersatz von 55 Prozent liegt. Möglich machen das eine andere Einkommensstruktur und Steuerprivilegien.
APA/GEORG HOCHMUTH

Die Forscherinnen fanden heraus, dass die Steuerbelastung für eine Mittelstandsfamilie in Österreich bei 42 Prozent liegt, für die Multimillionäre bei 30 Prozent. Der reichste Mann des Landes, Milliardär Mateschitz, muss 26 Prozent seines Bruttoeinkommens an den Staat blechen. Und das widerspricht dem – für die Besteuerung grundlegenden – Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Das bedeutet: Wer mehr verdient, soll mehr Steuern zahlen.

Doch woher kommt dieser Unterschied? Der Mittelstand erzielt den größten Teil des Einkommens durch Erwerbsarbeit, zahlt also Lohn- und Einkommenssteuer. Das ist bei sehr vermögenden Personen anders: Sie generieren den Großteil ihres Einkommens durch Kapitaleinkommen, nur zehn bis 20 Prozent durch Arbeit. Beim momentanen Steuersystem in Österreich und Deutschland wirkt sich genau dieses Faktum aus: Während Arbeitseinkommen gut erfasst und progressiv besteuert werden – das bedeutet, dass die Steuersätze mit höherem Einkommen steigen –, ist das bei Kapitaleinkommen und Vermögen anders. Es gibt keine Register, keine verpflichtenden Bewertungen. Zudem sind Kapitaleinkünfte und Unternehmensgewinne mit einer geringeren Flat Tax besteuert und in komplexen Beteiligungsgesellschaften geparkt, die steuerlich privilegiert behandelt werden.

Woher die Vermögensdaten kommen

Wenn es keine konkreten Registerdaten gibt, wie kommen die Wissenschafterinnen dann zu ihren Ergebnissen? Für die Mittelstandsfamilien werden HFCS-Daten, eine Erhebung der Oesterreichischen Nationalbank, verwendet. Die Muster-Multimillionäre stammen aus den höchsten 0,1 Prozent der Vermögensverteilung. Aufgrund fehlender Registerdaten wird hier ebenfalls auf Erhebungs- und Forschungsdaten sowie Modellrechnungen zurückgegriffen. Für die Milliarden-Erben verwendete man öffentlich einsehbare Reichenlisten, Geschäftsberichte sowie Firmenbuchauszüge, um das Gesamtvermögen zu berechnen.

Wichtig zu erwähnen ist, dass der HFCS für höhere Vermögen ungenauer ist. Vermögende tendieren nämlich dazu, ihre Vermögen geringer anzugeben oder erst gar nicht an der Erhebung teilzunehmen. Daher handle es sich bei den Studienergebnissen um eine "konservative Rechnung", die eher als Untergrenze zu verstehen seien, so die Momentum-Ökonomin Barbara Schuster.

Konkret in Zahlen gegossen lauten die Daten: Die österreichische Mittelstandsfamilie besteht aus einem verheirateten Paar mit zwei minderjährigen Kindern. Das jährliche Gesamteinkommen beträgt rund 93.000 Euro, das Nettovermögen 228.000 Euro. Dem gegenüber steht der Red-Bull-Erbe Mark Mateschitz: Bei ihm gehen die Wissenschafterinnen von jährlichen Bruttoeinkünften in Höhe von 1,3 Milliarden Euro aus, das Vermögen wird auf 32,5 Milliarden Euro geschätzt.

"Taxing the rich"

Während sich Österreich und Deutschland in der Ausgangslage und den Ergebnissen sehr stark ähneln, unterscheidet sich die Schweiz darin. Hier liegt die Steuerbelastung im betrachteten Kanton – die Steuersätze sind auf kantonaler Ebene geregelt – nur bei rund 15 Prozent für die Mittelstandsfamilie, in Österreich und Deutschland sind 42 bzw. 43 Prozent fällig.

Aber: In der Schweiz gibt es Vermögenssteuern, die wie eine indirekte Steuer auf Vermögenserträge wirkt. Das heißt, kaum jemand muss die Steuer aus der Vermögenssubstanz bezahlen, weil der Steuersatz recht niedrig angesetzt ist. Dennoch erwirtschaftet die Vermögenssteuer sieben Prozent des Gesamtsteueraufkommens. Im Vergleich: In Österreich und Deutschland liegt dieser Wert bei null Prozent.

Die Schweizer Vermögenssteuer verschiebt das Steuerbelastungs-Ranking bei Betrachtung der Milliardäre: Die Roche-Erben werden mit einer effektiven Steuerbelastung von 32 Prozent mehr besteuert als ihre österreichischen und deutschen Pendants, die bei 26 Prozent liegen. Und dennoch: In allen Fällen liegt die effektive Steuerbelastung unter dem Einkommensspitzensteuersatz – obwohl die Reichen technisch gesehen in diese höchste Steuerklasse fallen würden.

Die Länderstudien kommen daher zu folgendem Schluss: Im Sinne der Wiederherstellung einer progressiven Besteuerung sei es sinnvoll, Vermögenssteuern in Österreich und Deutschland einzuführen. Zudem sollen große Vermögen stärker besteuert werden. Einen Ansatzpunkt bei Unternehmenssteuern gibt es auch: Diese sollen erhöht werden – entgegen dem Trend der letzten Jahre, in denen man sich international in einem regelrechten "race to the bottom" befunden hat. (Sarah Kirchgatterer, 18.4.2024)