München - "23" ist der Titel eines Computer-Thrillers, der das kurze Leben des Kulthackers Karl Koch nachzeichnet. Der 6 Millionen Mark teure Film, produziert von Claussen und Wöbke aus München, beruht auf den Begebenheiten, die vor zehn Jahren zum Tod des KGB-Hackers führten. Der Film startet demnächst in Österreichs Kinos. Interviews zum Kinofilm gibt es auf der offiziellen Site http://www.dreiundzwanzig.de Die gesammelten Recherchen von Zeitzeugen wurden vollständig in "23 - nichts ist wie es scheint" im dtv-Verlag veröffentlicht. Hacker für den KGB Am 1. Juni 1989 wird die verbrannte Leiche von Karl gefunden. In der Computer-Szene und beim Verfassungsschutz ist der 24jährige aus Hannover bekannt als "Hacker für den KGB": Mit seinem Hack ins Fermilab in Chicago machte er sich einen Namen in der Szene. Als Höhepunkt seiner Karriere hackt er mit Hilfe von drei Programmiererfreunden und einem Atari sensible Daten von US-Unternehmen und -Behörden sowie der Militärs an den russischen Geheimdienst und kassiert dafür insgesamt 20.000 Mark. Karls Pseudonym "Hagbard Celine" entlehnt er der Hauptfigur des Kultromans "Illuminatus!" von Robert Anton Wilson, dessen mystisch-verschwörerischer Romanstoff für den jungen Hacker zur "Religion" wird. Koch nimmt den Roman wörtlich und glaubt tatsächlich an eine weltweite politische Verschwörung von "Illuminaten". Der ehrgeizige Hacker und Gelegenheitskiffer mutiert zum Drogenabhängigen und Psychotiker, der immer mehr in einen Zustand paranoider Schizophrenie abgleitet. Knapp ein Jahr nachdem sich Koch freiwillig dem Verfassungsschutz stellte, kommt er auf mysteriöse Weise ums Leben. Mit dem Vermerk "Freitod" wird die Ermittlungs-Akte Koch schließlich geschlossen. Doch die genauen Todesumstände sind bis heute nicht geklärt. In der Computerszene ist der legendäre KGB-Hack, von der Presse einst zum "größten Spionagefall seit Guillaume" hochstilisiert, zum Symbol und Mythos der 80er Jahre geworden. (pte/chip) NACHLESE aus dem Viennale-STANDARD 1998 Abtauchen in einer plattenbaugrauen Welt Dieser Film ist - im Gegensatz zu Jedermanns Liebling Lola rennt - alles andere als rund, perfekt: Eine inszenatorische Kantigkeit - angenehm "amerikanisch" in ihrer Weite - schafft in Hans-Christian Schmids Paranoia-Thriller 23 jenen Raum zum Sehen, den Die Anderen Hier stets mit glattem "Stil" zukleistern. Genau jene klassisch-"amerikanische" Inszenierung ermöglicht es 23 letztlich, im einzig wahren Sinne "deutsch" zu sein: wie die Dinge ihren Lauf nehmen, kann so nur hier geschehen. Das wichtigste an 23 aber ist das in den größeren deutschen Produktionen dieser Dekade hartnäckig vermiedene Gefühl gelebter Geschichte. Schmids Geschichte von den beiden Hackern, die in eine Welt geraten, deren Regeln sie nicht überschauen können, spielt basierend auf wahren Begebenheiten an einem konkreten Ort: das norddeutsche Flachland zwischen Hannover und Hamburg, zu einer klar definierten Epoche: Späte 80er, Anti-Atomkraftbewegung, Zerfall der Linken, Beginn des Einzugs der Computer in den Alltag. Die Welt ist plattenbaugrau, schwer flächig: man glaubt permanent gegen was zu laufen. Es ist jener bewußtseinslose Mangel an Perspektive, der die beiden Hacker dazu verleitet, in das Netzwerk wie in die Kokssucht abzutauchen auf der Suche nach etwas Anderem. Sie finden es nicht. Der eine schafft gerade noch den Absprung zurück in den Schoß der Familie, der andere stirbt unter ungeklärten Umständen. Beide werden zu Menschen, die sie nie sein wollten: das ist die klassische Geschichte der Jugend. Der bundesdeutsche Film ist mittlerweile auch etwas, das er so wohl nie sein wollte. Seit rund sechs Jahren nun wartet man in der deutschen Filmszene darauf, daß die Versprechungen der letzten Jahre nun endlich eingelöst werden, daß man hier wieder Filme macht, die sich international sehen lassen können. Nachdem heuer zwar kein deutscher Film eine offizielle Einladung nach Cannes bekam, war man aber in Locarno gleich mit drei und in Venedig mit zwei Filmen im Wettbewerb vertreten. Die beiden Venedig-Filme: Tom Tykwers Lola rennt und Doris Dörries Bin ich schön?, waren schon kurz davor, bzw. bald darauf in den Kinos zu sehen und wurden von einer ziemlich gleichgeschalteten Presse über den grünen Klee gelobt. Von den Locarno-Filmen hingegen - 23, Jan Schüttes völlig mißlungene Krausser-Adaption Fette Welt, sowie Fatih Akins Debut kurz & schmerzlos - las man bislang nur recht wenig. Das macht den Zwiespalt deutlich, in dem sich der deutsche Film gerade befindet: Einerseits gibt es ein Interesse an deutschen Filmen: Man will "unsere" Sprache hören, aber andererseits nicht mit "unserem" Leben, "unserer" Welt belästigt werden. Das große deutsche Kino - jene kleine Gruppe von Produktionen, für die seit dem Erfolg von Helmut Dietls Rossini (1996) auch ausgeklügelte Marketingstrategien à la Hollywood entwickelt werden - soll nicht zeigen, wer & wie wir sind, sondern wer & wie wir gerne wären: zurück zum Wirtschaftswunderfilm. Der Rest des BRD-Kinos - jene erstaunlich große Zahl an kleinen und kleinsten Produktionen, die jedes Jahr entstehen - wird von den Vertreibsstrukturen wie auch der Presse marginalisiert. Wenn man irgendwo Deutschland im Kino finden kann, dann bei Leuten wie Thomas Arslan (Mach die Musik leiser), Matl Findel (Alle Zeit der Welt) und Michel Freerix (Chronik des Regens), in den Kurzfilmen von Antonia Lerch, den Dokumentationen von Aysun Bademsoy. Mehr davon würde man auch bei der Viennale gerne sehen: Denn Deutschland ist das, was hier anders ist als anderswo, die Diskrepanz zwischen den Bildern, die man sich macht, und der Welt, wie sie ist. Olaf Möller