Marc Ribot im November 2010 mit seinem Projekt "Sun Ship" im Wiener Porgy & Bess.

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Marc Ribot, geboren 1954 in Newark, New Jersey, beginnt seine Karriere als Gitarrist Ende der 70er Jahre in der New Yorker No-Wave-Szene. Als Mitglied der Soul-Punk-Gruppe The Realtones begleitet er auch Soul-Ikonen wie Wilson Pickett oder Rock'n'Roll-Pionier Chuck Berry, 1984 bis 1989 spielt er mit John Luries Lounge Lizards. Tom Waits lädt ihn 1985 ein, auf seinem Album "Rain Dogs" mitzuspielen und beginnt damit eine Zusammenarbeit, die ebenso wie jene mit Elvis Costello bis heute anhält.

Eine weitere langjährige Partnerschaft verbindet Ribot mit dem New Yorker Avantgardisten John Zorn, dessen "Book of Heads" er 1995 einspielt - unter dem Einsatz von Luftballonen, Sprechpuppen oder Kugelschreibern, mit denen er die Gitarre bearbeitet.

Als Session-Musiker wird Ribot unter anderem auch von Marianne Faithfull, Allen Ginsberg, Jakob Dylan, Robert Plant & Alison Krauss, Madeleine Peyroux, Arto Lindsay, Caetano Veloso, Laurie Anderson, The Jazz Passengers, Patti Scialfa oder Medeski Martin & Wood ins Studio geholt.

Sein erstes eigenes Album veröffentlicht Ribot 1990 mit "Rootless Cosmopolitans", dem weitere Band-Projekte wie "Shrek", das Albert-Ayler-Tribute "Spiritual Unity" und zuletzt Ceramic Dog, aber auch Solo-Alben wie "Saints" folgen. Überraschungserfolge landet Ribot Ende der 90er Jahre mit seinen beiden Alben mit kubanischer Musik, "The Prosthetic Cubans" und "¡Muy Divertido!". Bereits 1993 würdigte der Gitarrist mit "Marc Ribot Plays Solo Guitar Works of Frantz Casseus" jenen aus Haiti stammenden klassischen Gitarristen und Freund seiner Familie, bei dem er ganz am Anfang seiner Laufbahn erstmals Gitarrenunterricht genommen hatte.

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Das jüngste Solo-Album des Gitarristen: "Silent Movies" (Pi Recordings)

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derStandard.at: Vor wenigen Wochen ist der Soul-Musiker Solomon Burke gestorben. Sie haben mit ihm am Anfang ihrer Karriere zusammengespielt, als sie mit den Realtones als Back-Up-Band für viele Größen des Southern Soul fungierten.

Ribot: Burkes Live-Platte "Soul Alive!" ist das erste offizielle Album, auf dem ich drauf bin. Es ist traurig, dass er gestorben ist, er war großartig, einer der mitreißendsten Performer, mit dem ich je gearbeitet habe. Er hatte eine wirklich unglaubliche Kontrolle über das Publikum. Jeder verwendet diese Klischees wie "clap you hands!" oder "everybody get up!", aber wenn er dem Publikum sagte, "clap your hands", hat auch der allerletzte im Raum geklatscht. Ich weiß nicht, wie er das gemacht hat.

derStandard.at: Sie sind vielen durch ihre anschließende Zusammenarbeit mit Tom Waits, dessen Sound sie ab "Rain Dogs" (1985) wesentlich mitgeprägt haben, bekannt. Es heißt, Waits hätte Ihnen viele Freiheit gelassen.

Ribot: Nicht nur mir, allen Musikern! Er holt sich Leute, die er mag. Man nähert sich gemeinsam dem Stück, jeder entwickelt seine Ideen und Parts, manchmal kritisiert Waits etwas, und sagt, probier etwas anderes. Ich hatte bei ihm immer genügend Platz, um Dinge auszuprobieren.

derStandard.at: Sie haben einmal gesagt, Sie versuchen sich eine Geschichte der Rock-Musik vorzustellen, die Jazz-Musiker wie Ornette Coleman und Albert Ayler einschließt. Erklärt das auch ihr jüngstes, eigenes Projekt, die Band "Sun Ship", benannt nach dem Album von John Coltrane?

Ribot: Ja, absolut. Vor dem Beginn jeder Tournee habe ich eine Vorstellung, was wir spielen werden. Welche Stücke aber wirklich gut funktionieren, wird dann erst während einer Tournee klar. Seltsamerweise sind das, egal ob wir "Sun Ship"-Stücke oder eigene in einer Free-Jazz-Tradition gehaltenen Originalkompositionen spielen, nicht so sehr Jazz-Standards, sondern Blues-Stücke. Für mich haben bestimmte Blues-Songs und bestimmte Punk-Rock-Songs eine ähnliche Funktion, und das ist eine Revolte gegen Bullshit und Prätention - und dagegen, keinen Spaß zu haben.

derStandard.at: Ein für seinen rauen, unberechenbaren Stil bekannter Blues-Musiker, an den Ihr Spiel manchmal erinnert, ist Hubert Sumlin, der einstige Gitarrist von Howlin' Wolf.

Ribot: Es freut mich immer, wenn die Leute das hören, weil ich die Howlin'-Wolf-Alben, auf denen er zu hören ist, wirklich liebe. Sumlin ist übrigens bei guter Gesundheit und spielt heute besser denn je.

derStandard.at: Mit "Sun Ship" covern Sie Stücke von John Coltranes klassischen Quartett, allerdings ohne Saxofon und ohne Klavier. Ihr Gitarrenspiel scheint von Saxofonisten mindestens so beeinflusst zu sein wie von Gitarristen.

Ribot: Man kann viele verschiedene Instrumente auf der Gitarre spielen, man muss nicht Gitarre auf der Gitarre spielen. Ich denke etwa immer, dass Bill Frisell Klarinette oder etwas Ähnliches auf der Gitarre spielt, und Lenny Breau spielte eine Art Harfe auf der Gitarre. Der Grund, warum ich Stücke von Saxofonisten covere ist einerseits, weil es als Hauptinstrument des Jazz sehr wichtig ist, ein anderer Grund ist, dass ich Interpretation sehr wichtig finde. Wenn man ein Saxofonstück auf der Gitarre spielt, ist es klar, dass dazu ein bestimmter Anteil an Interpretation bzw. sogar Übersetzung notwendig ist. Mich interessiert, wie man Musik übersetzt und was dabei überlebt.

derStandard.at: Übersetzung und Interpretation spielen auch auf Ihrem gerade erschienen Solo-Album "Silent Movies", das laut Ihren Liner Notes von der Arbeit an verschiedenen Filmmusiken inspiriert wurde, eine große Rolle.

Ribot: Ich bereue diese Liner Notes mittlerweile etwas, weil jeder denkt, es handelt sich um Filmmusik. Was "Silent Movies" wirklich ist, ist ein Solo-Gitarre-Album. Alles wurde sowohl elektrisch als auch akustisch eingespielt. Es ist ein ganz anderes Projekt als "Sun Ship", zum Großteil durchkomponiert, nicht so sehr Filmmusik denn ein Analogon zu Film. Es handelt sich um Musikstücke, die selbst wie ein Film sind. Der ursprüngliche Arbeitstitel war "Blind Movies".

derStandard.at: Die Musik von "Silent Movies" evoziert Filme im Kopf.

Ribot: Das ist genau, was ich meine. Umgekehrt können Stummfilme Töne im Kopf evozieren, man stellt sich ja beim Betrachten immer auch Töne vor. Eine weitere Überschneidung von Musik und Bildern hat mit Vorstellungen von Raum zu tun. Da gibt es den Raum zwischen den Noten, aber auch Vorstellungen von Raum, die durch die Musik, durch Effekte wie Hall, die Platzierung von Mikrofonen oder unterschiedliche Lautstärken vermittelt werden.

derStandard.at: Ein Stück auf "Silent Movies" hat mich aber sehr konkret an einen existierenden Film erinnert: "Radio" klingt stellenweise wie das "Third Man Theme".

Ribot: Das ist witzig! Dieses Stück hat einen "Antik-Sound", den wir erzielten, in dem wir einen alten deutschen Radio-Vorverstärker aus der Vorkriegszeit verwendet haben. Überhaupt haben wir bei "Silent Movies" mit viel altem Equipment gearbeitet.

derStandard.at: In den Liner Notes schreiben Sie vom Aufnehmen in klassischen Studios als einer aussterbenden Kunstform.

Ribot: Auf der einen Seite wird es wegen der Technologie immer einfacher, CDs aufzunehmen: Jeder, der einen schnellen Computer und 5.000 bis 10.000 Dollar hat, kann ein Album aufnehmen, das ganz OK klingt, vorausgesetzt man hat einen geeigneten Raum. Das ist jedenfalls vergleichsweise billig, wenn man bedenkt, dass wirklich gute Studios 1.500 Dollar am Tag kosten. Was aber immer schwieriger und schwieriger wird, ist, Platten zu verkaufen. Man muss kein Wirtschaftsexperte sein, um zu verstehen, dass es nicht einfach ist, etwas zu verkaufen, das die Leute gratis bekommen können. Daher laufen jene von uns, die mit der Vorstellung aufgewachsen sind, Platten zu machen, derzeit geschockt herum. Wir machen es noch immer, ich weiß aber nicht, warum (lacht). Wir tun es wohl, weil wir nicht wissen, was wir sonst machen würden.

derStandard.at: Als Sideman arbeiten Sie auch an sehr großen, kommerziell erfolgreichen Produktionen mit, zuletzt etwa auf Alben von Alison Krauss & Robert Plant, Jakob Dylan oder John Mellencamp, die allesamt von T Bone Burnett produziert wurden. Sie scheinen ein gutes Einverständnis mit Burnett zu haben.

Ribot: T Bone ist audiophil und hat viele Ideen, wie Platten klingen sollen, und offensichtlich kommen diese Vorstellungen gut an, denn es scheint, er kann eine Platinum-Platte machen, wann immer ihm danach ist. Aber die Basis unserer Beziehung ist, dass er Sachen mag, die rocken und ein unfehlbares Ohr dafür hat. Er wird eine Aufnahme, die rockt einer anderen, auf der alles perfekt ist, immer vorziehen.

derStandard.at: "National Ransom", eine weiteres aktuelles Projekt mit T Bone Burnett, hat Sie mit einem anderen alten Weggefährten zusammengeführt: Elvis Costello, den Sie auf Konzerten wie im Studio immer wieder begleitet haben.

Ribot: Das Costello-Album wurde in Nashville aufgenommen. Ich muss dazu sagen, dass dabei alle Klischeevorstellungen, die viele über Nashville-Musiker haben, völlig über den Haufen geworfen wurden. Alle Nashville-Musiker, die ich getroffen habe, sind wirklich kosmopolitisch und exzellente Musiker.

Dazu kommt eine andere Sache: T Bone hat im ganzen Land Musiker gefunden, mit denen er gerne zusammenarbeitet und mit denen er unglaubliche Bands zusammenstellt. Er setzt etwa Jim Keltner und Jay Bellerose, zwei sehr unterschiedliche und ganz und gar fantastische Drummer, manchmal getrennt, manchmal zusammen, am Schlagzeug und Dennis Crouch am Bass ein.

derStandard.at: Ein Nashville-Musiker, mit dem Sie und Bill Frisell Anfang des Jahres ein Trio-Album eingespielt haben, ist Buddy Miller. Wann können wir das Ergebnis hören?

Ribot: Voraussichtlich im Jänner. Es hat eine Weile gedauert, weil wir in alle Himmelsrichtungen verstreut sind.

derStandard.at: Sowohl Soul- als auch Nashville-Gitarristen verwenden gerne die Fender Telecaster, die älteste in Serie produzierte E-Gitarre, die heuer ihr 60-Jahrhubiläum feiert. Auch Sie gelten als Telecaster-Fan.

Ribot: Eine Telecaster zu spielen ist in gewisser Hinsicht, wie wenn man sich in ein Kloster begibt: Sie gibt nicht viel her, wenn man sie ohne Strom anschlägt, und es ist eine Gitarre, die einem nichts verzeiht. Sie ist die elektrischste Gitarre aller E-Gitarren, pure electric guitarness.

Was mich an der Telecaster und an E-Gitarrenklängen auch interessiert, ist, dass es sich dabei um reinen Fetischismus handelt. Ich denke, dass man Messungen durchführen kann, die objektiv belegen, dass sehr teuere Geigen etwa ausgewogenere Obertonreihen erzeugen als eine 200-Dollar-Geige. Aber ich glaube nicht, dass es irgendeine objektive Basis für die Wertschätzung von E-Gitarren gibt. Hier spielen die Geschichte und Fetischismus eine große Rolle. Gut, es gibt Gitarren, die exquisit verarbeitet sind, aber die Wahrheit ist, dass das wertvollste Instrument, das ich besitze, meine 1957er Telecaster ist. Da gibt es fast keine Beziehung zwischen dem ursprünglichen und dem heutigen Verkaufspreis. Es gibt keinen Bezug zu den Produktionskosten oder den Fertigungstechniken. Es gibt fast eine umgekehrte Beziehung, weil Pop-Musik in den USA mit der gesellschaftlichen Klasse zu tun hat. Die Instrumente, die sich Arbeiter in Detroit, Muscle Shoals oder Chicago leisten konnten, sind jene, für die die Leute heute 20.000 Dollar zahlen. Über die Telecaster hat man sich ursprünglich lustig gemacht und war für 200 Dollar zu bekommen. Übrigens konnte sich auch ein Musiker wie Grant Green aus verschiedenen Gründen nie teure Gitarren leisten.

derStandard.at: Sie haben den Jazz-Gitarristen Grant Green manchmal als Vorbild genannt.

Ribot: Ich habe Grant Green immer gemocht. Irgendwann, in einem alternativen Leben als jemand, der über Musik schreibt, würde ich gerne eine Studie über das autistische Element in den Gitarrensoli von Grant Green publizieren. Es gibt immer einen Moment, wenn er sich an diese mathematisch perfekten Wiederholungen macht und diese dann ein wenig zu lange durchhält, bis die Leute beginnen, sich ein wenig unwohl zu fühlen (lacht).

derStandard.at: Sie haben in Ihrer Laufbahn mit den unterschiedlichsten Musikern in sehr verschiedenen Genres zusammengearbeitet und haben dabei eine ganz eigene Stimme entwickelt.

Ribot: Ich will nicht immer gleich klingen. Wenn ich einen wiederkennbaren Sound habe, halte ich das eigentlich für einen Fehler. Das sind meine Grenzen. Ich denke, das jeweilige Stück sollte immer den Zugang des Musikers bestimmen. (Karl Gedlicka, derStandard.at, 21. November 2010)