Vielschreiberin Saskia Hula über den Kinderbuchmarkt: "Es gibt ja kaum noch Bücher, die längere Zeit überleben. Das ist traurig. Als ich ein Kind war, hatten alle dieselben Bücher: 'Das kleine Ich-bin-ich' und die  'Drei Stanisläuse'."

Foto: Hula

derStandard.at: Sie wurden als Kinderbuchautorin mit dem österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnet und haben auch als Volksschullehrerin jeden Tag Kontakt mit Kindern. Glauben die Kinder eigentlich noch ans Christkind? 

Hula: Manche wahrscheinlich schon. Im Schulalter wohl nicht mehr viele. Die Kinder in der Volksschulklasse, die ich unterrichte, das sind lauter Kinder mit Migrationshintergrund. Ich glaube, denen sagt das Christkind überhaupt nichts mehr. Nur den Weihnachtstrubel, den kennen sie alle.

derStandard.at: Es gibt ja noch viele andere Fantasiefiguren für Kinder. Bis wann soll man ihnen den Glauben daran lassen?

Hula: Ich glaube nicht, dass es einen Punkt gibt, wo man als Elternteil sagt: So, jetzt gebe ich zu, dass es dieses oder jenes Wesen gar nicht gibt. Die Kinder wachsen vielmehr in die Geschichten hinein und auch wieder aus ihnen heraus. Ich würde Figuren wie das Christkind irgendwann eher auf die Ebene einer Legende heben. Als Geschichte ist es dann wahr. Und eine schöne Geschichte ist doch sehr viel wert.

derStandard.at: Wie gehen Sie in Ihren Kinderbüchern mit Fantasie und Wirklichkeit um?

Hula: Beides ist wichtig. Witzig kann es auch sein, Fantasie und Wirklichkeit miteinander  zu verbinden -  also eine realistische Geschichte zu schreiben, in der nur eine einzige Sache fantastisch ist. Oder aber der Text ist völlig realistisch und die Bilder sind fantastisch – so wie in meinem Buch "Die coolste Schule der Welt".

derStandard.at: Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?

Hula: Als meine Kinder mit Schulschikursen und Englischwochen angefangen habe, habe ich schlicht und einfach mehr Geld gebraucht. So bin ich auf die Idee gekommen, Kinderbücher zu schreiben. Das hat auf mich attraktiver gewirkt als Nachhilfestunden zu geben.

derStandard.at: Und dann war auch gleich eine Idee für ein Buch da?

Hula: Ich habe vor Weihnachten für meine Klasse ein Buch zum Vorlesen gesucht und keines gefunden. Ich bin da nämlich sehr pingelig. Da habe ich mir gedacht: Gut, dann schreibe ich eben selbst die Geschichte. Dass das geklappt hat, hat mich begeistert, und ich habe die Geschichte sofort an 25 Kinderbuchverlage geschickt. Erschienen ist sie natürlich nie. Meiner Klasse habe ich sie auch nie vorgelesen. Sie war wohl ein bisserl langweilig. Aber kurz darauf hatte ich eine neue Idee, habe sie wieder aufgeschrieben und wieder verschickt - und aus der wurde dann ziemlich schnell etwas.

derStandard.at: Was unterscheidet ein gutes von einem schlechten Kinderbuch?

Hula: Ich glaube, es gibt zwei Arten von schlechten Kinderbüchern: Die einen sind so schlecht geschrieben, dass sie sowieso niemand lesen will. Langweilig, schlechte Wortwahl, viel zu lange Sätze, öde Themen. Die anderen sind die Bücher, die ein bisschen an die Ärzteromane für Erwachsene erinnern - triviale Klischeegeschichten. Der Arzt heiratet seine Krankenschwester und sie leben glücklich dahin – das ist nicht besonders interessant und schon gar nicht bereichernd, wird aber trotzdem gern gelesen.

derStandard.at: Der Markt wirkt unüberschaubar.

Hula: Er ist riesig. Es gibt unendlich viele Bücher, viel zu viele. Jeder Verlag will mehr Bücher machen als der andere. Es gibt ja kaum noch Bücher, die längere Zeit überleben. Das ist traurig. Als ich ein Kind war, hatten alle dieselben Bücher: "Das kleine Ich-bin-ich" und die  "Drei Stanisläuse". Heute sind die Auflagen winzig und man muss schon froh sein, wenn es eine zweite gibt.

derStandard.at: Wie finden Eltern ein gutes Buch für ihr Kind?

Hula: Schmökern! Ein Gradmesser ist: Ein Buch, das es nicht schafft, mich neugierig zu machen, schafft es auch bei den Kindern nicht. Man merkt es auch beim Vorlesen: Welches Buch lese ich gern vor, welches ist absolut öd? Eigentlich ist es ganz einfach.

derStandard.at: Sind die Kinder in Ihrer Klasse Testleser der Geschichten?

Hula: Nein. Die bekommen wenig von mir zu hören, weil ich auf Lesungen viele meiner Bücher schon so oft gelesen habe, dass ich froh bin, in meiner Klasse etwas anderes lesen zu können. Ich lese sehr viel vor, aber sehr selten meine Bücher.

derStandard.at: Wie lange sind Sie schon Volksschullehrerin?

Hula: Lehrerin bin ich seit 27 Jahren, ich habe als Sonderschullehrerin mit krebskranken Kindern angefangen. Seit 13 Jahren bin ich an der Volksschule.

derStandard.at: Sind die Kinder heute anders?

Hula: Schwierig. Ich glaube, dass die Kinder heute viel zu viel von vielem haben … und dafür zu wenig Zeit, Raum und Ruhe. Auch zu wenig Langeweile. Die Kinder sind Langeweile nicht mehr gewöhnt. Sie erwarten, dass man sie permanent bespaßt und ihnen etwas bietet. Dabei ist Langeweile wichtig.

derStandard.at: Kinder brauchen Langeweile?

Hula: Langeweile ist doch etwas Großartiges! Sie bringt Kinder dazu, Ideen zu haben. Unsere Kinder werden aber zugeschüttet, bevor ihnen überhaupt langweilig sein kann. Ständig ist etwas los, sie spielen am Handy, und wenn gar nichts geht, schauen sie fern. Das sehe ich als Gefahr in der heutigen Zeit: Kinder können gar nicht mehr zu sich selbst finden.

derStandard.at: Was tun?

Hula: Ich habe das Gefühl, dass die Kinder froh über eine Gegenbewegung sind. In meiner Klasse habe ich eine sogenannte "Sanduhrzeit" eingeführt. Fünf Minuten lang rieselt der Sand und nichts passiert! Die Kinder dürfen sich während dieser fünf Minuten nur still beschäftigen und kein Wort reden. Das mögen sie, und wenn ich darauf vergesse, erinnern sie mich daran. Fünf stille Minuten sind lang – aber herrlich, für uns alle.

derStandard.at: Was machen die Kinder?

Hula: Manche zeichnen, andere schauen in die Luft. Es gibt auch Kinder, die sich ausruhen. Warum nicht?

derStandard.at: Haben die Kinder in Ihrer Klasse auch schon Handys?

Hula: In der ersten Klasse noch nicht viele, aber das kommt dann recht schnell. An und für sich ist ein Handy ja eine sinnvolle Sache – also zum Telefonieren.

derStandard.at: Das wollen sie aber weniger, nehme ich an.

Hula: Ja, stimmt. Sie wollen damit spielen.

derStandard.at: Wie sehen Sie die laufende Schuldiskussion?

Hula: Es ist ein absoluter Jammer, dass wir so wenig über die Inhalte reden. Es geht immer nur um das Rundherum. Ich finde es indiskutabel, dass die Gewerkschaft dauernd "Nein" sagt. Genauso indiskutabel ist aber auch, dass es nur um ein Sparpaket geht. Es stimmt, dass es Lehrer gibt, bei denen es kaum auffällt, wenn sie nicht da sind. Es gibt aber auch sehr viele Lehrer, die sehr viel arbeiten und bessere Bedingungen brauchen.

derStandard.at:  Was gehört dringend geändert?

Hula: Es müsste viel mehr Platz in den Schulen geben, mehr Bewegung, mehr Natur. Übrigens auch außerhalb der Schule. Was ich abschaffen würde? Diesen Druck, was denn ein Kind nicht alles können sollte. Und die unzähligen Tests, mit denen Kinder und Lehrer in letzter Zeit so gern beschäftigt werden. (Peter Mayr, derStandard.at, 13.12.2013)