Daniel Lanois beim Interview mit seiner viel bewährten Gibson Les Paul Goldtop aus den 50er Jahren.

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Kanadier unter sich: Neil Young und Daniel Lanois.

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Das jüngste Band-Projekt von Lanois: Black Dub mit Sängerin Trixie Whitley.

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1998 heimsten Produzent Lanois (li.) und Bob Dylan (re.) für Time Out of Mind den Grammy für das Album of the Year ein.

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Noch als Teenager produzierte Daniel Lanois im Keller des Hauses seiner Mutter im kanadischen Hamilton Demoaufnahmen von Funkmaster Rick James. Heute reicht die Klientenliste des 59-Jährigen von Bob Dylan, Willie Nelson und Neil Young bis zu Ron Sexsmith, Peter Gabriel und U2. Mit atmosphärischen, bisweilen weite Sound-Landschaften evozierenden Einspielungen hat sich Lanois als einer der wichtigsten Produzenten der letzten 25 Jahre etabliert.

Daneben hat Lanois, der bei seinen Produktionen nicht nur hinter dem Mischpult, sondern auch an diversen Instrumenten zu finden ist, mehrere Solo-Alben herausgebracht und mit Black Dub ein eigenes Band-Projekt ins Leben gerufen. Auch beim Interview mit derStandard.at, bei dem er anlässlich eines Auftrittes von Black Dub in Wien Auskunft über seine vielfältigen musikalischen Abenteuer gab, griff Lanois zwischendurch zur Gitarre.

derStandard.at: Das erste, was man von ihrem jüngsten Projekt Black Dub, noch vor einer Albumveröffentlichung hören oder sehen konnte, waren YouTube-Videos. Wie kam die Band zustande?

Lanois: Diese wirklich schönen Filme, die wir ins Internet gestellt haben, wurden von einem kanadischen Kameramann, Adam Vollick, gemacht. Er begleitet mich, und wir verfolgen die einfache Idee, dass das Bild von einer einzigen Person aus gesehen und nicht im Schneideraum zerschnipselt werden sollte. Es ist Ok, wenn man nicht alles auf einmal sieht. Wir haben diese Filme bei Live-Performances im Vorraum meines Hauses in Los Angeles gemacht. Das hat uns viel Aufmerksamkeit und einen Plattenvertrag eingebracht. Die Leute waren sehr beeindruckt, dass wir so tolle Musik mit nur ein paar Menschen in einem Raum machen konnten.

Die Geschichte von Black Dub geht aber noch weiter zurück. Ich habe Trixie Whitley in Belgien getroffen, nachdem ich eine Show mit dem Drummer Brian Blade gespielt hatte. Sie kam backstage, um Hallo zu sagen. Ich kannte ihren Vater (den 2005 verstorbenen Blues-Sänger Chris Whitley, Anm.) sehr gut und hatte sie nicht gesehen, seit sie ein kleines Mädchen war. Ich hörte sie ihre Songs singen, fand sie großartig und witterte die Chance für ein neues Projekt: Songs für diese starke Sängerin zu schreiben. Auf eine eigenartige Art und Weise ist das jetzt die Fortführung einer Familie, da ich ja ihrem Vater bei seinem ersten Album geholfen hatte.

derStandard.at: Bezieht sich der Bandname Black Dub auf Dub Music?

Lanois: Ja, zum Teil. Ich habe immer ein Standbein auf Jamaika behalten und besitze heute ein Haus in Negril. Bereits als ich erstmals hin kam, um mit Jimmy Cliff zu arbeiten, mietete ich für Jahre ein Quartier von meinem Freund Chris Blackwell (legendärer Begründer des Labels Island Records und Produzent von Bob Marley, Anm.). Ich kippte in die ganze Szene von Jamaika rein, je mehr ich mir die alten Aufnahmen aus frühen 50ern und den 60er Jahren anhörte. Man war damals sehr mutig, einfallsreich und sehr rhythmisch. Diese Leute haben fantastische Aufnahme mit sehr wenig Equipment gemacht. Das hat mir gefallen. Der Schwerpunkt lag auf den Menschen und wie man aus dem Equipment das meiste rausholen konnte.

derStandard.at: Wären YouTube-Videos wie jene, die sie mit Black Dub gemacht haben, auch für junge Bands realisierbar?

Lanois: Diese Idee ist für alle verfügbar, besonders heute mit iPhones und den neuen ganzen Apps. Wenn man gutes Licht hat, kann man sehr schöne und faszinierende Filme machen, verglichen mit vor zehn Jahren, als Videos irgendwie scheußlich ausschauten. Wenn deine Band gut klingt, können deine Freunde sie ganz einfach mit zwei iPhones filmen und du mischt eine 2-Spur-Tonaufnahme dazu und hast eine sehr gute Qualität. Es ist wirklich unglaublich. Steve Jobs did a good job!

derStandard.at: Sie sind bekannt dafür, dass sie mit U2, Bob Dylan, Willie Nelson und vielen anderen an unüblichen Orten Alben aufgenommen haben. Warum vermeiden Sie konventionelle Tonstudios?

Lanois: Ich hatte sehr lange in Kanada ein herkömmliches Studio. Ich mochte meine Räume nicht und fand, dass sie tot und nicht interessant klangen. Deswegen begann ich in meiner Heimatstadt Hamilton in der alten Bibliothek, die geschlossen worden war, ein Jahr lang zu experimentieren. Sie war voller Korridore, interessanter Hinterzimmer, Mezzanine. Das erlaubte es mir, den Wert von Räumen, die ein großer Teil des Sounds sind, zu verstehen. Aus diesem Grund bin ich auf unübliche Orte gekommen, die Überraschungen mit sich bringen. Ich will nicht alles unter Kontrolle haben, ich mag es, wenn ein Gebäude mit unerwarteten Klangeigenschaften aufwartet.

Wenn man etwas für ein bestimmtes Projekt vorbereitet, kommt hinzu, dass die Hingabe für einen bestimmten Künstler im Spiel ist, der dann das Gefühl hat, dass man ihm eine spezielle Aufmerksamkeit schenkt. Man kann es sich wie ein Filmset vorstellen, das man in der Wüste aufbaut und alle ziehen dort hin. Das andere, was mir klar wurde, ist, wenn jemand irgendwo Musik spielt und dabei gut klingt, bring ihn nicht in einen anderen Raum, sondern nimm ihn dort auf, wo er ist. Manchmal hat man nur diese eine Chance.

derStandard.at: In ihrer Autobiografie Soul Mining schreiben Sie darüber, wie enttäuscht Sie waren, als Bob Dylan darauf bestand, die Aufnahmen für Time Out of Mind von ihrem eigenen, in einem alten Kino in Los Angeles eingerichteten Studio Teatro in ein konventionelles Studio in Miami zu verlegen.

Lanois: Genau das habe ich gemeint, das ist ein Beispiel. Es war Bobs Entscheidung, weil er seiner gewohnten Umgebung in Los Angeles entfliehen wollte. Ich habe ein wirklich fantastisches Klavier, ein restauriertes 100 Jahre altes Steinway B. Als wir in das andere Studio kamen, hatten sie ein japanisches Klavier, das ich nicht so gern mochte. Wir Album-Macher schätzen diese kleinen Dinge mit Persönlichkeit. Wenn etwas gut klingt, sag: "Danke, wunderbar!". Und glaub nicht, dass etwas wo anders genauso gut ist.

derStandard.at: Arbeiten Sie mit alter oder neuer Technologie, wenn sie aufnehmen?

Lanois: Ich mische immer alt und neu. Ich habe alle meine Lieblingsteile, etwa bestimmte Mikrofone, über die Jahre behalten. Ich kann kein neues Mikrofon finden, das genauso gut klingt wie jenes alte Sony, mit dem ich Dylan aufgenommen habe. Wir schleppen seit Jahren dieses alte, schwere Analog-Equipment rund um die Welt.

derStandard.at: Sie haben im Zusammenhang mit Ihren Produktionen von der Bedeutung der Schärfentiefe gesprochen. Können Sie dies kurz erklären?

Lanois: Ja, das ist natürlich eigentlich ein Begriff aus der Fotografie. Es ist eine Qualität, die wir in den visuellen Künsten schätzen, die uns über die versteckten Ecken in Bildern rätseln lässt. Dies trifft aber auch zu , wenn es um Klänge geht, denn auch hier geht es um ein Bild, wenn auch nicht für das Auge. Wir wissen instinktiv, dass etwas, das keine hohen Frequenzen hat, etwas weiter weg sein muss, während etwas mit vielen hohen Frequenzen im selben Raum sein muss. Wir können verschiedene Ingredienzen auf Grund ihrer Frequenzen lokalisieren. Deswegen soll man nicht alles hell klingen lassen, sonst ist alles voll da. Wenn man will, dass sich etwas anhört als ob es weiter weg wäre, muss es einen anderen Ton haben.

derStandard.at: Sie haben das jüngste Studioalbum, Le Noise, von Neil Young produziert, mit dem sie ein sehr atmosphärisches Gitarrenspiel teilen. Sind sie als Gitarristen Seelenverwandete?

Lanois: Ich denke, es gibt ein paar Ähnlichkeiten, vielleicht weil wir beide Kanadier sind. Aber Neil schreibt Songs mit Riffs, was ich sehr mag, aber selber nicht so oft mache. Was uns gemeinsam ist, ist ein bestimmter Ton. Es war toll, mit ihm zu arbeiten.

derStandard.at: Womit beginnen Sie, wenn Sie einen Song schreiben?

Lanois: Sehr oft habe ich zuerst eine Melodie, und der Text kommt später. Ich behalte die Melodie eine Zeit lang auf dem Regal wie diese hier, die ich lange herumliegen hatte (beginnt ein Instrumental auf der Gitarre zu spielen). Und dann habe ich das hinzugefügt (beginnt zu singen "The moonlight knows no time ... "). Die Worte kamen viel später.

derStandard.at: Sie haben drei Alben, Yellow Moon von den Neville Brothers, Bob Dylans Oh Mercy und ihr eigenes Solo-Debüt Acadie Ende der 80er Jahre knapp hintereinander in New Orleans produziert. Was hat Sie an der Stadt gereizt?

Lanois: Ich lebte in New York, als ich ein Buch mit Fotografien von New Orleans sah. Die schöne Architektur wirkte faszinierend auf mich, und natürlich kannte ich die Musik von dort. Das hat mich darin bestärkt, in den Süden zu gehen, weil ich mich in Sachen Bass-Spiel weiterbilden wollte. Man hört dort unten wirklich tolle Bassisten. Wo ich aufwuchs, hörte man Country-Songs (summt einen typischen Bumm-Tschack-Wechselbass), in New Orleans hingegen (summt einen federnden Second-Line-Groove) – plötzlich tanzt es mehr, es ist sexier, interessanter. Obenauf ist derselbe Song, aber das Fundament ist anders. Ich wollte an den Ort, wo die Leute so spielen.

derStandard.at: Mit dem von Ihnen produzierten Album Wrecking Ball (1995) haben Sie Emmylou Harris einen Weg jenseits der Country Music geebnet, dem sie bis heute mehr oder weniger folgt.

Lanois: Ich denke, Emmylou schätzte es, dass ich ihr einen neuen Sound ermöglicht habe, der zwar kein traditioneller Country-Sound, aber dennoch ein kräftiger, vollmundiger traditioneller Sound ist. Wir haben Sounds wie jenen der Ronettes in den Sixties oder Darlene Love, diese frühen Phil-Spector-Sounds, wiederbelebt – sehr, sehr emotionell und weiß klingend. Ich bin sehr stolz auf dieses Album. Es war eine Kombination aus einem coolen Klavier, das wir gemietet haben, meiner elektrischen Mandoline und zwei Dulcimers, die Emmylou hatte. Diese drei Instrumente haben alle Doppel- oder Dreifachsaiten, dadurch entstand dieser glockenartige, sehr schöne Sound.

Ich werde Emmy übrigens am 27. August in Toronto treffen. Ich veranstalte dort das Harvest Festival, und sie hat zugestimmt, zu kommen. Ich werde in ihrer Begleitgruppe spielen. Wir versuchen jedes Jahr, irgendetwas gemeinsam zu machen.

derStandard.at: Sie haben Emmylou Harris auch schon für ein Album (Teatro) von Willie Nelson ins Studio geholt. Dabei haben Sie einem Aspekt besondere Beachtung geschenkt, der sonst oft überhört wird: Nelsons unverwechselbarem Gitarrenspiel.

Lanois: Ja, Willie liebt Django Reinhardt. Es gibt bei Willie diesen Gyspy-Aspekt. Deswegen wollte ich sicher gehen, dass auf dem Album sein Gyspsy-Gitarrenspiel repräsentiert wird.

derStandard.at: Auch beim Solo-Debüt von Robbie Robertson, dem einstigen Songwriter und Gitarristen von The Band, haben sie darauf geachtet, dass er die Gitarre wieder in die Hand nimmt.

Lanois: Dieses Album hat mir viel bedeutet, weil Robbie immer ein Held von mir als Heranwachsender in Kanada war. Ich wollte sicher sein, dass wir alles aus ihm herausholen, was möglich war, darunter auch sein Gitarrenspiel. Er hat aber auch eine große Vorstellungskraft. Deswegen wollte ich, dass auch das gehört wird.

derStandard.at: Robertson ist als Songwriter vor allem ein Geschichtenerzähler. Ist dieser Aspekt auch für ihre Musik wichtig?

Lanois: Ja, das ist so eine kanadische Sache. Um Geschichten zu erzählen, muss man einerseits gelebt haben, aber man muss auch in der Lage sein, sich zurückzulehnen und zu beobachten. Wir Kanadier sind gut beim Beobachten!

derStandard.at: In Ihrer Autobiografie beschreiben Sie, wie Sie am Anfang Ihrer Karriere mit Kommerz-Bands von Hotel zu Hotel im Norden Kanadas getingelt sind.

Lanois: Das waren sehr isolierte Orte, wo es nicht viel Industrie, sondern nur Minen und Holzfäller gab, Arbeiterstädte. Ich versuchte, nur ein paar Dollar zu verdienen, meine Rechnungen zu bezahlen und ein Studio aufzubauen.

derStandard.at: Gab es eine Zeit, in der Sie überlegt haben, die Musik an den Nagel zu hängen?

Lanois: Es drehte sich bei immer alles um Musik bei mir, aber es gab eine Zeit, in der mein Bruder und ich abgelenkt waren. Wir hatte eine kleine Abteilung für Werbung, in der wir Jingles und den Soundtrack für eine wöchentliche TV-Show in Toronto produzierten. Ich denke, es kam nicht viel raus dabei, außer dass wir unsere Rechnungen bezahlen konnten. Aber ich komme aus einer armen Familie und musste das machen, um Equipment kaufen zu können.

derStandard.at: Haben Sie neben Black Dub derzeit noch weitere Projekte laufen?

Lanois: Ich habe ein Instrumental-Album mit dem Drummer Brian Blade begonnen, das jetzt aber auf Eis liegt. Ich hatte es dem Jazz-Label Blue Note in New York geschickt, aber Label-Boss Bruce Lundvall mochte es nicht. Das hat mich verwundert, und ich wurde etwas entmutigt. Aber das Projekt lebt noch, und ich werde darauf zurückkommen, wenn wir die Tour beendet haben. (Karl Gedlicka, derStandard.at, 7. August 2011)