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Ein letzter großer Erfolg: Bei den Nationalratswahlen erreicht das BZÖ 10,7 Prozent.

Foto: Reuters/Foeger

Visionär und Ewiggestriger, Yuppie und Sozialrebell, Islamfeind und Araberfreund, Globalisierungskritiker und EU-Fan, Staatsmann und Faschingsprinz: Es waren viele Rollen, die Jörg Haider in den 30 Jahren seiner Karriere spielte. Mehr als der typische Machtpolitiker, der im Hintergrund die Fäden zieht, war der Wahlkärntner ein Showman, der stets auf die Bühne drängte. Unzählige Male wechselte er dabei sein Kostüm - und blieb doch der Alte.

Deutschnationale Heimat

Haider kommt am 26. Jänner 1950 im Bad Goisern im oberösterreichischen Teil des Salzkammerguts zur Welt - wie viele Orte, wo der Protestantismus der Gegenreform widerstanden hat, ein fruchtbarer Boden für deutschnationales Gedankengut. Der Sohn des Schusters Robert Haider, der als Halbwüchsiger, lange vor dem Anschluss 1938 zu den Nazis gestoßen war, fasst schnell im Milieu des "Dritten Lagers" Fuß: Beim Ring Freiheitlicher Jugendlicher und bei der Burschenschaft Silvania, wo sich der Jusstudent mit Verbindungsbrüdern duelliert.

Der (deutsch)nationale Flügel ist es auch, der Haider - mittlerweile nach Kärnten übersiedelter Nationalrat - 1986 anstelle des liberaleren Norbert Steger zum FPÖ-Chef macht, worauf die SPÖ die rot-blaue Koalition kündigt. Immer wieder sendet der Neue in der Folge eindeutige Signale an seine Kernschichten aus. 1988 bezeichnet er die österreichische Nation als ideologische "Missgeburt" , 1991 lobt er die "ordentliche Beschäftigungspolitik" im Dritten Reich, 1995 würdigt er Waffen-SS-Veteranen als "anständige Menschen, die (...) ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind" . Für Gesinnungsgenossen in ganz Europa avanciert er zur Galionsfigur, Gegner sehen in ihm eine rechtsextreme Bedrohung. In den entlegensten Winkeln der Welt kann es Österreichern passieren, auf Haider angesprochen zu werden.

Zuhause gewinnt der Radikalrhetoriker Wahl um Wahl, bundesweit und auch in Kärnten. Bereits 1989 wird er zum ersten Mal Landeshauptmann, muss aber nach seinem Sager über die NS-Beschäftigungspolitik zwei Jahre später wieder abtreten. Ab 1992 führt er wie schon in den Achtzigern den FPÖ-Klub im Nationalrat an.

Gegen Bonzen und Privilegien

Bereits als junger Abgeordneter hat Haider mit sozialkritischen Reden beeindruckt, nun stilisiert er sich zum Anwalt der Entrechteten. "Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist" plakatiert er schon 14 Jahre vor dem Plagiator Heinz-Christian Strache. "Sie" - das sind in der Welt Haiders etwa die Bonzen, Privilegienritter und Abkassierer im Dunstkreis von SPÖ und ÖVP, die es sich an den Futtertrögen der Republik breit gemacht hätten. Selbst Gegner billigen ihm posthum zu, viele reale Probleme angesprochen und damit zur Eindämmung von Proporz, Parteienfilz und Packelei beigetragen zu haben: Als es die FPÖ später in die Regierung schafft, bedienen sich allerdings auch ihre Günstlinge an den verbliebenen "Pfründen" .

Die "Altparteien" sind nicht die einzigen Feindbilder Haiders. Er und seine Adlaten hetzen gegen "arbeitsscheues Gesindel" , die "linke Kulturmafia" oder "Nestbeschmutzer" , die Österreich "vernadern" würden. Gegner diffamiert er mitunter mit unhaltbaren Anschuldigen. Rücken Gerichte Jahre später die Wahrheit zurecht, hat Haider die öffentliche Meinungsschlacht längst gewonnen.

Haider erreicht den Zenit

Mit antisemitische Tiraden greift Haider Ariel Muzicant, Chef der Israelitischen Kultusgemeinde, an. Den Höchstrichter Ludwig Adamovich verhöhnt der Kämpfer gegen das "System" wegen seines slawisch klingenden Namens, die Urteile des Verfassungsgerichtshofes für mehr zweisprachige Ortstafeln in Kärnten ignoriert er. Bis zuletzt kommt Haider immer wieder mit dem Rechtsstaat in Konflikt: Im Jänner 2008 verfrachtet er unbescholtene Flüchtlinge einfach außer Landes.

In alle Facetten polemisieren Haider und seine Mitstreiter gegen Zuwanderer - nicht nur bei Wahlen mit großem politischen Erfolg. Als 1993 am Wiener Heldenplatz Hunderttausende ein Lichtermeer gegen das "Ausländervolksbegehren" der Freiheitlichen organisieren, flackert im Fenster des sozialdemokratischen Innenministeriums noch ein Kerzerl. In den folgenden Jahren setzen die rot-schwarzen Regierungen aber viele von den geforderten Verschärfungen um. Als die Blauen im Wahlkampf 1999 in Wien offen "Stop der Überfremdung" plakatieren, ist Haider am Zenit angelangt.

Die etablierten Großparteien stehen dem Aufstieg des Rebellen hilflos gegenüber. Sie scheitern daran, die bekrittelten Missstände zu beheben, 1999 fährt Haider die Ernte ein. In Kärnten wird er zum zweiten Mal Landeshauptmann, bei den Nationalratswahlen erringt die FPÖ den zweiten Platz.

Haider ahnt, dass er als Koalitionspartner (noch) inakzeptabel ist und lässt anderen den Vortritt: Kanzler wird Wolfgang Schüssel von der drittplatzierten ÖVP, Vizekanzlerin und Parteichefin Susanne Riess-Passer. Die EU-Staaten reagieren auf die Regierungsbeteiligung der Blauen dennoch mit diplomatischen Sanktionen.

Lange hält es der Selbstdarsteller Haider nicht in der zweiten Reihe aus. Er heizt die Revolte von Knittelfeld, bei der FPÖ-Funktionäre gegen die eigene Regierungsmannschaft rebellieren, an. Die Regierung zerfällt, bei der folgenden Wahl 2002 verliert die FPÖ zwei Drittel ihrer Wähler. Zwei Jahre später zerbricht schließlich auch die Partei. Mit letzten Getreuen gründet Haider das orange BZÖ.

Ein letzter großer Sieg

Haider scheint am Ende, auf eine lokale Kuriosität zurecht gestutzt. Doch nach vielen Misserfolgen haucht er der vermeintlichen Totgeburt doch noch Leben ein. Mit der Basis Kärnten, wo er seinen Status als Landeshauptmann souverän verteidigt, feiert der regenerierte Haider, Gutsherr im Kärntner Bärental, einen letzten großen Erfolg: Bei den Nationalratswahlen erreicht das BZÖ 10,7 Prozent.

Knapp zwei Wochen später endet die Karriere des Ausnahmepolitikers, der Zeit seines Lebens vieles war. Nur nicht Kanzler. (Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe, 13.10.2008)