Ernest Cline: "Ready Player One"
Gebundene Ausgabe, 510 Seiten, € 20,60, Penhaligon 2012 (Original: "Ready Player One", 2011)
Er hat das Drehbuch für den Film "Fanboys" geschrieben, in dem ein paar Geeks auf der Skywalker Ranch von George Lucas einbrechen, er ist mit 40 noch ein begeisterter Videospieler und er hat angeblich den DeLorean aus "Zurück in die Zukunft" daheim in der Garage stehen. Kurz: Ernest Cline trägt die Geek-Kultur im Herzen und hat ihr mit seinem Debütroman gewissermaßen ein Denkmal gesetzt. Und auch wenn wir uns in "Ready Player One" in den 2040er Jahren befinden, geht es dabei ganz explizit um die Jugendkultur von Clines Alterskohorte. Rücksturz in die 80er, Baby!
Die Handlung - im Prinzip ein Fantasy-Plot - besteht aus einer Schnitzeljagd, gesucht wird die Mutter aller Easter Eggs: James Halliday hieß der geniale Erfinder der Ontologically Anthropocentric Sensory Immersive Simulation (kurz: OASIS), einer virtuellen Welt, die das alte Internet in sich aufgenommen hat und bei freiem Zutritt zur globalen Bühne für Spiel, Wissenserwerb und Transaktionen jeder Art geworden ist. Das kennen wir von "Otherland", die OASIS allerdings ist als Sammelsurium von Planeten aufgebaut, eingeteilt in "Weltraumzonen", die sich ihrerseits zur Form eines Rubik-Würfels gruppieren - womit die 80er-Nostalgie gleich mal im Fundament angelegt wäre. Bei seinem Tod verfügte Halliday testamentarisch, dass diese wichtigste Infrastruktur des ganzen Planeten künftig in die Verfügungsgewalt dessen übergehen solle, der einige Schlüssel und Tore findet, die irgendwo in den nahezu endlosen virtuellen Weiten versteckt sind.
Jahre später ist immer noch keiner der unzähligen Jäger fündig geworden - bis der gerade 18 gewordene Wade Watts, der in einem verwahrlosten Trailerpark in Oklahoma City aufgewachsen ist, Erfolg hat. Plötzlich zeigt das global einsichtbare Scoreboard einen Namen an, die Jagd auf "Parzival" (der Name von Wades Avatar) ist eröffnet. Und das verheißt nichts Gutes, denn "Parzival" steht nicht nur in Konkurrenz zu seinem virtuellen Kumpel "Aech", dem er noch nie persönlich begegnet ist, oder dem findigen Nerd-Mädchen "Art3mis". Da sind auch die Agenten des IOI-Konzerns, der sich die OASIS um jeden Preis unter den Nagel reißen will und dafür auch vor Massenmord nicht zurückschreckt - in der realen Welt, versteht sich. Im Kern der Handlung steht letzten Endes also der Kampf um ein freies Internet, und das mündet unter anderem in eine Schlacht zwischen virtuellen Monstern, Riesenrobotern und WeltraumkämpferInnen, die Geek-Herzen höher schlagen lassen wird.
Wohl und Wehe des Romans liegt in seiner Anbindung an die 80er. Schlüssel und Tore lassen sich nämlich nur finden, wenn man die Kultur von Hallidays bzw. Clines Jugend bis ins Detail intus hat. Zwar hat Hallidays Testament ein globales 80ies-Revival ausgelöst, was das Wissen der jugendlichen Hauptfiguren erklärt ... aber eben nur zu einem gewissen Teil. Abgesehen von der generellen Schwierigkeit, eine 60 Jahre zurückliegende Zeit derart hautnah nachzuleben, wie es hier geschieht, rutscht die innere Logik der Handlung dann aus dem Gleis, wenn es um den Zeitfaktor geht. Ein 18-Jähriger kann sich u-n-m-ö-g-l-i-c-h so zwischendurch und nebenher (ein Leben gilt es ja auch zu führen) alle Bücher, Filme, TV-Serien, Comics, Videospiele und Diskographien sämtlicher Bands dieses Jahrzehnts eingepaukt haben, weil er dafür einfach noch nicht genug Lebenszeit hatte. Wade & Co aber können ganze Filme Wort für Wort fehlerfrei nachsprechen, kennen jede Songzeile von jeder Band und verwenden laut eigenen Worten unzählige Stunden darauf, sich in dem und dem Videospiel zu üben (anders könnten sie Schlüssel und Tore auch gar nicht finden). Addiert man all die Gebiete, in denen sie Hirn und Hand laufend im Training halten müssen, und den entsprechenden Zeitbedarf, dann löst sich das ganze Konstrukt in Rauch auf.
Die Logik - inklusive des sozialökonomischen Irrsinns von Hallidays riskanter Testamentsverfügung - muss man also ausblenden, um sich von der nostalgischen Lawine mitreißen zu lassen, als die "Ready Player One" daherkommt. Manche der unzähligen Verweise sind sehr passend gewählt - etwa der auf den 1984er Film "The Last Starfighter", in dem ebenfalls ein videospielender Junge aus einem Trailerpark zum Helden wird. Oder die Nennung von Cory Doctorow als Vorstand des OASIS-Nutzerrats - ist der doch ein SF-Autor, der sich auf digitale Medien und Copyright-Fragen spezialisiert hat. Ganz im Stil von "The Big Bang Theory" führen Wade und seine MitstreiterInnen Diskussionen über die kulturelle Bedeutung etwa der "Ewok"-Filme und verweisen lässig auf entsprechendes Allgemeinwissen wie die Ordensverleihung am Ende von "Star Wars: A New Hope", wobei Chewbacca, wie wir uns erinnern, übergangen wird.
Fraglich bleibt allerdings, ob sich auch Sheldon Cooper & Co für die Sitcom "Familienbande" oder Filme wie "Breakfast Club" und "Pretty in Pink" ebenso begeistern könnten wie für die hier als "heilig" bezeichneten Trilogien "HdR", "Star Wars", "Matrix", "Mad Max", "Indiana Jones" (der schrottige vierte Teil zählt nicht) und "Zurück in die Zukunft". Und größerer musikalischer Enthusiasmus in Sachen Duran Duran, Def Leppard oder Rush ist in "BBT" bislang auch nicht laut geworden. Da "Ready Player One" unter der Oberfläche ganz klar - ach ja, erinnerst du dich noch? *seufz* - als Nostalgie-Vehikel einer Generation angelegt ist, tappt es ein paar Mal doch in die "Wickie, Slime und Paiper"-Falle und wird in seinen Referenzen etwas wahllos.
Alles in allem kommt "Ready Player One" als einfachere Variante von "Otherland" unter YA-Vorzeichen daher. Und während Tad Williams' Mammut-Tetralogie auch der realen (Roman-)Welt größeren Platz einräumte und aus vielen kleinen Puzzleteilen ein recht komplexes Zukunftspanorama entwarf, beschränkt sich Cline auf ein paar vage Verweise auf Ölmangel, Klimawandel und soziale Verelendung - mehr erwartbar als konkret. Sympathisch bleibt seine Sicht auf die Generation Videospiel. Phänomene wie die Hikikomori - freiwillige, meist jugendliche "Eremiten", die sich von der realen Welt zurückziehen - oder die Unsicherheiten um Identitäten im virtuellen Raum werden nicht ausgespart, dennoch wird die OASIS bzw. der Komplex Internet plus Spielwelten in erster Linie als Ort der Möglichkeiten geschildert. Spannend und vergnüglich zu lesen ist der Roman obendrein. Mich würde nur interessieren, was diejenigen LeserInnen davon halten, die die 80er nicht miterlebt haben, die daher keine diesbezügliche Nostalgie hegen und an denen ein großer Teil der Verweise zwangsläufig vorbeigehen wird. Jugendliche LeserInnen der Rundschau: Bitte um Antwort. Thirty-somethings out.