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Frische Kräuter und Gemüse auch bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt.

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Eliot Coleman zeigt, was er ohne Beheizung aus seinen mobilen Gewächshäusern ernten kann.

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Gut 150 österreichische Gemüsefachleute, das Who's who der innovativen Bioszene, stehen an einem eiskalten Novembersamstag auf einem Versuchsacker der Gartenbauschule Schönbrunn. Sie wollen einem 75-jährigen Amerikaner dabei zusehen, wie er Gartengeräte vorführt. Eliot Coleman hat gerade eine recht gewöhnlich aussehende Haue in der Hand: "Beim Garteln sollte man möglichst keine gebückte Haltung einnehmen", sagt er, "viel besser ist die eines Tänzers." Dafür aber müsse das Werkzeug eben in anderem Winkel am Stiel angebracht sein.

Coleman arbeitet seit 50 Jahren in der Biolandwirtschaft, war Geschäftsführer der internationalen Biodachorganisation IFOAM, hat die US-Regierung in Sachen Bio beraten, diverse Standardwerke geschrieben, Gartenwerkzeug erfunden und nebenbei eine Farm aufgezogen, die alle Lehrmeinungen über den angeblich unmöglichen Wintergemüsebau Lügen straft.

Er wird von Slowfood-Chefin Alice Waters genauso verehrt wie vom Kultkoch Dan Barber, dessen Gemüsegarten für das berühmte Farm-to-table-Restaurant Blue Hill bei New York er geplant hat. Gemeinsam mit seiner Frau Barbara Damrosch bewirtschaftet er einen unwirtlichen Flecken im nördlichen Maine an der Ostküste der USA: die - winzige - Four Season Farm. Auf Einladung von Wolfgang Palme, dem Leiter der Abteilung Gemüsebau in Schönbrunn (siehe Artikel), kam er nach Wien, um über den Wintergemüsebau zu referieren.

Alte Techniken

Er habe nichts erfunden, sagt Coleman, bloß wiederentdeckt: "Ich habe diese Techniken in Europa, nahe Paris, kennengelernt." Intensiver, trotzdem boden- und ressourcenschonender sowie energieeffizienter Gemüseanbau in unbeheizten Gewächshäusern sei selbst in Regionen mit langen, harten Wintern ganzjährig möglich. Man müsse bloß drei Punkte beachten: Die Auswahl der richtigen, frostharten Kulturen, kontinuierliches Säen und geschützte Kultivierung. "Wir bauen für den Winter rund 30 Kulturen an", erklärt Coleman, darunter Karotten, Lauch, Spinat, Winterportulak, Baby Leaf Salad (Mesclun), Mangold, Asiasalate und Pak Choi.

Heinz Reitbauer vom Wiener Restaurant Steirereck, der als einziger Koch am Seminar teilnimmt, ist begeistert von den Möglichkeiten: "Im Winter frisch geerntetes Gemüse, das karg und kalt wächst, hat mehr Struktur, Kraft und Tiefgang." Er betont aber auch: "Was die Vielfalt betrifft, sind wir hier schon viel weiter. Während es dort noch um Arten, Größe und Optik geht, reden wir hier längst über Sorten und Geschmack." Der notorisch neugierige Gemüsefreak ist da, weil er besser verstehen will, wie Gemüseanbau funktioniert, "und vielleicht mache ich so was auch einmal - in der Pension".

Coleman spricht vom "Zweiten Frühling" und meint den Herbst, in dem für den Winter gesät wird. Er startet damit am 1. August, denn die Kulturen brauchen in den unbeheizten Gewächshäusern dreimal so lang zur Reife wie in der warmen Jahreszeit. Wichtig ist, dass alle Kulturen gut angewachsen sind, bevor die Tageslichtlänge unter zehn Stunden pro Tag fällt. Denn dann gibt es nur mehr eine Art Kälteschlaf. Fruchtfolge ist selbstverständlich. Weil Gewächshausplatz kostbar ist, sät und pflanzt er enger und dichter als üblich - und musste eigene Geräte dafür entwickeln.

Lagenlook gegen Kälte

Neben rechtzeitiger Aussaat ist der Schutz vor Kälte von zentraler Bedeutung. Coleman verwendet dafür zwei Schichten. Die innere Schicht sind über Rundbögen gespannte licht-, luft- und feuchtigkeitsdurchlässige Vliese in langen Bahnen. Die zweite Schicht sind mobile Gewächshäuser, die je nach Bedarf verschoben werden können. Sein mobiles Gewächshaus auf Schienen mit abmontierbaren Rädern kann von zwei Leuten mühelos um eine Parzelle verschoben werden. "Pro Kälteschutzschicht machen wir einen Klimasprung um rund 800 Kilometer Richtung Süden", erklärt Coleman den Schlüssel zum erfolgreichen Wintergemüsebau.

Peter Laßnig vom Ochsenherz-Gärtnerhof in Gänserndorf, der mit seinem CSA-Betrieb schon jetzt auf ganzjährige Versorgung setzt, plant einen Schiebetunnel und findet "frisches Wintergemüse eine sehr gute Ergänzung zum Lagergemüse". Robert Brodnjak vom Krautwerk, als Quereinsteiger erst seit zwei Jahren im Biogemüsebau, ergänzt: "Wir haben zwei Folientunnel, die möchten wir auch im Winter bepflanzen. Außerdem genieße ich es, im Winter ein wenig im verschneiten Folientunnel zu sein." Weil es so schnell keinen weiteren Seminartag mit dem Wintergemüseguru aus Maine geben wird, haben Coleman, Damrosch und das Ehepaar Palme beschlossen, Colemans Buch "The Winter Harvest Handbook" in deutscher Übersetzung herauszubringen.

Laut Coleman wird Wintergemüse durch das langsame Wachstum besonders aromatisch. Dadurch ist es so attraktiv, dass die Vermarktung, auch zu höheren Preisen, in den USA problemlos gelingt. Wolfgang Palme ergänzt: "Wir unterschätzen unsere Gemüse. Die sind viel frostfester, als es in den Lehrbüchern steht." Er widmet sich gerade der Sichtung von Winterkresse, Winterportulak, Hirschhornwegerich und alten Salatsorten, die kaum zufällig Namen wie "Neusiedler Gelber Winter" tragen. (Katharina Seiser, Rondo, DER STANDARD, 6.12.2013)

>> Zum Thema: Genießer des Gartens - Wolfgang Palme