Nnedi Okorafor: "Who Fears Death"
Gebundene Ausgabe, 400 Seiten, DAW 2010.
Tonight, you want to know how I came to be what I am. (...) Thankfully, even my long story will fit on that laptop of yours. Und dabei ist es keine Kleinigkeit, die die Erzählerin hier ihrem unbekannten Zuhörer berichtet, während sie auf ihre Hinrichtung wartet. "Who Fears Death" ist gleichermaßen eine Messias- und eine Rachegeschichte, ein episches Märchen und ein politisches Statement. Nnedi Okorafor, eine US-Autorin nigerianischer Abstammung, schaffte es damit unter die heurigen AnwärterInnen für den Nebula Award und galt sogar als eine Favoritin, musste sich aber letztlich den Zeitreiseromanen "Blackout / All Clear" von Connie Willis geschlagen geben. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.
Wir befinden uns in einer wüstenhaften Region Afrikas, Ort und Zeit bleiben vage. Es muss irgendwann in der Zukunft sein, denn einmal wird gesagt, dass die "Maschinen im Himmel" gelegentlich noch Botschaften zur Erde senden; zudem sind kleine tragbare Computer noch in der ärmsten Hütte vorhanden (auch wenn nie so ganz klar wird, wofür man sie eigentlich benutzt). Doch ist "Who Fears Death" zum Genre des Magic Realism zu zählen - die Magie äußert sich einerseits in Juju, der simplen Alltagshexerei, die relativ leicht zu erlernen ist, und andererseits in den Great Mystic Points, die nur wenige Auserwählte jemals zu beherrschen vermögen. Unter ihnen schließlich auch die Romanheldin Onyesonwu, die bei einer Vergewaltigung gezeugt wurde: ein Umstand, der ihr ganzes Leben prägen wird. Im Hintergrund schwelt der ethnische Konflikt zwischen den dunkelhäutigen Okekwe, zu denen auch Onyes Mutter gehört, und den mediterran/arabisch beschriebenen Nurus, die die Okekwe versklavt haben und nun darangehen, sie auszulöschen. Allerdings zündet Okorafor einige Nebelkerzen, die die simple Übertragung heutiger oder vergangener Konfliktlinien auf ihre fiktive Welt unmöglich machen: So werden im vielfach zitierten Great Book, einer Art Schöpfungsmythos der neuen Welt, die Okekwe als diejenigen beschrieben, die einst unerlaubt eine technische Zivilisation gründeten und dafür von der Göttin Ani mit ihrem jetzigen Los bestraft wurden.
Schon bei der Geburt zeigt sich Onyes ungeduldiges und wütendes Wesen; ihr Name - wörtlich übersetzt mit "Wer fürchtet den Tod" - ist eine einzige Herausforderung. Rache an ihrem biologischen Nuru-Vater zu nehmen wird zu ihrem Antrieb. Und als sie in jungen Jahren entdeckt, dass sie die Fähigkeit des Gestaltwandelns hat, weiß sie auch wie. Doch benötigt sie zuvor eine magische Ausbildung, und das ist ihr sowohl durch ihr Geschlecht als auch durch den Umstand verwehrt, dass sie eine Ewu ist, ein gewaltsam gezeugtes Mischlingskind. Wer aus Gewalt entstanden ist, wird später selbst Gewalt säen, so lautet der allgemeine Glaube, der Onye allenthalben auf Ablehnung stoßen lässt. Und auch wenn dieses Vorurteil im Verlauf der Handlung nicht gerade widerlegt wird, kann sie schließlich nichts dafür und gibt somit eine überaus spannende Hauptfigur ab.
Trost und Unterstützung findet Onye beim jungen Mwita, ebenfalls ein Ewu, und den Okekwe-Mädchen Binta, Luyu und Diti, die zusammen mit ihr das Beschneidungsritual absolviert haben und ihr seitdem in unerschütterlicher Freundschaft verbunden sind. Fast unerschütterlich zumindest, denn wenn die fünf in der zweiten Romanhälfte zu ihrer Racheexpedition aufbrechen, wird es neben Onyes fortschreitender innerer Reifung auch sehr viel um Gruppenchemie und die Liebesbeziehung mit Mwita gehen - dass dieser Abschnitt mit der an obigen Zuhörer gerichteten Anweisung "Type fast because I will speak that way" eingeleitet wird, stimmt also nur bedingt - später überschlagen sich dann allerdings wieder die Ereignisse. Und wie aus der Beschreibung erkennbar wird: Neben Bezugnahme auf afrikanische Mythen ist in Nnedi Okorafors Roman auch vieles an geläufigen westlichen Fantasy-Topoi eingeflossen, von der Prophezeiung einer vom Schicksal erwählten Erlöserin über die Ausbildung zur Schülerin der Magie bis zu den Umtrieben eines dunklen Hexers. Viele Elemente wirken auch deshalb vertraut, weil sie die Erzählstrukturen von Märchen übernehmen - etwa der dreimalige Gang Onyes zu ihrem künftigen Lehrmeister, ehe er sie endlich akzeptiert. Erzählt wird das Ganze in einer klaren, oft auch schonungslosen Sprache, die in ihrer Knappheit poetischer wirkt, als wenn sie sich in barocken Ausschmückungen erginge.
Dass "Who Fears Death" nicht einfach - besser gesagt nicht einmal annähernd - "Harry Potter" auf afrikanisch ist, hat mehrere Gründe. Immerhin geht es hier um nicht weniger als die Geburt eines Mythos, und der will auch in entsprechender Weise erzählt werden. Das beginnt bei Onyes Geburt in der Wüste, reicht über die ersten - guten wie bösen - Wunder, die sie wirkt, und mündet in einen Lebensweg, der gleichermaßen Schicksalserfüllung wie auch Auflehnung dagegen ist. Opfer müssen gebracht werden und so manches kommt anders als gedacht. Viele Stationen auf diesem Weg haben Gleichnischarakter - etwa als eine von Onyes Wegbegleiterinnen ermordet wird und Onye zur Strafe die gesamte Stadt, in der sich das Hate Crime ereignet hat, blendet: We left the town blind as they'd always been. Eine Messiasgeschichte von innen zu erzählen, ohne an deren Außenwirkung zu kratzen, ist ein ziemlicher Balanceakt. Und nicht der einzige, den Okorafor hier zu bewältigen hat.
Ausgangspunkt des Romans war nämlich alles andere als ein Märchen, sondern ein Artikel in der "Washington Post" über als Kriegswaffe eingesetzte systematische Vergewaltigungen im Sudan. So werden die LeserInnen in "Who Fears Death" mit einer Menge Themen konfrontiert, die sie von einem Roman aus dem Großraum Fantasy kaum erwarten dürften: Ethnische Säuberungen bzw. Genozid, Diskriminierung von Vergewaltigungsopfern, Klitoris-Beschneidung und dergleichen mehr. So einen schweren Stoff mit Magic Realism zu kombinieren, schwebt laufend in der Gefahr, auf eskapistische Kitschlösungen zu verfallen. Ein einziges Mal übertritt Okorafor diese Grenze: Dann nämlich, als Onye die Möglichkeiten des Gestaltwandelns dazu nutzt, ihre Klitoris - plopp, das heißt stopp - wieder nachwachsen zu lassen. Ansonsten umschifft die Autorin sämtliche Klippen aber souverän. - Ähnlich wie "Alles, was wir geben mussten" ist "Who Fears Death" ein Roman, der nicht als Genre-Werk verstanden werden will und seinen Erfolg dem Umstand verdankt, dass er auch - und vielleicht sogar vor allem - Nicht-GenreleserInnen anspricht. Ich war beeindruckt, wenn auch nicht begeistert.