Denise Barlow
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STANDARD: Wie viele Frauen und Männer beschäftigen Sie in Ihrem Labor? Barlow: Bei mir arbeiten vier Männer und acht Frauen.

STANDARD: Das widerspricht dem Bild der männlich dominierten Naturwissenschaften. Wie hat sich das entwickelt?

Barlow: Unter anderem liegt das am gestiegenen Frauenanteil unter den Studierenden. Es gibt Vorlesungen, in denen schon 60 Prozent der Teilnehmenden weiblich sind. Damit hat es sich aber schon wieder mit dem Frauenüberhang, denn auf der Ebene der Post-Docs (Forscher, die nach der Dissertation eine wissenschaftliche Karriere einschlagen, Anm.) schaut die Situation ganz anders aus. Man muss jetzt abwarten, ob sich weibliche Studierende vermehrt für die Wissenschaft entscheiden.

STANDARD: Diese Entwicklung vor Augen, könnte man doch eigentlich argumentieren, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis mehr Frauen in Spitzenpositionen gelangen?

Barlow: Dieses Argument geht meiner Ansicht nach völlig in die Leere. In manchen Ländern sehe ich durchaus positive Anzeichen, aber für Österreich habe ich keine Hoffnung. Frauen bekommen hier keine Chance auf Spitzenpositionen in der Wissenschaft.

STANDARD: Warum eigentlich?

Barlow: Die Strukturen in Österreich verändern sich nur sehr langsam. In meinem Arbeitsfeld gibt fast keine Frauen in wissenschaftlichen Spitzenpositionen, sie werden schlicht nicht berufen. Die für eine solche Position fähigste Frau in meinem Bereich, Renée Schröder, bekam nur eine außerordentliche Professur. Wenn sie nicht zum Zug kommt, wer dann soll eine Chance wert sein? Ich sehe die Tendenz, dass immer mehr Frauen auf den unteren Ebenen arbeiten. Aber die Strukturen erscheinen mir zu starr, als dass Frauen wirklich bis an die Spitze vordringen.

STANDARD: Sie haben in Großbritannien, Deutschland, den Niederlanden und Österreich geforscht. Wie bewerten Sie die Situation von Wissenschafterinnen im Ländervergleich?

Barlow: Großbritannien hat sich seit meiner Studienzeit Ende der Siebzigerjahre gut entwickelt, was wohl aus einer Mischung von verschiedenen Maßnahmen resultierte. Um nur eine zu nennen: Der Welcome Trust, eine unabhängige Institution zur Grundlagenforschung, hat seine Vergabepraxis einer kritischen Analyse unterzogen und einige diskriminierende Faktoren ausgeschaltet. Der Effekt war, dass mehr Frauen für wissenschaftliche Spitzenleistungen Geld erhalten haben. Auch bei der alteingesessenen Royal Academy (vergleichbar der Akademie der Wissenschaften in Österreich, Anm.) hat man gezielt Frauen aufgenommen. In Deutschland, den Niederlanden und Österreich habe ich überall die gleiche Erfahrung gemacht: Es wird kein Wert darauf gelegt, dass Frauen in der Forschung bleiben und Karriere machen.

STANDARD: Welche Erfolgskriterien leiten Sie also aus Ihrer Erfahrung ab?

Barlow: Ich denke, es geht um eine Veränderung in der Geisteshaltung. Es muss allgemein anerkannt werden, dass Frauen die gleichen Chancen wie Männer in der Wissenschaft bekommen müssen. Ich sehe das auch als eine Aufgabe der Europäischen Union, die Mitgliedsstaaten nachdrücklich anzuhalten, ihre Zahlen zu verbessern.

STANDARD: Aber es gibt in Österreich bereits einige Initiativen, um die Situation von Frauen zu verbessern.

Barlow: Das stimmt, aber die meisten Maßnahmen setzen bei Nachwuchswissenschafterinnen an, die gerade ihr Studium mit einer Dissertation abschließen oder sogar noch davor stehen. Aber überlegt sich jemand, was mit den Frauen danach passieren soll? Ich sehe die Gefahr, dass wir Wissenschafterinnen mithilfe von Stipendien aufbauen und es dann keine Jobs für sie gibt, weil die Strukturen zu verknöchert sind. Eine Initiative wie Fempower ist da zu begrüßen, weil sie die betriebliche Forschung als Arbeitsplatz für Frauen promotet.

STANDARD: Was sollte in der akademischen Forschung passieren?

Barlow: Frauen müssen Teil des institutionellen Establishments werden, damit sie wiederum junge Wissenschafterinnen als Mentorinnen begleiten können. Es muss öffentlichen und auch finanziellen Druck auf die Einrichtungen geben, damit sie sich für Frauen öffnen. Ein erster Schritt wäre, dass die Institutionen genau aufschlüsseln, wo wie viele Frauen arbeiten, und sich für ihre beschämend niedrige Zahl auf höheren Ebenen rechtfertigen müssen. In Großbritannien käme eine Einrichtung, die mit öffentlichen Geldern gefördert wird und keine Frauen befördert, sofort in einen Argumentationsnotstand. Die Medien würden darüber berichten, und die Öffentlichkeit wäre entsetzt. In Österreich regt das niemanden wirklich auf.

STANDARD: Viele Einrichtungen sagen aber, dass sich einfach nicht genügend gut qualifizierte Frauen für einen Job bewerben. Barlow: Das stimmt meistens nicht. Ich habe selbst Hearings mit exzellenten Frauen erlebt, und wenn ich danach mit den männlichen Mitgliedern der Berufungskommission sprach, sagten sie: "Ich habe nicht verstanden, was sie gesagt hat, ihre Stimme war zu hoch." Es braucht öffentlichen Druck, damit sich Institutionen auch bemühen, Frauen zuzuhören. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. 6. 2004)