Nach dem Scheitern seines Regierungspakts mit den Grünen am Donnerstag muss sich der schottische Ministerpräsident Humza Yousaf kommende Woche einem Misstrauensvotum stellen. Dabei sind die Aussichten für den Chef einer Minderheitsregierung, dessen Partei noch dazu in Umfragen zuletzt stark verloren hat und im Skandalsumpf steckt, nicht gerade rosig. Geht es mit der lange als unsinkbar geltenden SNP-Regierung in Edinburgh zu Ende? DER STANDARD beantwortet die wichtigsten Fragen.

Frage: Wie wurde Schottland bisher regiert?

Antwort: Der seit gut einem Jahr als Vorsitzender der Nationalpartei SNP amtierende Yousaf hatte von seiner wegen einer unappetitlichen Finanzaffäre zurückgetretenen Vorgängerin Nicola Sturgeon eine Minikoalition mit den Grünen geerbt. Seit der jüngsten Wahl 2021 unterstützte die viel kleinere Fraktion die zuvor mit wechselnden Mehrheiten regierenden Nationalisten offiziell. Die beiden Parteisprecher Lorna Slater und Patrick Harvie erhielten Staatssekretärsposten, kümmerten sich um Mieterschutz sowie um den klimaverträglichen Umbau der Volkswirtschaft. Diese Zusammenarbeit war manchen in der SNP von jeher ein Dorn im Auge. In der Nationalpartei gibt es seit langem einen sozialkonservativen und einen eher progressiven Flügel. Sturgeon konnte sie kraft ihrer Persönlichkeit zusammenhalten. Doch im Streit um ihre Nachfolge zwischen Yousaf und der früheren Finanzministerin Kate Forbes "sind Fliehkräfte entstanden", analysiert der deutsche Soziologe Jan Eichhorn von der Uni Edinburgh. Nach dem knappen Ergebnis (52 zu 48 Prozent) nahm Yousaf die Rivalin nicht ins Kabinett auf. Um die sozial konservative Forbes – sie ist Angehörige einer Protestanten-Sekte – scharten sich die Skeptiker der Koalition.

Schottlands Regierungschef Hamza Yousaf hat keine allzu guten Perspektiven.
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Frage: Was waren die inhaltlichen Streitpunkte?

Antwort: Mit dem Anliegen eines zweiten Unabhängigkeitsreferendums sind die Partner am Londoner Supreme Court gescheitert. Die Auseinandersetzungen innerhalb der SNP wie auch zwischen den Koalitionspartnern kreisten vor allem um zwei Themen: die Transgender-Politik sowie den Klimaschutz. Ein hochumstrittenes Transgender-Reformgesetz scheiterte am Widerstand der konservativen Londoner Zentralregierung unter Premier Rishi Sunak. Das Vorhaben sollte allen Menschen über 16 Jahren die rechtlich gültige Neueinstufung nach sechs Monaten und ohne ärztliche Beteiligung ermöglichen. Stattdessen gilt nun weiterhin die britische Gesetzeslage, wonach transidente Menschen mindestens 18 sein, ein ärztliches Attest sowie eine Übergangszeit von zwei Jahren nachweisen müssen.

Zu Monatsbeginn erwies sich ein neues Gesetz gegen die verbale Diskriminierung von Minderheiten als Rohrkrepierer. Binnen einer Woche gingen bei der ohnehin total überlasteten Polizei mehr als 3000 Anzeigen wegen der nunmehr als Hassverbrechen geltenden Vorfälle ein; Frauenrechtlerinnen zeigten sich empört darüber, dass nun zwar Behinderte, Alte, Juden und Muslime sowie Transgender-Menschen Schutz genießen, misogyne Äußerungen aber nicht unter Strafe stehen. Schwerer Rückschlag auch beim Klimaschutz: Bis 2030 sollten die klimaschädlichen Emissionen um 75 Prozent reduziert werden. Vergangene Woche musste SNP-Ministerin Mairi McAllan einräumen: "Das können wir nicht erreichen."

Schottlands Windkraft sollte laut der Regierung künftige Generationen antreiben. Doch nun scheint die Energiewende zu scheitern, stattdessen bläst der SNP der Wind um die Ohren.
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Frage: Wie zerbrach das Bündnis?

Antwort: Genervt von den Rückschlägen setzten grüne Aktivisten einen Sonderparteitag für kommenden Monat durch – eine schwere Belastungsprobe für den Regierungspakt mit der SNP. Am Donnerstagvormittag trat der Regierungschef die Flucht nach vorn an: Er entließ die grünen Staatssekretäre und erklärte die vertragliche Zusammenarbeit für beendet. Das sei "im nationalen Interesse", gab sich der 39-Jährige staatstragend und sprach davon, er werde wie seine Vorgängerinnen in früheren Legislaturperioden als Leiter einer Minderheitsregierung amtieren.

Offenbar rechnete Yousaf damit, die Grünen würden rasch zur Tagesordnung übergehen. Weit gefehlt: Der einstige Partner sei "schwach" und kusche feige vor den konservativen Kräften in seiner Partei, schäumte Ex-Staatssekretär Harvie. Beim Misstrauensvotum in der kommenden Woche, angezettelt vom konservativen Oppositionsführer Douglas Ross, wollen die Grünen gegen Yousaf stimmen.

Frage: Wie stehen nun Yousafs Chancen aufs politische Überleben?

Antwort: Dem Block von 63 SNP-Mandatsträgern sitzen im Parlament von Holyrood 65 Abgeordnete der Opposition gegenüber. Schon eine zusätzliche Stimme für Yousaf hätte ein Patt zur Folge; der Tradition folgend würde dann die Parlamentspräsidentin für den Status quo stimmen, der SNP-Mann könnte weiterregieren. Weil sich außer den Grünen auch Labour und die Liberaldemokraten dem Tory-Misstrauensantrag anschließen wollen, kommt der einzigen Mandatsträgerin der winzigen Alba Party eine Schlüsselrolle zu. "Ash Regan ist jetzt die mächtigste Abgeordnete im schottischen Parlament", freut sich Alba-Boss Alex Salmond. Wie der frühere SNP-Ministerpräsident ist auch die 50-jährige Regan von der Nationalpartei zu Alba gekommen; vor einem Jahr war sie noch Yousafs Rivalin im Kampf um den Parteivorsitz.

Schottlands Ex-Regierungschef Alex Salmond darf sich freuen: Von der Abgeordneten seiner SNP-Splitterpartei Alba hängt nun das Schicksal der schottischen Regierung ab.
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Frage: Wie geht es nun weiter?

Antwort: Zunächst muss sich Yousaf vergewissern, dass seine Fraktion geschlossen hinter ihm steht. Von Rücktritt könne keine Rede sein, hieß es am Freitag bei der SNP. Freilich ändern sich die Verhältnisse in Edinburgh dieser Tage sehr rasch. Regan hat dem SNP-Regierungschef ihre Forderungen schriftlich vorgelegt: Sie wünscht sich energischere Schritte zur Unabhängigkeit; den Schutz von Frauenrechten, womit der Abschied von der kontroversen Transgender-Politik gemeint ist; sowie eine Rückkehr zu "kompetenter Regierungsführung".

Auf die SNP-Abtrünnigen von Alba zuzugehen dürfte Yousaf schwerfallen. "Das wäre ein totaler Rückschritt für ihn", analysiert Eichhorn. Der Regierungschef stand voll hinter der Transgender-Politik, war für das Hassverbrechen-Gesetz verantwortlich. "Jetzt will er auf einmal Realpolitik machen. Jeder wird sich fragen, wofür er denn am Ende steht." (Sebastian Borger aus London, 26.4.2024)