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Wehmut tut selten gut.

Foto: APA/EPA/Leppin

An der Grünwalder Straße dürfte Wehmut geherrscht haben. Weniger bei den Spielern des SV Wiesbaden, die das Spiel am 5. Juni 2004 gegen die zweite Mannschaft des FC Bayern mit 0:1 verloren hatten, als bei Ralph Hasenhüttl. Der ehemalige ÖFB-Stürmer wurde bei den Gastgebern in der zweiten Hälfte zu seinem letzten Spiel als Aktiver eingewechselt. Hasenhüttls größere Zeit bei der Wiener Austria und beim GAK war schon länger vorbei, so richtig groß war sie trotz Auslandsengagements in Belgien und Deutschland wohl nie. Die deutsche Regionalliga Süd war die letzte Station des Grazers, sein Abschiedsspiel sahen immerhin 1100 Zuseher.

Während sich der Vorhang hinter Hasenhüttls Karriere also schloss, öffnete sich rund 70 km nördlich von München ein neues Kapitel im deutschen Fußballlexikon. Der FC Ingolstadt 04, also FC Ingolstadt 2004, schickte erstmals eine Kampfmannschaft auf das Feld, das Geburtstags-Testspiel gegen Borussia Mönchengladbach ging mit 0:1 verloren. Der neue Verein setzte sich aus dem MTV 1881 Ingolstadt und dem ESV Ingolstadt zusammen. Anfang des Jahres gegründet, sollten die ballesterischen Kräfte in der 128.000-Einwohnerstadt gebündelt, eine Euphorie entfacht und der schnellstmögliche Weg Richtung Profifußball gefunden werden.

Schon 2008 gelang der Mannschaft unter Coach Thorsten Fink der Aufstieg in die zweite deutsche Liga. Dort mussten die Oberbayern zwar kurzzeitig in den Fahrstuhl und nach nur einer Saison wieder zurück in die dritte Liga, der Wiederaufstieg gelang aber sofort. Seit 2010 hat man es sich in der unteren Tabellenhälfte der zweiten Liga bequem gemacht.

Aalen, Auszeit und Audi

In Ingolstadt gibt es ein Schloss, die Donau und vor allem Audi. Der Automobilkonzern hat seinen Sitz in der oberbayrischen Stadt und tritt gleichzeitig als Hauptsponsor des FC Ingolstadt 04 auf. Darüber hinaus sind das Trainingsgelände und der Audi Sport Park, also die Heimstädte des Zweitligisten, im Besitz des Autoriesen. Seit Oktober 2013 gibt es in Ingolstadt auch Ralph Hasenhüttl. Der Grazer sollte nach seinem erfolgreichen Engagement bei Aalen in Ingolstadt die Kohlen aus dem Feuer holen. Die Oberbayern waren unter dem ehemaligen Hoffenheim-Coach Marco Kurz katastrophal in die Saison gestartet und lagen nach zehn Spielen mit nur sieben Punkten an letzter Stelle der zweiten Liga. Kurz, der bei seinem Amtsantritt noch mit einem Platz in den vorderen Tabellenrängen geliebäugelt hatte, wurde nach dem enttäuschenden Start entlassen. Sportdirektor Thomas Linke präsentierte Hasenhüttl als Heilsbringer und neuen Chefcoach, vorerst bis zum Ende der Saison.

Hasenhüttl hatte sich als Trainer am Nebenschauplatz der deutschen Fußballbühne einen Namen gemacht. 2010 übernahm er beim Drittligaverein VfR Aalen die sportlichen Agenden, vertrieb Abstiegsgespenster aus der baden-württembergischen Provinz und verhalf dem Dorfklub 2012 sogar zum vielumjubelten Aufstieg in die 2. Liga. Dort war Aalen schon vor der Saison für viele abgestiegen, galt im Vorfeld als prädestiniertes Kanonenfutter. Aber die Mannschaft von Hasenhüttl überraschte, schob sich zwischenzeitlich sogar auf Platz fünf der Tabelle und schaffte als Neunter schlussendlich souverän den Klassenerhalt. Umso überraschender kam dann nach der Saison Hasenhüttls Rücktritt als Cheftrainer. Der Grazer erinnert sich: "Ich habe in Aalen alle meine Ziele erreicht. Meine Arbeit dort war getan. Außerdem brauchte ich eine Auszeit."

Das Kreuz mit der Tradition

Während seiner Auszeit ward Hasenhüttl nicht vergessen und wurde bei Vereinen wie dem 1. FC Köln und Werder Bremen als Trainer gehandelt, rannte aber schlussendlich im Herbst in offene Ingolstädter Arme, um die Bayern aus der Misere zu führen. Der ehemalige GAK-Spieler sah beim Stockletzten Perspektiven: "Ich glaubte dort mit meiner Art Fußballspielen zu lassen, etwas erreichen zu können. Außerdem wollte ich eine ähnliche Euphorie entfachen, wie es mir in Aalen gelungen war. Die Zuschauer sollten wieder ins Stadion kommen." Dass in Ingolstadt durch die kurze Vereinsgeschichte der Trumpf Tradition nicht zieht, ist für Hasenhüttl nicht unbedingt ein Nachteil: "Wir haben in Ingolstadt nicht die Historie anderer Zweitligavereine. Daher müssen wir uns das Zuschauerinteresse erarbeiten, haben auf der anderen Seite aber auch niemanden, der sich nach den goldenen Zeiten sehnt. Wir können hier unsere eigene Geschichte schreiben."

Hasenhüttl schlug in Ingolstadt ein wie eine zeitverzögerte Bombe. Obwohl das erste Spiel gegen Düsseldorf noch mit 1:2 verloren ging, nahm das Team Fahrt auf und konnte mit lediglich zwei Niederlagen in den folgenden zwölf Spielen den Tabellenkeller verlassen. Aufsehen erregte dabei ein 1:0-Auswärtssieg beim Aufstiegsfavoriten Köln. Eine tragende Rolle spielte dabei der österreichische Goalie Ramazan Öczan. Zwar machte der ÖFB-Teamspieler beim 1:2-Cup-Aus gegen Bundesligist Wolfsburg bei beiden Gegentreffern keine gute Figur, ansonsten trug er aber maßgeblich zur Stabilität der Mannschaft bei. Mit Christoph Knasmüllner steht auch ein zweiter Österreicher im Kader der Bayern, auf den endgültigen Durchbruch wartet der 21-Jährige aber noch.

Aufstiege passieren

In Ingolstadt mag man Ralph Hasenhüttl. Nach dem Aufschwung bis zu Platz elf unterschrieb der Steirer am Mittwoch einen Vertrag bis 2016. Voraussetzung dafür ist der Klassenerhalt. Langfristige Ziele mag Ralph Hasenhüttl dafür nicht: "Ich habe mich schon länger davon verabschiedet langfristige Vorgaben wie den Aufstieg zu verkünden. Gerade in dieser Liga sind Aufstieg und Abstieg so knapp nebeneinander." Planbar sei das sowieso nicht: "Aufstiege passieren einfach. Es gilt über die Saison hinweg weniger Fehler als die Konkurrenz zu machen. Das ist alles," sagt der Steirer.

Bei Hasenhüttls Abgang in Aalen dürfte Wehmut geherrscht haben. Und wenn er Ingolstadt verlässt, dann wäre das nicht unbedingt ein Wunder. Für einen der rar gesäten österreichischen Trainerexporte ist der Sprung vom Nebenschauplatz auf die große Bühne wohl kein großer mehr. (Andreas Hagenauer, derStandard.at, 26.2.2014)