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Das Flüchtlingslager Domeez nahe der nordirakischen Stadt Dohuk.

Foto: AP/Karin Laub

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Mehr als 40.000 Menschen - fast ausschließlich Kurden - leben in dem Lager.

Foto: Reuters/Thaier al-Sudani

Hunderte Flüchtlinge fliehen täglich aus dem umkämpften Syrien. Die meisten davon gehen nach Jordanien, in den Libanon und die Türkei. Doch auch im Irak schwillt die Zahl der Flüchtlinge stetig an. Über 50.000 sind bisher in die kurdischen Gebiete des Irak geflohen. Die meisten davon leben im Flüchtlingslager Domeez nahe der Stadt Dohuk.

Katharina Resch ist seit November 2012 für Ärzte ohne Grenzen vor Ort und betreut ein Gesundheitsdepartement - die wichtigste medizinische Einrichtung für rund 40.000 Flüchtlinge im Lager. Mit derStandard.at sprach sie über den nicht enden wollenden Flüchtlingsstrom und die zunehmend kritisch werdende Versorgungslage.

derStandard.at: Erst Anfang letzten Jahres wurde mit Domeez ein kleines Flüchtlingscamp im Nordirak errichtet. Wie ist die Lage ein Jahr später?

Resch: Es hat sehr klein begonnen, die ersten Flüchtlinge sind im April 2012 angekommen, und es ist dann über den Sommer recht langsam gewachsen. Ab September sind immer mehr Menschen aus Syrien angekommen. Im Winter war es sehr kalt, da waren die Reisebedingungen schwierig, und es haben nicht mehr so viele die Grenze überquert. Doch jetzt im Frühling, nachdem sich das Wetter gebessert hat, haben wir 700 bis 900 Neuankünfte pro Tag.

derStandard.at: Wie viele Leute sind derzeit in Domeez?

Resch: Schätzungen zufolge sind hier derzeit 40.000 bis 50.000 Menschen, aber genau ist das schwer zu sagen, da nicht alle im Camp bleiben. Es werden hier zunächst alle, die kommen, registriert und erhalten eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung von der kurdischen Autonomiebehörde, mit der sie sich in der Region frei bewegen und auch Arbeit suchen können.

Zur nahe gelegenen Stadt Dohuk sind es circa 25 Minuten mit dem Auto. Unmittelbar vor dem Camp gibt es noch einen kleinen Ort, der erst 2003 entstanden ist, als Kurden aus anderen Landesteilen des Irak in die kurdischen Gebiete geflohen sind. Und direkt daran schließt nun das neue Flüchtlingscamp an. Die Verbindungen zur Stadt sind sehr gut. Es gibt sehr viele Männer aus dem Flüchtlingscamp, die dort Arbeit haben: am Morgen mit dem Taxi in die Stadt und am Abend von der Arbeit wieder zurück.

Das Lager selbst ist wie eine kleine Stadt. Die Leute sind sehr gut ausgebildet: Elektriker, Schlosser, Maurer, die ihre Dienste im, aber auch außerhalb des Camps anbieten. Es gibt zahlreiche Lebensmittelgeschäfte, Bäckereien und sogar Friseurläden. Mit den wenigen Möglichkeiten, die die Menschen hier haben, sind sie sehr innovativ und versuchen wirklich das Beste aus der Situation zu machen.

derStandard.at: In Jordanien und dem Libanon sind Schätzungen zufolge zwei Drittel aller Flüchtlinge Frauen und Kinder. Ist das auch im Irak so?

Resch: Nein, zu uns kommen vor allem junge Männer, die dem Militärdienst entgehen wollen. Die Frauen und Kinder, die nur rund die Hälfte der Flüchtlinge ausmachen, bleiben meistens im Camp, während die Männer versuchen, in den großen Städten wie Erbil und Sulaymaniyah Arbeit zu finden. Es sind fast ausschließlich Kurden, die hierher flüchten, und die sagen oft, dass sie weder etwas mit dem Regime Assads noch mit der Free Syrian Army zu tun haben. Sie haben einfach kein Interesse, in diesen Konflikt einzusteigen.

Das ist auch der Hauptgrund, warum sie versuchen, dem Militärdienst zu entgehen. Dadurch haben wir auch eine relativ große Flüchtlingsgruppe an alleinstehenden Männern zwischen 18 und 30.

derStandard.at: Woher kommen die Flüchtlinge, die in den Irak flüchten?

Resch: Bei uns im Camp sind eigentlich nur Kurden. Oft ist es so, dass viele der Flüchtlinge schon vor Monaten aufgrund von Kämpfen und Bombenangriffen aus Gebieten wie zum Beispiel Aleppo in die nordöstlichen kurdischen Regionen Syriens gezogen sind. Dort war es bis vor kurzem noch einigermaßen gewaltfrei. Aber das Problem ist, dass dort die Versorgung mit Lebensmitteln, Elektrizität und Medikamenten sehr schlecht ist. Es gibt nur wenige Ärzte, die Krankenhäuser funktionieren nicht mehr, und daher fliehen viele über die Grenze.

Sie mieten in Syrien Taxis bis zur Grenze, diese überqueren sie dann zu Fuß, und auf der irakischen Seite warten dann wieder Taxis, die sie ins Flüchtlingscamp bringen.

derStandard.at: Wenn schon in Syrien die medizinische Versorgungslage so schlecht ist, wie sieht sie im Flüchtlingscamp aus?

Resch: Wir betreiben ein Primary Health Care Center. Im Prinzip ist das wie eine sehr große Hausarzt-Ordination. Wir haben sieben Ärzte und elf Krankenpfleger - die meisten selbst Flüchtlinge -, die hier arbeiten und eine Erstversorgung der Flüchtlinge anbieten.

Wir sehen wirklich alles, angefangen von Infektionen der Atemwege, Schnupfen, Husten und Fieber. Zurzeit gibt es eine Masernepidemie, der wir mit einer Impfaktion gegensteuern. Auch Unfälle und Verbrennungen werden behandelt, weil die Leute im Winter mit Kerosinöfen im Zelt geheizt haben. Da kam es vor allem bei Kindern zu Verbrennungen. Teilweise müssen auch Kriegsverletzungen behandelt werden. Allerdings selten frische Kriegsverletzungen, vor allem alte Kriegswunden, die nicht verheilen. Derzeit haben wir circa 700 Patienten pro Tag.

Es ist aber auch sehr viel Planung dabei: Wenn im Sommer die Temperaturen steigen und sich die Trinkwassersituation nicht verbessert, müssen wir mit Fällen von Cholera rechnen, und auch dafür müssen wir schon planen, um für die Zukunft gewappnet zu sein. Wegen der schlechten Versorgung mit Trinkwasser und weil teilweise nicht genügend Latrinen und Duschen vorhanden sind, hatten wir bereits Fälle von Hepatitis A. Ärzte ohne Grenzen ist auch mit einem großen Team vor Ort, um die Trinkwasserversorgung und die Abwasserentsorgung und die Versorgung mit Latrinen zu verbessern. Außerdem haben wir schon 3.500 Hygiene-Kits an Familien verteilt.

derStandard.at: Wie traumatisiert sind die Flüchtlinge?

Resch: Wir sind hier auch mit Psychologen vor Ort. Viele junge Männer, die im Militärdienst waren, hatten teilweise dramatische Erlebnisse. Ein anderer Grund, warum eine psychologische Betreuung notwendig ist, ist einfach die prekäre Lebenssituation im Camp. Manchmal leben bis zu drei Familien in einem Zelt zusammen, dadurch kommt es zu Spannungen und Problemen. Auch die schlechte Versorgungslage und der sehr kalte Winter waren eine starke Belastung für die Menschen.

derStandard.at: Wie ist die Sicherheitslage im Camp?

Resch: Die Sicherheitslage ist relativ gut, was meiner Meinung nach damit zu tun hat, dass sich die Leute frei bewegen und Arbeit finden können. Das trägt dazu bei, dass die Unzufriedenheit nicht allzu groß wird. Demonstrationen hat es hier bisher noch nicht gegeben, was aber auch daran liegen dürfte, dass alles gerade noch im grünen Bereich ist. Jetzt wird es aber anders, weil es deutlich mehr Ankünfte gibt und die Versorgungslage schwieriger wird. Deshalb traue ich mich nicht vorherzusagen, ob es die nächsten Wochen so bleiben wird.

derStandard.at: Zigtausende Flüchtlinge innerhalb eines Jahres müssen eine große Belastung für die lokale Bevölkerung darstellen. Wie reagieren die Einwohner auf diesen großen Flüchtlingsstrom?

Resch: Die Stimmung hat sich sehr gewandelt. Als ich im November hierherkam, gab es noch eine sehr große Hilfsbereitschaft der Bevölkerung in Dohuk. Von Privatpersonen und Hilfsorganisation hat es Verteilungsaktionen von Essen und Kinderkleidung gegeben. Aber da war das Camp noch viel kleiner. Mittlerweile hört man schon, dass es zunehmend Sorgen über Kriminalität gibt und dass die Flüchtlinge für niedrigere Löhne arbeiten. Auch Gerüchte, dass sich einige der Flüchtlinge zur Prostitution anbieten, gibt es bereits. Die Einstellung ist kritischer geworden. (Stefan Binder, derStandard.at, 29.4.2013)