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Während es für Mädchen vor allem durch den Frauenarzt-Termin regelmäßig die Möglichkeit gibt, Fragen rund um das Thema Sexualität stellen zu können, werden die Burschen mit ihren Anliegen ziemlich alleine gelassen.

Foto: APA/OLIVER BERG/DPA

Jugend und Sexualität wird im öffentlichen Diskurs häufig über die Schlagworte "sexuelle Verwahrlosung" oder "Generation Porno" problematisiert. Als Beweis dafür dienen nicht zuletzt Reality-Soaps wie "Teenager werden Mütter", die dem Publikum im wöchentlichen Rhythmus eine scheinbar evidenzbasierte Nabelschau bieten.

Die These "Österreichs Jugend verliert immer früher ihre Unschuld", erscheint vor diesem Hintergrund durchaus plausibel, und die schlechte Datengrundlage über das sexuelle Verhalten des heimischen Nachwuchses dürfte derartigen Pauschalisierungen ebenfalls zuträglich sein. "Der Forschungsstand zur Jugendsexualität in Österreich ist immer noch spärlich", lautet etwa die Kritik im sechsten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich aus dem Jahr 2011. Im Gegensatz zu Deutschland fehle es hierzulande an umfassenden und repräsentativen (Langzeit-)Studien, von einem "weißen Fleck" der Forschung zu sprechen, wäre allerdings auch nicht angebracht, so die Autoren des Berichts.

So kommt eine Querschnittserhebung der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung (ÖGF) aus dem Jahr 2012, bei der 218 Jugendliche zu ihrem "ersten Mal" befragt wurden, zu dem Schluss, dass sich das Durchschnittsalter von 16 Jahren in den vergangen zehn Jahren nicht verändert hat. Für Studienleiterin Martina Strilic ist damit das Vorurteil - der erste Geschlechtsverkehr passiere immer früher - nicht länger aufrecht zu erhalten.

Kluft zwischen körperlicher und geistiger Reife

Wird hingegen die Elterngeneration der heutigen Jugend als Vergleichsbasis herangezogen, so liegen hier - was die sexuelle Sozialisation betrifft - "Welten dazwischen", wie die Wiener Gynäkologin und First-Love-Beraterin Eva Rothe zu bedenken gibt. Die gravierendsten Unterschiede ergeben sich nach Meinung der Expertin vor allem durch zwei Faktoren: "Ein Grund ist sicher, dass die Geschlechtsreife der Jugendlichen gegenwärtig weitaus früher beginnt als dies noch vor 30 Jahren der Fall war", so Rothe.

Das zeigt auch eine Erhebung der Deutschen Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2006, in der konstatiert wird, dass Burschen und Mädchen im Vergleich zur entsprechenden Alterskohorte aus dem Jahr 1980 deutlich früher ihre sexuelle Reife erlangen. Demnach setzte bei der Hälfte der befragten Mädchen mit 12 Jahren die erste Regelblutung ein und die Hälfte der Jungen hatte in diesem Alter bereits den ersten Samenerguss. Das ist insofern relevant, da der Studie zufolge eine frühe sexuelle Reife auch mit einer sogenannten "Vorverlegung des ersten Koitus" korreliert, wie es im Fachjargon heißt. - Eine Entwicklung, die laut Rothe nicht unproblematisch ist, denn damit wachse auch "die Kluft zwischen körperlicher und geistig-psychischer Sexualreife". 

Spätestens hier kommt auch der zweite Faktor ins Spiel, der die sexuelle Sozialisation der heute heranwachsenden Jugend maßgeblich beeinflusst: das Internet. "Früher wurde Bravo gelesen, und auch wenn Dr. Sommer hochemotional und lächerlich wirkte, waren das zum Großteil richtige Informationen. Heute ist das Internet die primäre Quelle, durch die junge Menschen aber auch sehr verunsichert werden können. Untersuchungen haben beispielsweise gezeigt, dass ein Zwölfjähriger zwar weiß, was eine Domina ist, aber er davon, wie der Eisprung funktioniert, hat er keine Ahnung", so die Gynäkologin.

Alternative Beratungsangebote notwendig

Besonders die Sexualvorstellungen von Burschen werden durch Internetplattformen wie YouPorn geprägt, ist auch Claudia Linemayr-Wagner von der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung überzeugt. Schließlich meint ein Großteil der heranwachsende Männer, dass man aus Pornos "viel lernen" könne, so ein Ergebnis der ÖGF-Studie.

Während es für Mädchen vor allem durch den Frauenarzt-Termin regelmäßig die Möglichkeit gibt, Fragen rund um Partnerschaft, das "erste Mal" und Verhütung zu stellen, werden die Burschen mit ihren Anliegen ziemlich alleine gelassen. "Diese schauen sich zwar mit anderen Jungs schreckliche Videos von Riesenpenissen an - und denken, dass sie sich an diesen 'Normvorstellungen' orientieren müssen -, aber die körperliche Unsicherheit, die in diesem Alter sowieso normal ist, verringert sich dadurch keineswegs", betont Rothe.

Aufsuchende Angebote, wie die First-Love-Beratung, die auch an Schulen Aufklärungsarbeit leisten, seien zwar wichtig und gut, aber nach Ansicht der Gynäkologin müsste sich die Informationspalette generell mehr in Richtung geschlechtersensible Beratungskultur bewegen. "Im Biologieunterricht - wo Burschen und Mädchen zusammen sitzen - über Geschlechtsorgane oder Sexualität zu sprechen, können Sie vergessen. Sinnvoller wäre es, die Aufklärungsarbeit aus dem Biologieunterricht auszulagern und eine wöchentliche sexualpädagogische Unterrichtseinheit - bei der Burschen und Mädels getrennt sind - anzubieten. So könnte auch besser auf die jeweiligen Bedürfnisse und Fragen eingegangen werden", ist Eva Rothe überzeugt. (Günther Brandstetter, derStandard.at, 25.9.2013)