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Antanas Mockus begeistert als Kandidat der bisher politisch unbedeutenden Grünen Partei Kolumbiens viele Bürger mit seiner ruhigen, bedächtigen Art und frischen Ideen.

Foto: EPA/Mauricio Duenas

Umfragen für die Wahl am Sonntag sehen ihn mit seinem Mitbewerber gleichauf. Schon sein Antreten hat die Politik des Koka-Anbaulandes verändert.

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Die Studenten in Cúcuta, einer Kleinstadt, kreischen wie beim Konzert eines Popstars, als die vier Männer die Bühne betreten. Ruhig wird es erst, als der ältere Herr mit Lincoln-Bart das Mikrofon ergreift. Die steifen Bewegungen verraten die beginnende Parkinson-Krankheit. Seine Sätze sind ausschweifend, oft macht er lange Pausen. Antanas Mockus ist ein ruhiger Mann, ein Universitätsprofessor, der mit erhobenem Bleistift gegen den Waffenkult zu Felde ziehen will - etwas Außergewöhnliches in einem Land, das seit 60 Jahren von Gewalt und Bürgerkrieg geprägt wird.

"Schau jetzt deinem Nachbarn tief in die Augen, und sage zehnmal: ‚Dein Leben ist heilig‘", fordert Antanas Mockus das Publikum auf. Ein bisschen Show, etwas Psychotherapie, ein wenig Gottesdienst. Eine Kampagne der Symbole und der Emotionen. Mockus redet nicht von Effizienz und Zahlen, er macht keine vollmundigen Versprechen. Konkrete Aussagen sind rar, sein Programm wurde erst vor kurzem in einem kollektiven Brainstorming mit Anhängern erstellt. Vielmehr redet er von Hoffnung und Transparenz, und er verspricht eine kulturelle Transformation.

Als Bürgermeister von Bogotá brachte er den Hauptstädtern mithilfe von Clowns ordentliches Benehmen im Verkehr bei, "weil die Bogotáner die Lächerlichkeit mehr fürchten als die Bestrafung". Die Mordrate senkte er durch eine nächtliche Sperrstunde und einen Ausgehabend "nur für Frauen".

Für seine Kampagne umgab sich Mockus mit populären Figuren, etwa dem ehemaligen Bürgermeister der einstigen Drogenstadt Medellín, Sergio Fajardo, sowie zwei weiteren populären Politikern. Diese "fantastische Vier" getaufte Gruppe überraschte durch Teamgeist und eine Botschaft, die in Kolumbien einen Nerv traf.

Große Fußstapfen für Santos

Der Kontrast zwischen Mockus und Amtsinhaber Álvaro Uribe könnte kaum größer sein. Uribe, ein Hardliner, schaffte in den acht Jahren seiner Amtszeit einige militärische Erfolge gegen die Farc-Guerilla. Er genießt darum im Volk hohe Zustimmungsraten. Sein von ihm ausgewählter Wunschnachfolger, der Verteidigungsminister Juan Miguel Santos, gilt jedoch als weitaus weniger charismatisch als Uribe.

Santos war verantwortlich für die spektakuläre Befreiung der entführten Politikerin Ingrid Betancourt sowie für die Militärattacke auf ein Lager der Farc-Guerilla in Ecuador, bei der Rebellenführer Raúl Reyes ums Leben kam. Bis vor zwei Monaten sah er noch wie der sicherere Sieger der Wahl aus. Doch dann erkoren Internetuser via Facebook und Twitter den studierten Philosphen Mockus zu ihrem Favoriten. Mittlerweile liegen die beiden in den Umfragen Kopf an Kopf - eine Stichwahl scheint sicher. Grund dafür sind auch die vielen Skandale, die die Amtszeit Uribes prägten.

Da gab es Abhör- und Korruptionsaffären, Menschenrechtsverletzungen sowie den Dauerstreit mit Venezuela, dem nach den USA wichtigsten Absatzmarkt für kolumbianische Exporte. "Ein Caudillo vererbt sein Charisma nicht" , sagt der Politologe Álvaro Forero. Mockus hingegen scheint der Drahtseilakt zwischen Wandel und Kontinuität besser zu gelingen als Santos: "Die Wähler sehen in ihm einen Garanten der Sicherheitspolitik Uribes, aber frei von Uribes Sünden, während Santos Gefahr läuft, dass man nur die schlechten Dinge Uribes auf ihn projiziert", sagt der Analyst Alfredo Rangel.

Die "Mockusmanie" hat einen Schwall von Kreativität freigesetzt. Die Kampagne wird von tausenden Freiwilligen geführt, die Plakate kreieren, T-Shirts bedrucken lassen, Videos ins Internet stellen oder per Facebook zu spontanen Treffen in Einkaufszentren aufrufen.

Für die meisten Mockus-Anhänger sind emotionale Erwartungen ausschlaggebend. Für die 70-jährige Marta Sánchez ist wichtig, dass sie Mockus für einen ehrlichen Menschen hält. "Ich habe zum ersten Mal das Gefühl, Teil einer Revolution zu sein, und zwar einer friedlichen Bürgerrevolution", sagt wiederum Exguerillero Antonio Sanguino. Die Studentin Omaira Mosquera formuliert es so: "Ich weiß nicht, ob Mockus wirklich gewinnen wird und wie seine Ideen dann umgesetzt werden. Aber er hat das Land aufgerüttelt, und bis zur Wahl träume ich, dass ein anderes Kolumbien möglich ist." (DER STANDARD, Printausgabe 26.5.2010)