"Der primäre Anreiz einer so großen Wohnung ist, dass man sich viele Sessel kaufen kann." Christine Nöstlinger in ihrem Dachgeschoß in Wien-Brigittenau.

Foto: Lisi Specht

Die Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger liebt nicht nur Bücher, sondern ist auch eine bekennende Sesselfetischistin. Wojciech Czaja nahm auf einem der Sessel Platz.

"Ich bin in meinem Leben schon zwanzigmal umgezogen. Aufgewachsen bin ich in einer Substandardwohnung, in der nix funktioniert hat. Aber in der Beletage-Wohnung, in der ich während meiner ersten Ehe gewohnt habe, hat auch nix funktioniert. Und dann habe ich im ersten Bezirk in Untermiete gewohnt. Das war eine lustige Dachgeschoßwohnung. Den Vorraum habe ich mir mit der ältesten Hure Wiens geteilt, und unter mir hat eine demente 90-jährige Dame gewohnt, die sich eingebildet hat, sie lebte noch in der Jugend und sei Stubenmädchen. Stundenlang war sie bei mir in der Kuchl und hat gesagt: "Gnä' Frau, tut mir leid, aber die Zimmer im fünften Stock schaff ich heut nimmer." Wohnen ist was Lustiges.

Mit meinem letzten Mann habe ich in einem Dachgeschoß auf 260 Quadratmetern gelebt. Ich bin der Ansicht: Wenn man lange verheiratet sein will, dann braucht man eine große Wohnung, damit man sich aus dem Weg gehen kann. Wir hatten alles doppelt, also auch zwei Badezimmer und zwei Klos. Nachdem er dann aber gestorben ist, war mir die Wohnung zu groß. Seit vier Jahren wohne ich nun in einer 130-Quadratmeter-Dachgeschoßwohnung im 20. Bezirk.

Das Praktische ist: Meine Tochter wohnt nur zwei Gassen weiter. Wenn man nämlich so alt ist wie ich, dann braucht man ab und zu eine Tochter - und wenn es nur zum Austauschen eines hochmodernen Leuchtmittels in irgendeiner hochmodernen Deckenlampe ist.

Jedenfalls mag ich Dachböden. Ich mag das Gefühl, dass ich die Letzte im Haus bin und dass über mir nur noch Himmel ist. Ich will nicht, dass irgendwer über meinem Kopf marschiert und ich seine Tritte höre. Und ich will nicht gleich vis-à-vis in ein fremdes Fenster schauen. Stattdessen habe ich eine Terrasse, von der ich den Augarten-Bunker, das neue AKH und sogar den Stephansdom sehen kann. Meist sitze ich am Abend draußen und lese in einem Buch. Ich bin leider noch immer nicht dazugekommen, mir einen ordentlichen Tisch und einen ordentlichen Stuhl zu kaufen. Das ist ein unbequemes, türkises Sitzding von Philippe Starck. Das passiert ausgerechnet mir, einer Sesselfetischistin!

Ja, ich stehe auf Sessel. Und der primäre Anreiz einer solch großen Wohnung wie hier ist, dass man sich viele Sessel kaufen kann. Insgesamt habe ich wohl so um die 20 Stühle. Nicht auf allen kann man auch wirklich sitzen. Manche sind unbequem, andere färben ab. Ich habe zwei Bauhausstühle, die ich eines Tages braun lackiert habe. Stark schwitzende Menschen haben nach einer Weile einen roten Streifen hinten am Hemd. Die sind dann nicht sehr glücklich. Früher war das noch ärger. Eine Zeit lang habe ich sämtliche Möbel lackiert. Manche Stühle und Kastln hatten bis zu sieben Lackschichten. Das war die Zeit der großen Lackanfälle. Meine Tochter ist an einem Bücherregal, das sie einmal abbeizen und für sich behalten wollte, völlig verzweifelt. Da kamen dann allerhand, weiße, gelbe, blaue und auberginefarbene Schichten zum Vorschein.

Der Rest in meiner Wohnung ist zusammengeklaubt. Ich entscheide relativ schnell, ob ein Gegenstand schön ist oder nicht. Sobald ich etwas sehe, fällt es entweder in die ästhetische Kategorie 'geht so' oder ist ' pfui-gack'. Pfui-gack kommt mir nicht mehr ins Haus. Davon habe ich in meinem Leben schon genug gehabt.

Aber das Schlimmste ist: Ich bin schlampert. Ich rufe mich zwar regelmäßig zur Ordnung, aber das funktioniert nicht. Manchmal stehen auf meinem Schreibtisch 20 Kaffeehäferln. Meistens hat noch ein einundzwanzigstes Platz. Außerdem gehöre ich zu den Leuten, die neben der Arbeit die ganze Zeit den Fernseher laufen haben. Da sind die paar Häferln auch schon wurscht." (DER STANDARD, 14./15.4.2012)