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Im Juli 2012 hat das Europäische Kernforschungszentrum Cern den Nachweis eines Teilchens bekanntgegeben, bei dem es sich um das Higgs-Teilchen handeln könnte. Alle bisherigen Tests bestätigten das Ergebnis.

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Jochen Schieck: "Die Frage nach der Beschaffenheit dunkler Materie ist eine der brennendsten der modernen Physik."

Foto: Hephy

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Peter Higgs arbeitete gemeinsam mit François Englert und Robert Brout an der Theorie des Higgs-Bosons.

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STANDARD: Nächste Woche werden die Nobelpreise vergeben. Die Agentur Thomson Reuters favorisiert die Physiker Peter Higgs und François Englert für die Vorhersage jenes Teilchens, das für Masse verantwortlich ist und am Teilchenbeschleuniger LHC nachgewiesen wurde. Schließen Sie sich dieser Meinung an? Welche Chancen haben die Physiker, die die Experimente durchgeführt haben?

Schieck: Ich möchte mich nicht an diesen Vorhersagen beteiligen. Aber natürlich ist der Nachweis des Higgs-Teilchens eine der großen Entdeckungen des vergangenen Jahres. Wenn der Nobelpreis dafür vergeben wird, dann sicher nur an die beiden Theoretiker, nicht an die Physiker, die beim aufwändigen Nachweis am LHC dabei waren. Da handelt es sich ja um zwei Gruppen. Da es nicht mehr als drei Nobelpreisträger pro Kategorie geben kann, müsste man einen Wissenschafter herausgreifen. Das ist unmöglich.

STANDARD: Warum spricht man vom Higgs-Teilchen, wenn doch Higgs und Englert das Phänomen vorhergesagt haben?

Schieck: Das ist eigentlich eine Laune der Geschichte. Peter Higgs hat das selbst im vergangenen Sommer in einem Vortrag vor der European Physical Society EPS erklärt. Der Vortrag hatte den Titel "My life as a boson". In den 1960er-Jahren, als dieses Phänomen diskutiert wurde, war es nicht so wie heute im Fokus der Wissenschaft. Während einer Tagung hat der Theoretiker Ben Lee darüber gesprochen und den Namen "Higgs" gewählt - und der hat sich dann auch durchgesetzt. Higgs hat das nie forciert. Er hat im Vortrag klar gesagt, was sein Beitrag war, und auch die Leistung der anderen Wissenschafter hervorgehoben. Es ist ihm wohl eher unangenehm, dass er der Namensgeber ist.

STANDARD: Der Higgs-Nachweis wurde vom Cern als riesiges Medienspektakel inszeniert. Inwiefern ist der Nachweis wirklich eine wissenschaftliche Sensation? Und was müssen die nächsten Schritte sein?

Schieck: Sensationell war nur, wie präzise das Standardmodell der Teilchenphysik wieder einmal bestätigt wurde. Jetzt müssen weitere Messungen folgen, um Irrtümer hundertprozentig auszuschließen. Aber das Higgs-Teilchen war eine Pflichtübung. Jetzt muss man beweisen, dass das Standardmodell nicht der Weisheit letzter Schluss ist, und physikalische Effekte untersuchen, die hier nicht erklärt sind.

STANDARD: Zum Beispiel?

Schieck: Die Gravitation ist eine jener Kräfte, die die Menschen am stärksten beeinflussen. Es gibt aber keine Theorie im Standardmodell der Teilchenphysik, die die Gravitation miteinschließt. Wir kennen keine Teilchen, die diese Physik beschreibt. Das Gleiche gilt für die dunkle Materie und noch für viel mehr Dinge, die wir in der Astroteilchenphysik beobachten, die wir uns aber nicht erklären können. Die Supersymmetrie, die besagt, dass jedes Teilchen eine Art Superpartner hat, ist eine Möglichkeit, über offene Fragen in der Theorie zu sprechen. Materie und Antimaterie wurden so definiert. Aber da muss es noch mehr und trickreichere Lösungen geben. Es sind noch lange nicht alle Möglichkeiten abgescannt.

STANDARD: Sie bauen ja am Hochenergiephysikinstitut Hephy eine eigene Forschungsgruppe zu dunkler Materie auf. Warum?

Schieck: Die Frage nach der Beschaffenheit der dunklen Materie ist eine der brennendsten der modernen Physik. Was liegt da zwischen jenen fünf Prozent Materie, die wir kennen? Was steckt hinter der nicht lichtreflektierenden, also nicht sichtbaren Materie, die in gängigen kosmologischen Modellen 24 Prozent des Universums ausmacht? Ich bin überzeugt, dass die Astrophysik mit Beobachtungen über Teleskope nicht allein auf des Rätsels Lösung kommt. Da müssen wir als Teilchenphysiker auch mit indirekten Beobachtungen unseren Beitrag leisten. Da bin ich sicher von meiner Arbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität in München beeinflusst, wo wir im "Excellence Cluster Universe" gemeinsam mit Astrophysikern gearbeitet haben.

STANDARD: Wie könnte ein indirekter Nachweis dunkler Materie zum Beispiel am Hephy funktionieren?

Schieck: Unser Institut geht eine Kooperation mit einem jener Physik-Großprojekte ein, die einen Untergrunddetektor in den Bergen betreiben. Wir beteiligen uns am Projekt im italienischen Gran-Sasso-Tunnel. Unter den Gesteinsschichten ist man hier abgeschirmt von kosmischer Hintergrundstrahlung, Ein stark abgekühlter Detektor, ein Supraleiter, interagiert mit den sogenannten WIMPs. Das sind schwach interagierende, massereiche Teilchen, die wir hinter der dunklen Materie vermuten. Der Supraleiter verwandelt die Wärmeänderung in ein elektrisches Signal. Das geschieht allerdings nur sehr selten.

STANDARD: Hat die Teilchenphysik in Österreich ihre Krise nun endgültig überwunden? Immerhin wollte man 2009 noch aus dem Cern austreten und argumentierte auch mit der geringen internationalen Sichtbarkeit des Fachs.

Schieck: Der Cern-Austritt ist sicher vom Tisch. Für den Schwerpunkt dunkle Materie werden immerhin 1,2 Millionen Euro über die Leistungsvereinbarung vom Wissenschaftsministerium investiert. Das ist schon ein deutliches Signal. Der nächste Schritt wird der Neubau des Instituts auf dem Gelände des Atominstituts im Wiener Prater sein. Er wird hoffentlich 2014 beschlossen. Es gibt sehr positive Signale dafür. Dann wird man sehen, in welcher Form wir mit dem Stefan-Meyer-Institut, das auch dorthin ziehen soll, kooperieren werden. Ich sehe dem positiv entgegen. (Peter Illetschko, DER STANDARD, 2.10.2013)