Angelika Amon meint, dass die Bedingungen für Wissenschafterinnen in den USA vor allem aus zwei Gründen besser sind: höhere Gehälter und mehr Kinderbetreuungsplätze.

Foto: MIT

Menschliche Zellen, die eine Chromosomenanomalie aufweisen. Angelika Amon und ihre Kollegen am MIT erforschen, wie der falscher Chromosomensatz zu Krankheiten wie Krebs führt.

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Peter Illetschko fragte nach.

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STANDARD: Sie haben zwei kleine Kinder. Wie oft hören Sie die Frage, wie schwierig es ist, Familie und Forschung zu vereinbaren?

Amon: Sehr oft. Am MIT gibt es wie in Österreich Gesprächsrunden über die Probleme, die dadurch entstehen. Da ich aber nicht lügen will, lehne ich derartige Einladungen gerne ab. Wenn ich nämlich erzähle, welches straffe Zeitmanagement das mit sich bringt, dann gehen die jungen Leute nicht mehr in die Wissenschaft. Ich muss aber auch sagen: Im Vergleich zu anderen Jobs, die man mit fertigem Studium in den USA annehmen könnte, ist es in der Forschung noch rosig. Als junge Anwältin in Downtown Manhattan sind 80 bis 100 Stunden in der Woche normal. Da gehen sich Kinder nicht aus.

STANDARD: Ist die Situation in den USA also auch nicht besser als in Österreich?

Amon: Nein, sie ist schon um einiges besser. Und zwar, weil man deutlich besser bezahlt wird. Es gibt außerdem mehr Kindertagesplätze , die auch besser organisiert sind als in Österreich. Die Gesellschaft ist offener: In den USA gibt es kein Stigma der arbeitenden Mutter mehr. Da ist es aber auch normal, dass Frauen nach wenigen Wochen wieder arbeiten und dass Väter bei den Kindern bleiben. Im deutschsprachigen Raum ist das noch eher die Ausnahme. Das ist ein mitteleuropäisches Phänomen. Sogar in Italien und in Frankreich ist das Bewusstsein dafür besser ausgeprägt. Von Skandinavien ganz zu schweigen. Durch diese Gesellschaftsstruktur vertreibt man viele Wissenschafterinnen aus ihrem Fach. In der Biologie gibt es mehr weibliche als männliche Studenten in Österreich. Bei den Dissertanten steht das Verhältnis 50:50, bei den Postdocs 40:60, und schließlich haben wir nicht einmal zehn Prozent Professorinnen. Damit geht der Forschung auch viel Potenzial verloren.

STANDARD: Dass in Österreich die Forschung gegenüber den USA hinterherhinkt, ist klar. Wie aber stehen die USA gegenüber Asien da? Kürzlich wurde in den USA groß diskutiert, dass das Land in den nächsten Jahren seinen Führungsanspruch in den Naturwissenschaften gegenüber China oder Indien wohl nicht halten wird.

Amon: Die asiatische Kultur legt sehr viel Wert auf Bildung und Weiterbildung. Wir haben am MIT mehr als 50 Prozent Studenten asiatischer Abstammung. Einige gehen danach vielleicht nach China oder Singapur und werden dort mit offenen Armen empfangen. Nur welchen Boden finden sie dort vor? Es wird dort keine Basis für Kreativität und Querdenken geschaffen - im Gegenteil. Auch in Japan sehe ich das nicht. Da arbeiten Wissenschafter jahrzehntelang unter einem Universitätsprofessor. Da ist das US-System unschlagbar. Junge Leute kriegen rasch genügend Geld, um ihr eigenes Labor und ihre eigene Arbeitsgruppe aufzubauen. Das ist ein System, das ich mir auch für Österreich wünschen würde.

STANDARD: Die Fördertöpfe schütten aber auch in den USA derzeit weniger Geld aus. Woher bekommen die jungen Wissenschafter ihre Mittel für die Forschung?

Amon: Zum Teil auch durch Charity-Fonds philantropischer Gesellschaften. Die halten das System über Wasser. Die National Institutes of Health zum Beispiel können derzeit nur maximal zwölf von hundert Anträgen genehmigen. Das ist katastrophal. Präsident Obama kann angesichts des Budgetlochs forschungspolitisch wohl nicht so agieren, wie er gern würde. Die Republikaner achten darauf, dass das Budget für Verteidigung sicher nicht gekürzt wird.

STANDARD: Ist die Stagnation in der öffentlichen Forschungsfinanzierung mit jener in Österreich vergleichbar?

Amon: Nein, obwohl das Budget des Wissenschaftsfonds FWF stagniert, liegt die Bewilligungsrate immer noch bei 30 Prozent. Das ist rein prozentuell sogar besser als in den USA. Es ist aber immer noch viel zu wenig, wie man möglicherweise bald merken wird. Da es nämlich auch mehr Wettbewerb um gleichbleibende Mittel gibt, wird der Druck auf das Fördersystem sicher größer.

STANDARD: Was fehlt im österreichischen System? Was läuft falsch?

Amon: In Österreich und in der gesamten EU herrscht mitunter auch schon die Denkweise "Only big science is good science" . Das ist fatal, wenn man dann nur mehr an die großen Gensequenzierungen denkt. Da lässt man Querdenkern keine Chance. Und es wird zu viel an die mögliche, rasche Anwendung von Grundlagenforschungsergebnissen gedacht. Das muss nicht sein - und behindert auch das freie Denken. Grundlagenforschung braucht Zeit. Die einzige Lösung wäre, mehr Geld in das System zu pumpen. Oder sich eben über Charity-Fonds finanzieren zu lassen.

STANDARD: Sie erforschen bereits seit Ihrer Dissertation die Rolle der Chromosomen bei den komplexen Mechanismen der Zellteilung und haben für Ihre Arbeiten etliche hohe Auszeichnungen bekommen. Kann man Ihre Erkenntnisse auch anwenden?

Amon: Wir haben kürzlich in einem Paper im Fachmagazin Cell die Möglichkeit beschrieben, charakteristische Chromosomenanomalien von Krebszellen auszunützen, um diese Zellen spezifisch zu töten. Das wäre eine ideale Ergänzungsbehandlung zur traditionellen Chemotherapie. Mit der erwischt man, wenn man rechtzeitig dran ist, 90 bis 95 Prozent aller Krebszellen. Die übrigen fünf bis zehn Prozent können aber expandieren und werden nach einigen Jahren gegen die Chemotherapie resistent. Diesen Prozentsatz der resistenten Zellen würde man mit dieser Ergänzungstherapie sofort erwischen. Das ist unsere Hoffnung. Man kann sich das vorstellen wie bei einer Lungenentzündung: Die besiegt man mit einem funktionierenden Immunsystem und einem zusätzlichen Antibiotikum in Kombination. Wer aber nach einer Transplantation kein Immunsystem hat und Antibiotika bekommt, stirbt. (Peter Illetschko/DER STANDARD, Printausgabe, 09.03.2011)