Stephen Gardiner seziert unsere Ausreden, warum wir nicht mehr gegen den Klimawandel tun.

Foto: Harry Schiffer Photodesign

Stephen M. Gardiner: "A Perfect Moral Storm", Oxford University Press. 512 S., 2011

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DER STANDARD - Schwerpunktausgabe Rio

Graz/Wien - Irgendwie wissen wir es ja alle, dass unser westlicher Lebensstil für den Planeten Erde langfristig unerträglich ist. Aber es fällt halt furchtbar schwer, daran etwas zu ändern: Das Auto ist schwer wegzudenken aus dem täglichen Leben. Fleisch schmeckt einfach zu gut, und auch Flugreisen scheinen ziemlich unverzichtbar.

Außerdem: Warum sollten ausgerechnet wir einfache Bürger weniger zum Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen beitragen? Die Politiker bringen in Sachen Klimawandelstopp ja auch kaum etwas weiter, von der Industrie einmal ganz zu schweigen. Warum auf etwas verzichten, da wir hier in Österreich und in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts von den Folgen des Klimawandels ohnehin nur wenig betroffen sein werden?

Nein, man muss es gar nicht mit Marquise de Pompadour und ihrer Maxime "Nach uns die Sintflut!" halten. Auch jene, die sich Gedanken darüber machen, dass in spätestens drei, vier Generationen der gestiegene Meeresspiegel für Millionen Menschen eine existenzielle Katastrophe darstellen wird, tun sich doch schwer, ihr Leben hier und jetzt zu ändern. Stephen Gardiner, einer der weltweit führenden Klimaethiker, hat für diese Haltung und diese ständigen Ausreden - egal ob von uns Bürgern oder der Politik - einen harten Ausdruck: "moralische Korruption".

Moralische Prokrastination

Auf Einladung des Instituts für Philosophie Uni Graz referierte der Philosophieprofessor von der University of Washington in Seattle kürzlich in der steirischen Hauptstadt über genau dieses Thema. Und in seinem neuen Buch "A Perfect Moral Storm", einem der besten und hellsichtigsten Bücher zur "ethischen Tragödie des Klimawandels" (so der Untertitel), ist unserer moralischen Prokrastination - also unserem Aufschieben und Verdrängen - ebenfalls breiter Raum gewidmet.

Der eigentliche Titel des Werks ist eine Anspielung auf das Sachbuch "The Perfect Storm" von Sebastian Junger, das auch verfilmt wurde. Darin wird die wahre Geschichte vom Verschwinden des Fischerboots "Andrea Gail" geschildert: Die Besatzung des Boots hatte 1991 das Pech, in einen " perfekten Sturm" zu geraten: Reste eines tropischen Wirbelsturms und eines Hurrikans trafen auf einen aus Nordosten kommenden Sturm polaren Ursprungs - und brachten das Boot zum Sinken.

Gardiner verwendet diese Geschichte als doppelte Metapher: Zum einen sitzt auch die Menschheit, der die größte umweltbedingte Herausforderung in ihrer Geschichte droht, in einem Boot. Zum anderen seien es drei sich verstärkende Herausforderungen (oder Stürme), die es so schwer machen, etwas gegen den vom Menschen verursachten Klimawandel zu tun.

Ungerechtigkeit der reichen Länder

Der erste Sturm ist für Gardiner die globale Dimension des Problems. Egal, wo die Treibhausgase emittiert werden - die Folgen sind weltweit spürbar. Dazu kommt noch eine besondere "Ungerechtigkeit": Die reicheren Staaten produzieren mehr CO2, sind aber zugleich weniger betroffen und weniger verwundbar, weil sie sich entsprechend vorbereiten können. Bei den Verhandlungen seit Rio vor 20 Jahren vertreten die Staaten aber eher vor allem ihre eigenen Bürger. "Und das wiederum führte dazu, dass wir in den reichen Ländern zwar Versprechungen abgeben, aber im Grunde so weitermachen konnten wie zuvor."

Die größte ethische Herausforderung des Klimawandels ist für den aus England stammenden Philosophen aber die der "inter-generationellen Verantwortung". Denn wenn es uns tatsächlich gelingen sollte, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren, dann wird sich das erst in 30 bis 50 Jahren positiv auswirken, um nur ein Beispiel zu geben. Aber etliche von uns werden im Jahr 2052 nicht mehr auf diesem Planeten leben.

Gardiner bringt diese Problematik so auf den Punkt: "Jene, die von unserem Handeln oder besser Nicht-Handeln in Sachen Klimawandel besonders betroffen sind, können sich schlecht oder gar nicht wehren: die Bewohner der ärmsten Länder, die nicht-menschliche Natur und vor allem die künftigen Generationen."

Ökonomische Theorien helfen nicht

Der dritte Sturm ist für den Philosophen theoretischer Natur: Es würden uns einfach die Denkwerkzeuge fehlen, um mit dem Klimawandel adäquat umzugehen: Die üblichen Kosten-Nutzen-Rechnungen der Ökonomen helfen ebenso wenig weiter wie die Theorie von der "Tragödie des Allgemeinguts" , gemäß der die Nutzer durch Übernutzung bedroht sind. "Das wird zwar gern zur Analyse der Klimawandelproblematik herangezogen, ist aber nur begrenzt brauchbar", so Gardiner.

Für den Klimaethiker ist klar, dass eine Lösung des Problems nur in einer Änderung unseres Lebensstils liegen kann. Grüne Technologien, die uns in Zukunft bei Wahrung des Lebensstandards "ökologischer" leben lassen, findet der Philosoph zwar auf der einen Seite sehr unterstützenswert. Zugleich sind sie aber auch ein gefährlicher Vorwand für weitere Prokrastination - und moralische Korruption. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 16.6.2012)