Bio-Archäologin Michaela Binder erforscht menschliche Überreste aus dem antiken Sudan.

Foto: Uni Durham

Durham/Wien - "Ein Skelett am Tag, das geht schon. Wenn es in gutem Zustand ist, dauert das Knochenlesen kürzer", sagt Michaela Binder. Die 31-jährige Kremserin spricht von Knochen, die mindestens 3.000 Jahre unter der Erde harrten. In den letzten Jahren hat sie rund 250 Skelette aus der antiken Stadt Amara West - im heutigen Nordsudan gelegen - analysiert.

Die Gräber stammen aus der Zeit zwischen 1250 und 1070 vor unserer Zeitrechnung, als Amara die Hauptstadt der ägyptischen Kolonie Obernubien war. Doch auch nach Aufgabe der Kolonie war das Gebiet noch drei Jahrhunderte besiedelt - eine noch weitgehend unerschöpfte Fundgrube.

Mit ihren Untersuchungen hat die Bio-Archäologin, die seit 2009 im Auftrag des British Museum an der Universität Durham forscht, bereits einiges Aufsehen erregt: Erst im März berichtet sie im Fachblatt "Plos One" über den Fund von Metastasen in einem 3.200 Jahren alten Skelett - das älteste vollständig erhaltene eines an Krebs erkrankten Menschen. Vor wenigen Tagen erbrachte sie dann im "International Journal of Palaeopathology" anhand von fünf 3.000 Jahre alten Skeletten den frühesten Nachweis verkalkter Arterien.

"Die Funde zeigen, dass diese Krankheiten nicht unbedingt moderne Erscheinungen sind, sondern dass es andere Umweltfaktoren gibt, die es schon seit tausenden von Jahren gibt", sagt Binder, die ursprünglich an der Uni Wien Biologie mit Schwerpunkt Anthropologie sowie Urgeschichte studiert hat. Danach jobbte sie für Grabungsfirmen, die Akademie der Wissenschaften und die Wiener Stadtarchäologie, bevor sie am British Museum anheuerte.

Noch nicht publiziert sind jene Teile ihrer fast fertigen Doktorarbeit, in denen sie sich damit befasst, wie sich Klimaveränderungen in den Knochen niederschlagen. "Amara wurde auf einer Nil-Insel gegründet. 500 Jahre später war es so trocken, dass die Siedlung aufgegeben werden musste", schildert sie. Anhand des Gehalts von Sauerstoffisotopen im Zahnschmelz konnte Binder nachweisen, dass sich die Niederschlagsmengen und die Luftfeuchtigkeit stark verringert haben müssen.

Knochenneubildungen in den Nasennebenhöhlen und an der Innenseite der Rippen weisen auf chronische Atemwegserkrankungen infolge von Staub und Sand in der Luft hin. Außerdem registrierte sie einen Anstieg bei Zahnerkrankungen und Skorbut bei Kindern durch Mangelernährung. "Wie sich die Lebensbedingungen in Abhängigkeit von Klimaverschiebungen langfristig verändern, ist auch heute relevant", betont Binder.

Wohin es sie nach dem Doktorat verschlägt, ist noch offen. Fest steht: Über kurz oder lang möchte sie zurück nach Österreich. Doch das könnte schwierig werden, wie sie meint: Das Spezialgebiet der Bio-Archäologie sei stark unterrepräsentiert, und die Gräben zwischen Anthropologen und Archäologen seien noch tief.

Zumindest in privater Hinsicht wäre Wien ein idealer Arbeitsplatz für die junge Forscherin: "Ich gehe gern auf Friedhöfe und in Katakomben." (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 12.4.2014)