Eine Teekanne, eine Gabel oder eine Bürste: Im Geschäft von Jasper Morrison gibt es wie bei Manufactum Dinge, die meist ohne Styling zu unauffälligen Klassikern wurden, ohne sich damit zu brüsten.

Foto: Jasper Morrison Studio

Fortschritt, Technik und Marketing haben schon manche historisch bedeutsame Geschäftsmodelle für erledigt erklärt. Was nicht mehr gebraucht, nicht mehr nachgefragt wird oder in der Herstellung zu teuer ist, verschwindet aus den Regalen. Das Unternehmen Manufactum, virtuell wie analog aktiv, widmet sich mittlerweile seit 24 Jahren Dingen, die aus der Welt gefallen zu sein scheinen, und macht damit Millionen. "Es gibt sie noch, die guten Dinge", man kennt den Slogan von Manufactum, einer Firma, die von Thomas Hoof, einem ehemaligen Landesgeschäftsführer der nordrhein-westfälischen Grünen, gegründet wurde.

1998 beteiligte sich die Otto-Gruppe, 2008 verkaufte Hoof sein Unternehmen komplett an diese. Manufactum habe Produkte so "ausgewählt, fotografiert und kommuniziert", sagte Hoof in der Rückschau einmal, "als lebten wir noch in einer Knappheitsökonomie - also mit impliziten und expliziten Botschaften und Argumenten der technischen und ästhetischen Dauerhaftigkeit, der Einfachheit, der Reparierbarkeit."

Ganz anders und doch auch wieder nicht verhält es sich beim international renommierten Designer Jasper Morrison, der in seinem Designbüro im Londoner Stadtteil Hackney einen Shop betreibt, der ebenfalls virtuell aktiv ist. Morrison, zu dessen Auftraggebern Vitra, Alessi, Cappellini und viele andere gehören, verkauft eine Mischung aus Fundstücken, Haushaltsgeräten, Gartenutensilien und kuriosen Objekten, die ihm auf Reisen begegnet sind und die er mit eigenen Produkten mischt.

Showroom und Museum

Sein Shop sei eine Mixtur aus Showroom und Museum, ein kulturelles Projekt und ein Zuschussgeschäft, sagt Morrison: "Jedes Mal, wenn wir etwas verkaufen, verlieren wir Geld damit", stellt er fest. Denn sobald in der Kingsland Road 24b die Türklingel geht, kümmert sich ein gut bezahlter Gestalter um die Kundschaft, statt am Reißbrett weiterzutüfteln. Für Morrison, der als Designer Kontakt zu Herstellern und Händlern pflegt, ist sein Shop dennoch von großer Bedeutung, weil er hier direkt mit Käufern in Kontakt kommt. Die Verbindung aus Designbüro und Shop lernte er beim japanischen Designer Sori Yanagi (1915-2011) kennen.

Ob Manufactum oder Morrison, ob großes Geschäft, Nostalgie oder museumsartiges Projekt mit Kunden-Input: Beide Häuser bringen in Zeiten, in denen Design oftmals noch immer mit schreiendem Styling gleichgesetzt wird, Dinge nahe, die zeigen, worum es beim Gestalten eines Objekts geht - und sei es ein Kartoffelschäler. Genau das schafft die Möglichkeit, den Blick nicht nur für die guten alten Dinge zu schärfen, sondern vor allem den auf die neuen kritischer ausfallen zu lassen. Ist man nicht völlig der Nostalgie verfallen, gilt: Nur was man besser machen kann, verdient es auch, neu gemacht zu werden.

Zurück und vor

Einige Waren dürfen deutlich mehr kosten als anderswo, andere gibt es zu Kampfpreisen. Wieder andere findet man sogar im nächsten Baumarkt. Marken, die bei Manufactum vertrieben werden, sind meist traditionsreich, aber nur Insidern geläufig - Ausnahmen wie Leica bestätigen die Regel. Wer sich für das Angebot von Manufactum begeistern kann, hat zunächst ein Déjà-vu-Erlebnis, gefolgt vom kalkulierten Wohlfühleffekt beim Kaufen. Der Gebirgsrucksack aus österreichischem Jagdleinen mit Fahllederriemen oder die schwarze Bakelitsteckdose verfügen durchaus auch über Charme. Solche Dinge werden von kleinen Manufakturen seit Jahrzehnten auf die gleiche Weise hergestellt, mitunter wurden Produkt und Herstellungsverfahren durch den Versandhändler vor dem Aussterben gerettet. So gibt sich das Handelsunternehmen als Kurator meist rückwärtsgewandter Lebenswelten.

Zeitgenössische Entwürfe bietet das Manufactum-"Magazin"-Sortiment. Wer nicht nur Wert auf handwerkliche Tradition, sondern auch auf gestalterische Qualität legt, muss allerdings genauer hinsehen, um in dem Programm altgedienter Produkte schön und schnörkellos gestaltete Dinge zu finden wie die Kaffeekanne "Josefine" von Lilien Porzellan, die in den 1960er- und 1970er-Jahren in Österreich zum Verkaufsschlager wurde.

Alltagstauglichkeit

Morrisons Handelsimperium hat nicht einmal ein Schaufenster. Die Produktauswahl ist begrenzt, was ausverkauft ist, verschwindet aus dem Sortiment. Wer nichts verpassen will, abonniert den Newsletter "Products of the Month". Morrisons Palette folgt dem Konzept des "Super Normal" -Produkts, das nicht wegen seines Autors oder der Marke reizvoll ist, sondern wegen seiner unaufdringlichen Alltagstauglichkeit. Man muss übrigens nicht nach London reisen, um in Morrisons Geschäft zu stöbern: Im Onlineshop bietet er eine Auswahl der im Laden präsentierten Dinge, darunter schlicht gestaltete Klassiker wie die Schere der schwedischen Firma Fiskars. Oder den "Fruit Picker", ein seltsames Gerät aus Holz und Stahl mit nach innen gerichtetem Griff, mit dem man Beeren von Sträuchern pflücken kann.

Noch kurioser: ein japanischer Klebstoff auf Reisbasis. Man sieht, das Besondere liegt oft im Einfachen - oder in Dingen, von denen man gar nicht weiß, dass es sie überhaupt (noch) gibt. Anders als bei Manufactum gibt es bei Morrison nur knappe Beschreibungen, aber all diese Objekte sprechen in den meisten Fällen ohnehin für sich selbst. Man muss nur gut hinhören, ob sie es ehrlich meinen. (Heike Edelmann, Rondo, DER STANDARD, 16.5.2014)