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Vom Amazonas in den Dschungel der Metropole São Paulo: Was Alex Atala in seinem Restaurant D.O.M. serviert, gehört zum Ungewöhnlichsten, das die Hochküche zu bieten hat.

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Alex Atala ist die Nummer vier der besten Köche der Welt.

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Dank autochthon brasilianischer Urwaldküche.

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STANDARD: Als Sie das D.O.M. vor zehn Jahren aufsperrten, haben Sie noch mit importierten Luxusprodukten gekocht. Heute verzichten Sie darauf völlig. Wieso?

Alex Atala: Weil es viel spannender ist, mit frischen Dingen von hier zu kochen. Doch das war vor ein paar Jahren noch undenkbar, weil die Gäste meinten, nur Produkte von weither wären tolle Produkte. Erst nachdem wir uns einen Ruf als gutes Restaurant erarbeitet hatten, konnten wir schrittweise darauf verzichten. Fleisch, Fisch sowie Gemüse und Obst haben wir immer schon in Brasilien gehabt, aber ausgefallenere Dinge waren in São Paulo nur als Importware erhältlich. Brasilien ist zwar einer der größten Nahrungsmittelproduzenten der Erde, aber Spezialitäten muss man lange suchen.

STANDARD: Inzwischen zählen wilde Kräuter und Pflanzen aus dem Amazonas zu Ihren wichtigsten Ingredienzien. Wie kam es dazu?

Atala: Mir geht es dabei nicht so sehr darum, eine unbekannte Wurzel zu entdecken, um neugierigen Gästen einen "Kick" zu geben, sondern vielmehr um die Menschen, die im Amazonas leben und ihre Flora und Fauna genau kennen. Ich fahre dort ja nicht allein mit dem Kanu durch die Gegend und schnüffle an Früchten. Ich rede und esse mit den Menschen. Wenn mir etwas besonders interessant erscheint, überlegen wir uns, ob man das auch für unsere Küche nutzen kann. Entscheidend ist aber immer, dass es auch den Leuten vor Ort nutzt. Alle reden über den Schutz des Amazonas, aber die Rodung für die Gewinnung von Acker- und Weideland schreitet nach wie vor voran. Es muss uns gelingen, diese einzigartige Region zu bewahren, und das geht nur, wenn wir gemeinsam mit den Menschen, die dort leben, die vorhandenen Ressourcen nachhaltig nutzen.

STANDARD: Und dann bekommen Sie jede Woche eine kleine Kiste mit seltenen Pflanzen aus dem Dschungel geschickt?

Atala: Das wäre wohl kaum eine nachhaltige Nutzung, wobei unser Restaurant natürlich immer nur als Initialzündung fungieren kann. Entscheidend ist, dass wir Märkte auftun können, die es vorher nicht gab. Allerdings ist das nicht immer einfach. Man muss auch die kulturellen Eigenheiten der Menschen im Amazons berücksichtigen, die nicht immer in Kategorien wie Profitmaximierung denken. Als ich etwa vor Jahren angefangen habe, von einer Dorfgemeinschaft die aromatische Priprioca-Wurzel zu kaufen, habe ich ihnen nach einem halben Jahr einfach mehr bezahlt, weil das Restaurant so gut lief und ich dachte, dass ich einen Teil des Profits weitergeben will. Doch darauf haben meine Partner die Produktion nicht etwa erhöht, sondern ganz im Gegenteil reduziert - weil sie gar nicht mehr Geld brauchten und lieber etwas anderes taten, als für einen Koch im fernen São Paulo irgendwelche Wurzeln zu sammeln.

STANDARD: Stichwort Slow Food: Auch in Europa geht es um die Bewahrung von Pflanzen, die zu verschwinden drohen. Sie machen eigentlich etwas sehr Ähnliches. Wie stehen Sie zu Slow Food?

Atala: Was Slow Food in Italien angefangen hat, ist fantastisch und war die einzig sinnvolle Antwort auf den Wahnsinn des modernen Agro-Business, das mit traditioneller Agrikultur - also der Pflege des Bodens - ja überhaupt nichts zu tun hat. Aber wir brauchen hier keinen Ableger einer europäischen Organisation. Wir müssen unsere eigenen Strategien entwickeln. Organisationen sollten lokal verankert sein und niedrige Hierarchien haben. Viel zu lange wurde unser Kontinent fremdbestimmt, auch noch lange nach Ende der Kolonialherrschaft.

STANDARD: Ihr Verhältnis zu Europa ist also gespalten?

Atala: Ich bin gerne in Europa und habe dort auch zahlreiche Freunde. Wir leben in einer globalisierten Welt, und für mich ist es wichtig, mich mit anderen Köchen, die ähnlich ticken, regelmäßig auszutauschen - zum Beispiel mit René Redzepi vom Noma. Auch Kochevents wie Cook it Raw oder Flemish Primitives finde ich toll, und wenn es sich irgendwie ausgeht, komme ich gerne. Aber ich werde zu solchen Veranstaltungen eingeladen, weil ich ein brasilianischer Koch bin, der etwas Brasilianisches macht. Mir geht es bei meiner Arbeit um mein Land und dessen Zukunft. Deshalb zahle ich auch gerne Steuern (lacht). Ja, wirklich. Ich bin geschäftlich viel erfolgreicher, als ich mir das jemals zu träumen wagte. Dass ich davon einen Teil zurückgebe, finde ich selbstverständlich.

STANDARD: Das klingt alles sehr sozial und umweltbewusst. Gleichzeitig führen Sie ein Luxusrestaurant, wo eine Mahlzeit in etwa so viel kostet, wie ein Arbeiter in mehreren Wochen verdient. Ist das kein Widerspruch?

Atala: Nein. Mir hat ja erst der Erfolg des D.O.M. erlaubt, auch andere Projekte zu machen, wie etwa unser zweites Restaurant Dalva e Dito, das deutlich günstiger ist, obwohl wir die gleiche Produktphilosophie verfolgen. Der Versuch, ein außergewöhnliches Restaurant mit anspruchsvoller Küche zu führen, ist immer etwas Elitäres. Damit habe ich kein Problem. Klar kostet das. Aber ins D.O.M. kommen nicht nur die Superreichen, mittlerweile hat sich in Brasilien eine breite Mittelklasse etabliert, für die ein Essen im D.O.M. zwar nicht billig, aber durchaus leistbar ist. (Wolfgang Schedelberger, Rondo, DER STANDARD, 12.4.2013)