Joe Haldeman: "Der Ewige Krieg. Gesamtausgabe"
Gebundene Ausgabe, 675 Seiten, € 30,80, Mantikore 2013 (Original: "The Forever War", 1974, "Forever Peace", 1997, "Forever Free", 1999)
In der Anfangszeit der Rundschau wurde gelegentlich die Vermutung geäußert, ich könnte nicht alle der vorgestellten Bücher gelesen haben. Nein, habe ich dann immer geantwortet, ich lese jedes Buch von der ersten bis zur letzten Seite. Und wenn nicht, dann werde ich das extra dazuschreiben. Das war hier nach langer Zeit mal wieder der Fall (Näheres dazu dann weiter unten unter "Desaster auf Deutsch").
"The Forever War"
Natürlich liegt das nicht an der Geschichte an sich. Joe Haldemans 1974 erschienener Roman "The Forever War" ist ein mehrfach preisgekrönter Klassiker der SF. Nach den Posting-Reaktionen auf die bloße Erwähnung des Titels in der vorigen Rundschau kann ich mir eine Vorstellung eigentlich fast schenken. Hier nur eine Kurzfassung: Hauptfigur ist William Mandella, ein Akademiker, der zum Militär eingezogen wird, weil sich die Erde im Krieg mit einem außerirdischen Volk befindet. Es ist ein in Raum und Zeit vollkommen zerspragelter Krieg. Und, wie sich schließlich herausstellt, auch noch einer ohne Anlass.
... nicht dass das eine unerwartete Abschlusspointe wäre. Joe Haldeman, der seine Erfahrungen als Vietnam-Veteran in den Roman eingebracht hat, schildert von Anfang an den Krieg als ebenso grausames wie absurdes System. Das einzigartige Szenario, vor dem Haldeman seinen Krieg stattfinden lässt, unterstreicht dies noch. Während die SoldatInnen mit relativistischer Geschwindigkeit quer durch die Galaxis von einem Gefecht zum anderen geschickt werden, ziehen draußen die Jahrhunderte ins Land (für Mandella dauert der Ewige Krieg nur ein paar Jahre, in Wirklichkeit sind es über tausend). Auf sich allein gestellt im Nirgendwo und Nirgendwann, verlieren sie alle Bindungen bis auf die zu ihren unmittelbaren MitkämpferInnen: Dieser Kniff ermöglichte es Haldeman wie niemandem zuvor, das Leben an der Front als von allem anderen losgelöstes, in sich geschlossenes System darzustellen.
Heimkehr in die Fremde
Auch zum Stichwort Queer SF wird "Der Ewige Krieg" oft genannt, nur teilweise passend allerdings. Mandella muss sich im Lauf der Jahrhunderte zwar daran gewöhnen, dass unter jeder Ladung neu eintreffender Truppen der Anteil homosexueller SoldatInnen immer größer wird. Das ist aber keine gesellschaftliche Entwicklung zu mehr Offenheit, sondern Ergebnis eines nüchternen UN-Programms zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums. Und steht in einer Reihe mit anderen Psycho-Konditionierungen: Etwa künstliche Schuldgefühle hervorzurufen, wenn jemand zuviel Wohnraum beansprucht, oder ein Hass-Programm, das die erste Truppengeneration zur Raserei gegen den Feind trieb.
Solche globalen Steuerungskonzepte (bzw. ihre Darstellung als hundertprozentig durchführbar) erinnern an die technokratische Science Fiction aus der Mitte des 20. Jahrhunderts und gehören vermutlich zu den Elementen des Romans, die am ehesten ein bisschen veraltet wirken. Andererseits verstärken sie noch einmal das Gefühl tiefer Entfremdung, das die KriegsveteranInnen befällt, wenn sie "nach Hause" zurückkehren. Großes Kino, zu Recht mit Hugo und Nebula ausgezeichnet!
"Forever Peace"
Auf Englisch gab es bereits eine Omnibus-Ausgabe der sogenannten "Forever War Series", nun liegt erstmals ein deutschsprachiges Gesamtpaket vor. Sogenannte Serie deshalb, weil einer der drei Romane nichts mit den anderen beiden zu tun hat. "Forever Peace" dreht sich zwar auch um das Thema Krieg, zeichnet aber eine andere Version der Zukunft. Hier handelt es sich um einen ökonomisch motivierten Krieg mit ungleichen Mitteln, der nur auf der Erde stattfindet: Auf der einen Seite der technisch hochgerüstete Westen mit seinen Verbündeten - auf der anderen diejenigen Länder der "Dritten Welt", die sich nicht in die neue Weltordnung einfügen wollen.
In "Forever Peace", das ebenfalls mit Hugo und Nebula ausgezeichnet wurde, betont Haldeman noch stärker die traumatisierende Wirkung des Krieges. Dann aber schlägt der Roman eine unerwartete Richtung ein: Die beiden Hauptfiguren Julian Class und Amelia Harding erfahren, dass ein großangelegtes Teilchenbeschleunigerprojekt im Jupiter-Orbit fatale Auswirkungen haben könnte - und zwar nicht weniger als die Zerstörung des gesamten Universums.
Haldeman versteht es, diese beiden so unterschiedlichen Motive durch eine kühne Vision miteinander zu verknüpfen. Es reicht nicht, das Jupiter-Projekt zu stoppen, erkennen die ProtagonistInnen. Andere könnten es wiederholen - um die Gefahr ein für alle Mal zu bannen, müsse man daher die Menschheit selbst verändern. Also vor allem ihren Aggressionstrieb zügeln. Dafür findet Haldeman im Grunde die gleiche Lösung wie 26 Jahre zuvor John Brunner in "The Stone That Never Came Down". Nur dass hier die Cybertechnologie erledigen soll, was bei Brunner die Chemie schaffte. Nebenbei bemerkt verleiht das dem Roman eine erstaunlich ironische Note: Friedliche Forschung ist hier die tödliche Bedrohung, militärische Technologie die Rettung und sogar der Weg zum Frieden.
"Forever Free"
Zwei Jahre nachdem sich "Forever Peace" nicht als das von vielen erhoffte Sequel zum "Ewigen Krieg" entpuppt hatte, erschien dann mit "Forever Free" doch noch eines. Wieder mit William Mandella als Hauptfigur. Mit seiner Frau Marygay und einigen anderen KriegsveteranInnen flieht Mandella aus der bedrückenden Friede-Freude-Eierkuchenwelt der neuen Menschheit, die sich zu einem Kollektivwesen entwickelt hat. Mit einem letzten Zeitdilatationsflug wollen sie tausende Jahre in die Zukunft springen und hoffen, dass sie dann Umstände vorfinden werden, mit denen sie besser zurechtkommen. Das Unternehmen geht schon nach kurzer Zeit schief - und schlimmer noch: Bei ihrer Rückkehr müssen sie feststellen, dass alle Menschen verschwunden sind.
"Forever Free" spaltet die Meinungen - ich schließe mich denen an, die den Roman für völlig missraten halten. Meine einzige Erklärung dafür ist, dass Haldeman wieder mehrere Motive miteinander verknüpfen wollte, ihm dann aber beim Schreiben die Zeit ausging. Anfangs fallen ein paar Andeutungen zu einem großen galaktischen Rätsel, von denen man nach der Lektüre sogar ahnt, wie sie ins Gesamtbild gepasst hätten ... wenn Haldeman sie in der Eile des Abschlusses nicht einfach vergessen hätte. Dafür wird auf recht unmotiviert wirkende Weise ein weiteres nichtmenschliches Volk eingeführt, und einen waschechten Deus-ex-machina-Auftritt gibt's auch noch. Beides zusammen ist sogar nah dran, den "Ewigen Krieg" nachträglich zu entwerten. Da hätte Haldeman gleich auf "Dallas" machen können: Mandella steigt aus der Dusche und Marygay haucht: "Oh Billy, ich hatte einen furchtbaren Traum ..."
Desaster auf Deutsch
Ein wichtiges Argument für den Kauf einer Gesamtausgabe entfällt also: Von den drei Romanen gehören nur zwei zusammen und von denen ist einer schlecht. Als Anreiz bleibt eine liebevolle Aufmachung inklusive eines beigefügten Posters und eines Interviews mit Joe Haldeman. Leider gibt es aber auch ein gewichtiges Gegenargument: die Übersetzung. Eine ältere deutsche Fassung hatte ich noch zuhause. Damals wurde dem tumben Mitteleuropäer "okay" noch als "also gut" und "polynesian" als "unbestimmt südländisch" verständlich gemacht. Und ein Mann mit Prothese mutierte vom "Cyborg" gleich zum "Roboter"; das Wort kennt man vielleicht eher, dachte man wohl. (Alle genannten Beispiele stammen aus der 1977 bei Heyne erschienenen Fassung von "Der Ewige Krieg".)
Ich dachte mir spaßeshalber, ich lege die beiden Übersetzungen nebeneinander und immer, wenn mir etwas besonders positiv oder negativ auffällt, linse ich mal kurz rüber, wie die Formulierung dort lautet. Ein Stilvergleich sollte es sein. Womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte, war, dass es inhaltliche Unterschiede geben würde. Als ich schließlich bei einer Passage ankam, in der die beiden Versionen das exakte Gegenteil voneinander behaupteten, war guter Rat teuer. 22,35 € teuer, genau gesagt. Soviel kostete nämlich die Originalversion von "The Forever War" mit Express-Zustellung. (Jaja, ich hätte es auch gratis im Netz lesen können, das weiß ich im Nachhinein auch, wollen wir diesen peinlichen Punkt bitte überspringen.) Vier strittige Passagen hatte ich mir notiert - lassen wir also Joe Haldeman selbst den Schiedsrichter spielen.
Vier Beispiele
+ Die gefrorene Blutspur einer getöteten Soldatin zieht sich über den Boden, ihre KameradInnen sammeln betroffen Steine für einen Grabhügel. In der 2013er Version steht: ... eine Spur aus Kristallstaub, die niemanden davon abhielt, Steine zu sammeln. Die 1977er Übersetzung meint, was auf den ersten Blick passender klingt: eine dunkle, kristallene Spur, die niemand betrat, als wir Steinbrocken sammelten. Und tatsächlich heißt es im Original: a path of crystal powder that nobody disturbed while we gathered rocks. Der Punkt geht an 1977, 0:1.
+ 2013: Der Kollapsar Sternentor hatte eine perfekte Umlaufbahn mit einem Radius von drei Kilometern. 1977: Der Kollapsar Sterntor war eine Kugel mit einem Radius von ungefähr drei Kilometern. Da gibt's nicht wirklich Interpretationsspielraum, entweder - oder. Haldeman sagt: The collapsar Stargate was a perfect sphere about three kilometers in radius. 0:2.
+ Ein Auftrag an die neuen RekrutInnen lautet, eine Basis einzurichten und sie in Schach zu halten (2013) bzw. nur zu halten (1977). Nachdem man eher feindliche Objekte in Schach hält als die eigenen, kommt das Ergebnis nicht überraschend. Haldeman: (...) you will maintain the base until further orders. 0:3.
+ Und schließlich die Sache mit den gegensätzlichen Aussagen. 2013: Es war ein Gemetzel, obwohl wir die Taurier fünf zu eins übertrafen. 1977: Es war ein schauriges Gemetzel, obwohl unsere Flanke ihnen zahlenmäßig weit unterlegen war. Haldeman: It was slaughter, even though our flank was outnumbered five to one. 0:4.
Kurz gesagt
Es tut mir leid, aber das ist keine gute Übersetzung. Und ich hatte auch keine Lust, einen der ganz großen Klassiker der SF-Literatur unter diesen Umständen weiterzulesen, also hab ich die Lektüre abgebrochen. Dabei bin ich jemand, dem die Eleganz einer Übersetzung weitgehend wurscht ist. Ich hab auch schon zu Buchhändlers Entsetzen auf eine liebevolle Neuedition eines Romans gepfiffen und mir stattdessen die handlichere Taschenbuchausgabe aus den 70ern aus dem Antiquariat gegriffen. Mitsamt der hingenudelten Übersetzung, für die so mancher SF-Verlag damals notorisch war. Stilistische Feinheiten, pah. Aber meine persönliche Schwelle ist dann erreicht, wenn ich etwas anderes lese, als der Autor geschrieben hat.
Immerhin konnte ich danach in Ruhe das Original durchschmökern. Die Freude nur von gelegentlichen misstrauischen Seitenblicken auf meine Bücherwand getrübt: Was mag sich da wohl noch alles an Übersetzungsbomben verbergen, das ich mangels direkten Vergleichs nie bemerkt habe ...?