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Nur mehr das Nötigste: In Aleppo tragen zwei Syrer Nahrungsmittelpakete nach Hause.

Foto: EPA/BRUNO GALLARDO

Die Flüchtlingskrise in Syrien nimmt immer größere Ausmaße an. Mehr als eine Million Menschen sind laut dem Flüchtingshilfswerk UNHCR ins benachbarte Ausland geflüchtet. Viel mehr irren in Syrien von Ort zu Ort: Schätzungen des Roten Halbmonds zufolge sind bis zu vier Millionen Menschen im eigenen Land auf der Flucht.

Bis vor kurzem konnte auch Eduard Rodier das Leiden in Syrien mit eigenen Augen mitverfolgen. Er leitete für die ECHO, die humanitäre Nothilfeorganisation der Europäischen Union, das Büro in Damaskus. Dort versuchte er europäische Geldmittel zu verteilen und zu akkordieren. Die EU hat bereits mehr als 400 Millionen Euro in die syrische Flüchtlingskrise gepumpt.

Selbst als die Delegation der Europäischen Union in Damaskus ihr Büro schloss, verblieben Rodier und ein Mitarbeiter in einem Hotel im Stadtzentrum von Damaskus, erkärt der Franzose im Gespräch mit derStandard.at in Amman. Die Sicherheitslage verschlechterte sich jedoch von Woche zu Woche. Seit Ausbruch des Bürgerkriegs verloren mindestens acht Mitarbeiter der Vereinten Nationen ihr Leben. Der Rote Halbmond, die islamische Schwesterorganisation des Roten Kreuzes, noch mehr. Ende Februar kam schließlich der Entschluss, aus Sicherheitsgründen auch das ECHO-Büro in Syrien zu räumen. In Damaskus selbst sind nur mehr Hilfsorganisationen der UN, das Rote Kreuz und acht weitere NGOs tätig. "Wenn man das Ausmaß des Konflikts bedenkt, ist das nicht viel", sagt Rodier.

Situation in Damaskus

In der syrischen Hauptstadt höre man den ständigen Beschuss durch Bomben und Granaten, "die zwar nicht auf einen selbst, aber auf andere Menschen fallen. Jedes Mal, wenn man einen Knall hört, weiß man, dass vermutlich wieder jemand getötet wurde." Überall gebe es Checkpoints, sporadisch höre man Gewehrsalven in der Stadt und hin und wieder auch Autobombenanschläge. "In Damaskus ist es nicht wie in einer Kriegszone, aber man ist ständig vom Krieg umgeben", beschreibt Rodier die Lage.

Trotzdem sei die syrische Hauptstadt keine Geisterstadt. Ganz im Gegenteil: "Damaskus ist jener Teil des Landes, wo es zumindest noch ein wenig Sicherheit gibt. Deswegen kommen viele, viele Menschen in die Stadt. Jene Syrer, die es sich leisten konnten, haben sich in Damaskus eine Wohnung gemietet. Man kann praktisch nichts mehr mieten."

Helfer werden beschossen

Mit ganz anderen Problemen als die Einwohner von Damaskus haben die Helfer zu kämpfen. Auf Fahrzeuge von Hilfsorganisationen werde regelmäßig geschossen, die Sicherheitslage ist extrem volatil. "Selbst wenn es in einem Ort an einem Tag sicher ist, kann es dort am nächsten Tag wieder ganz anders sein", erklärt Rodier, der mittlerweile von Amman aus tätig ist. In Gegenden, wo einerseits die Regierung die Kontrolle verloren hat und gleichzeitig oppositionelle Kräfte noch nicht die Kontrolle übernommen haben, sei die Lage besonders gefährlich.

Doch die Sicherheitslage sei nur ein Teil des Problems. Schon allein Visa oder Genehmigungen zu bekommen sei oft schwierig. Und selbst wenn die Sicherheits- und Administrationsprobleme gelöst sind, stehen Helfer oft vor weiteren Herausforderungen: "Einer unserer Partner in Syrien hatte zum Beispiel Schwierigkeiten, Treibstoff für die Fahrzeuge zu bekommen."

Ausbruch von Typhus

Wenn die Hilfe überhaupt ankommt, ist sie oft zu wenig: "Wir versuchen mittlerweile, nur mehr das absolut Notwendige wie Essen und Decken abzudecken. Denn solange wir nicht in der Lage sind, genügend Menschen damit zu versorgen, ist in der jetzigen Situation alles andere Luxus."

Auch der Flüchtlingsstrom werde in naher Zukunft wohl nicht zum Erliegen kommen, glaubt Rodier: "Wer heute in einer syrischen Stadt wohnt, hat mit großer Wahrscheinlichkeit mehrere Familienmitglieder verloren, ist höchstwahrscheinlich arbeitslos und lebt - wie viele Millionen Syrer - nicht mehr in seinem eigenen Haus. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich könnte nicht lange ohne Einkommen und ohne Unterkunft leben - aber für Millionen Syrer war das die vergangenen 18 Monaten der Fall."

Und es könnte noch schlimmer kommen, der Ausblick des ECHO-Mitarbeiters ist düster: "Es gibt bereits erste Berichte über den Ausbruch von Typhus und Hepatitis A. Immer mehr Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Jetzt, wo der Sommer vor der Tür steht, steigt die Gefahr des Ausbruchs von Epidemien." (Stefan Binder, derStandard.at, 22.3.2013)