Eine Schiffsbestattung, kurz vor der Beisetzung in einem Grabhügel: In Borre haben namhafte Häuptlinge aus der ganzen Region ihre letzte Ruhe gefunden.

Illu.: ArkIkon

Auf dem Laserscan lassen sich gut die Grabhügel und die Hafenanlagen parallel zum Strand erkennen.

Foto: NIKU/LBI ArchPro

Es ist ziemlich eng in dem kleinen Propellerflugzeug. Stundenlang harren Pilot und Forscher in dem Viersitzer aus, um den Boden zu durchleuchten. Ein Laserscanner, der am Bauch der Maschine montiert ist, tastet die Landschaft ab und liefert so ein punktgenaues 3-D-Abbild der Oberfläche. Diese Methode ist nur eine von vielen, die die Archäologie einsetzt, um sich ein Bild von dem zu machen, was unter der Erdoberfläche schlummert - ohne dabei nur eine Krume Erde umzugraben.

Das Ludwig-Boltzmann-Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie (ArchPro) ist auf diese zerstörungsfreien Messtechniken spezialisiert. Gemeinsam mit dem Firmenpartner Airborne Technologies lud das Institut vergangene Woche auf das Flugfeld von Wiener Neustadt ein, um die Hightechmaschinen vorzustellen - und was sie alles ans Tageslicht bringen.

Mithilfe von Laserscannern und Radarmessungen konnten Forscher rund um den ArchPro-Leiter Wolfgang Neubauer im norwegischen Borre nun einen bisher unbekannten Häuptlingssitz der Wikinger ausfindig machen. "Der Standort nahe der berühmten Schiffsgräber von Gokstad und Oseberg ist einer der bedeutendsten Fundorte der Wikingerzeit. In Borre befindet sich die größte Ansammlung von monumentalen Grabhügeln", berichtet Neubauer. Zusammen mit internationalen Partnern vermisst das Team seit drei Jahren flächendeckend den Untergrund rund um den 18 Hektar umfassenden archäologischen Park von Borre im Oslofjord.

Die letzte Schiffsreise

Zwischen 600 und 900 n. Chr. entstanden hier zwölf Schiffsgräber, von denen neun erhalten sind. Namhafte Wikinger-Häuptlinge wurden nach ihrem Tod mitsamt ihrem Schiff und reichen Gaben auf ihre letzte Reise geschickt - in riesigen Gräbern, die zu Hügeln aufgeschüttet wurden. 1852 wurden in einer vermeintlichen Schottergrube erstmals die Überreste eines etwa 19 Meter langen Wikingerschiffs entdeckt.

Die Grabhügel von Borre haben einen imposanten Durchmesser von 45 Metern und ragen heute noch bis zu sechs Meter hoch. Mittels Laserscanning konnten die Hügel genau kartiert werden. Doch es war klar: In ihrer vollen Pracht waren die Grabhügel nur vom Meer aus sichtbar. Also analysierten die Wissenschafter die Daten aus der Luft mit neuen Algorithmen, um das Ufer aus der Wikingerzeit zur rekonstruieren - und brachten eine ausgefeilte Hafenanlage zutage. "Wir haben mehrere Hafenbecken und Wellenbrecher gefunden, die heute auf dem Land liegen", schildert Neubauer. "Die ganze Anlage ist auf das Gräberfeld ausgerichtet."

Dass in Borre zur Zeit der Wikinger reger Betrieb herrschte, legen auch neue DNA-Analysen nahe. Diese zeigen, dass hier Herrscher aus verschiedenen Familien bestattet wurden. Hat man die Grabhügel von Borre ursprünglich mit dem aus nordischen Sagen bekannten Clan der Ynglinger in Verbindung gebracht, gehen die Forscher jetzt davon aus, dass sich in Borre Machthaber aus der ganzen Region versammelten.

Um mehr über die Bedeutung des Orts zu erfahren, fuhren die Forscher im März mit eigens entwickelten Gerätschaften auf: Auf einen Skidoo - einen motorisierten Schlitten - montierten die Archäologen vom Ludwig-Boltzmann-Institut ein schneetaugliches Bodenradarsystem, das Messungen auch während der langen Wintermonate ermöglichte. Eine Platte auf Kufen schickt dabei elektromagnetische Wellen in den Boden und misst die Reflexion, die je nach Material im Boden unterschiedlich ausfällt und somit Bauten unter der Erde sichtbar macht.

Schon bei vorhergehenden Messungen wurde das Gräberfeld mit Radartraktoren abgegrast, nun wollten die Archäologen auch die Umgebung westlich des Bestattungsareals nach Spuren von Siedlern durchleuchten. Auf einer Fläche von 20 Hektar wurden Daten bis in eine Tiefe von zwei Metern gesammelt. Die Auswertung der 3-D-Bilder zeigte: Hier befinden sich nicht nur zahlreiche Flakstellungen und Laufgräben aus dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch die Überbleibsel eines gewaltigen Langhauses aus der Wikinger-Zeit. "Plötzlich ist auf dem Untergrund ein großes Gebäude samt Nebengebäuden aufgetaucht. Es stand auf einer Richtung Meer gerichteten Terrasse mit 1500 Quadratmetern Grundfläche", erzählt Neubauer.

Allein die Gruben für die tragenden Holzpfosten hatten einen Durchmesser von bis zu 1,5 Metern. Insgesamt maß die 47 Meter lange und zwölf bis 14 Meter breite Wikinger-Villa eine Innenfläche von 650 Quadratmetern. Anhand der Konstruktion des Hauses wird die Bauzeit auf etwa 950 bis 980 geschätzt - also nach der Zeit der Schiffsbestattungen.

"Wir vermuten, dass es sich bei dem Gebäude um einen Häuptlingssitz handelt", sagt Neubauer. Möglicherweise wurde der Bestattungsort bewusst als neues Machtzentrum gewählt, um von den repräsentativen Vorfahren zu profitieren. "Der Häuptlingssitz entstand in einer wichtigen Phase am Übergang zur Zeit der ersten Könige im Hochmittelalter. Damals formierten sich die Wikinger erstmals politisch und entwickelten so etwas wie eine normannische Wikingeridentität."

Abweichungen im Magnetfeld

Mit Magnetometern, die geringste Abweichungen im Erdmagnetfeld aufzeichnen, sollen ab Oktober auch Feuerstellen nachgewiesen werden: Wenn eisenhältiger Lehm erhitzt wird, richten sich die Eisenteilchen anders aus. Weitere Bodenradarmessungen mit einer Auflösung von vier mal acht Zentimetern könnten weitere Details offenbaren.

Die Entdeckungen der ArchPro-Forscher lassen nicht nur den Fundort Borre in einem neuen Licht erscheinen. Sie sind auch am Wikingerhandelsplatz Birka in Schweden sowie in Stonehenge und in Carnuntum dabei, archäologische Landschaften neu zu kartieren. Ohne einen Spaten in die Erde zu setzen. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 29./30.5.2013)