"Ich mache genau das, worauf ich Bock habe" , sagt der Forensiker Mark Benecke, hier vor einem marmornen Seziertisch im Wiener Narrenturm.

Foto: STANDARD/Heribert Corn

"Erst lachen, dann denken", lautet Beneckes Motto bei seinen Vorträgen. Immer mit dabei: ein paar lebendige Schaben.

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Mit dem STANDARD sprach der umtriebige Kriminalbiologe über seine Einstellung zum Tod, Popstar-Allüren und gute Vorträge.

Die Genitalien sind das Allererste, was Mark Benecke und seine Mitarbeiterinnen begutachten. Dann die anderen Körperöffnungen, wundgelegene Stellen, die Haut zwischen den Zehen. Konzentriert zupfen sie mit Pinzetten Maden von einem gelben, ausgezehrten Leichnam und sortieren sie in kleinen Dosen, in denen es nur so wurlt. Ein Anblick, der so manchem Kinobesucher den Magen umdrehen könnte.

Die Szene ist Teil der Dokumentation Rest in Peace, die am 12. November in den Kinos anläuft. Die österreichische Regisseurin Andrea Morgenthaler blickt darin acht Menschen, die von Berufs wegen tagtäglich von und mit dem Tod leben, über die Schulter. Einer von ihnen ist der Kölner Kriminalbiologe Mark Benecke. Sein Spezialgebiet ist die forensische Entomologie. Das heißt, er untersucht Insekten – Maden, Fliegen, Käfer – die sich auf Leichen ansiedeln, sobald der Verwesungsprozess eintritt. Anhand der Art und des Entwicklungsstadiums der Insekten kann Benecke Rückschlüsse auf den Todeszeitpunkt, den Tatort und manchmal auch die weiteren Todesumstände ziehen.

In schwarzer Lederkluft, mit einer Pfeife im Mund, umgeben vom Tross seiner Mitarbeiterinnen im Gothic-Girl-Look, erschien Benecke vergangene Woche zur Filmpremiere in Wien. Der heftige Beifall des Kinopublikums war ihm sicher: Mit seinem lässigen, leicht verschrobenen Auftreten, den Tätowierungen, den markigen Sprüchen, die so gar nicht in den konventionellen Wissenschaftsbetrieb passen, hat er schnell die Sympathien auf seiner Seite. "Das Altern und der Tod verlieren ihren Schrecken, wenn man sie als Kuchenrezept sieht" , sagt Benecke. Das Sterben sei letztlich notwendig zur Arterhaltung, damit sich die jeweils nachfolgenden Generationen besser an die Umweltbedingungen anpassen können. Ganz einfach und pragmatisch, ohne spirituelle Hintertür.

Ekel habe er nie bei seiner Arbeit empfunden, es gehe ihm nur um die Spuren. Nach 17 Jahren Forschung an toten Körpern kann er am Geruch den Grad der Verwesung erkennen. Fleisch bringt er allerdings nicht mehr hinunter.

Knackis, Junkies, Polizisten

Die Medien feiern ihn als"Popstar der Forensik" , als "Dr. Made" oder "Kommissar Schmeißfliege" . Mit Diavorträgen tingelt der 40-Jährige – immer eine Dose Schaben und Maden mit dabei – durch die Lande und spricht über Sicherung und Auswertung von Spuren. Zu erzählen hat er einiges: Als einer der wenigen vereidigten Gutachter für biologische Forensik wird er regelmäßig zu Kriminalfällen hinzugezogen – etwa um mittels entlarvender Insektenspuren Serienkiller zu überführen oder Fälle von Pflegevernachlässigung zu klären. "Unsere Kunden sind hauptsächlich Knackis, Junkies, Polizisten und Staatsanwälte, die bei ihren Fällen nicht weiterkommen, oder Menschen, deren Angehörige vor Jahren getötet wurden" , erzählt der Freiberufler.

2002 machte Benecke auf sich aufmerksam, als er Hitlers Zähne und einen Teil seiner Schädeldecke aus einem Moskauer Archiv holte, um sie zu identifizieren und den Tod durch einen Kopfschuss zweifelsfrei zu beweisen. Außerdem publiziert er am laufenden Band: Fachartikel genauso wie Bücher über Mordmethoden, Vampirismus und skurrile Forschungsarbeiten, die bei den jährlich in Harvard vergebenen Spaßnobelpreisen prämierte werden – wo er im Komitee sitzt. Er ist Präsident der Transylvanian Society of Dracula, kandidierte für "Die Partei" , eine im Dunstkreis des Satiremagazins Titanic operierende Spaßpartei, und erklärt in Mystery-Formaten im deutschen Privatfernsehen wissenschaftliche Hintergründe. Was ihn sonst noch so interessiert (knochenharte Musik, parawissenschaftliche Phänomene, Donaldismus etc.) ist penibel auf seiner vor Informationen schier überbordenden Website dokumentiert.

Improvisieren wie ein DJ

Bei der SciCom10, einer Fachtagung für Wissenschaftskommunikation, die unter anderen vom Wissenschaftsministerium und der Stadt Wien finanziert wird, tritt Mark Benecke heute, Mittwoch, in Wien als Keynote-Speaker auf. Der Titel seiner Rede: Wie man knifflige Themen erklären kann, ohne langweilig oder unverschämt zu sein. "Erst lachen, dann denken" , so lautet Beneckes Rezept, wenn er auf dem Podium steht. "Das Thema wird so für die Leute zugänglich, danach kann man erklären." Und: "Keine Fremdwörter benutzen, nur Bilder zeigen, keinen Text." Um herauszufinden, was das Publikum will, setzt er sich manchmal kurz vor Beginn seines Auftritts in den Saal, beobachtet das Geschehen und stellt dann spontan den Ablauf zusammen. "Ich improvisiere DJ-mäßig, das ist mein Stil."

Das bedeute aber nicht, dass Wissenschaft per se unterhaltsam sein müsse, wenn sie an die breite Öffentlichkeit getragen wird. Jedoch: "Bloß keine Assoziationen mit langweiligem Schulunterricht!" Auch sämtliche Regeln aus Rhetoriktrainings – etwa den Grundsatz, anfangs einen Überblick über die zu erwartenden Themen zu geben – verwirft Benecke. "Es geht nicht darum, dem Publikum zu erzählen, wie schlau ich bin, sondern dem Publikum den Eindruck zu geben, dass es schlau ist."

Wie viel davon ist publikumsnahe Vermittlung von Wissenschaft, wie viel eine Show rund um den Kriminaltechnik-Hype à la CSI? "Ich mache genau das, worauf ich Bock habe" , meint Benecke und weist jeden Verdacht der Inszenierung entschieden zurück. "Dass ich ein Popstar sein soll, ist reine Fiktion von den Leuten, die das gerne hätten." Die Darstellung von Forensikern in TV-Serien hält er ohnedies für "totalen Quatsch" . Realistisch sei nur eine Szene in Das Schweigen der Lämmer: "Da sitzen zwei forensische Zoologen mit Karohemden und dicken Brillen am Tisch und spielen Schach mit Kakerlaken. Das passt."

Ein Schlüsselerlebnis für den 1970 geborenen Tausendsassa war übrigens der Film Blade Runner, in dem das Gewebe der Androiden nicht von menschlichem zu unterscheiden war. Dann wurde der genetische Fingerabdruck entwickelt, der Film war überholt – und Benecke, der neben Biologie auch in Germanistik und Theaterwissenschaften inskribiert war, fasste den Entschluss, dass er Kriminalbiologe werden würde. Schon als Kind hat ihn "zu Tode genervt" , dass in der Kölner Siedlung, wo er aufwuchs, nie jemand Antworten auf seinen Fragen wusste. Jetzt beantwortet er sie eben selbst – so gut es nur geht. (Karin Krichmayr/DER STANDARD, Printausgabe, 10.11.2010)