Zur Person

Erick Zott (56), in Chile einst Aktivist des linken MIR, lebt seit 1976 in Wien.

Foto: Cremer

Der in Wien lebende Chilene Erick Zott soll am Montag in Santiago vor Gericht darüber aussagen, wie er 1975 in der "Colonia Dignidad" gefoltert worden ist. Mit ihm sprach Erhard Stackl.

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STANDARD: Die "Zeit" hat Sie als einen der wichtigsten Zeugen für die Folterungen in der "Colonia Dignidad" bezeichnet. 1975 sind Sie von Chiles Militärregime wegen vermuteter Verbindungen zur linksrevolutionären Bewegung MIR verhaftet worden. Was geschah damals?

Erick Zott: Im Jänner 1975 wurde ich von Pinochets Geheimdienst "Dina" festgenommen. Nach zwei Wochen in deren Hauptquartier, der "Villa Grimaldi" in Santiago, wurde ich in die Stadt Concepcion überstellt. Von dort hat man mich mit einem zweiten Gefangenen, Luis Peebles, mit verbundenen Augen an einen weiteren Ort gebracht, das war die Colonia Dignidad.

STANDARD: Wie konnten Sie das feststellen?

Zott: Man hat mir die Augen noch auf der Hauptstraße, der Panamericana, verbunden. Zunächst wusste ich nur ungefähr, wo ich war.

STANDARD: Sie wurden gefoltert, um die Namen und den Aufenthalt von Mitstreitern des MIR preiszugeben? Wer hat Sie gefoltert – Chilenen, Deutsche?

Zott: Es handelte sich zunächst um Chilenen, aber einer, der das Verhör führte, hatte aber einen starken portugiesischen Akzent, es dürfte ein brasilianischer Soldat gewesen sein – und es waren auch Deutsche. Einer, den ich erkennen und später auch identifizieren konnte, war Gerhard Mücke, damals die rechte Hand von Paul Schäfer.

Die Foltermethoden waren in der Colonia anders als bei der Dina. In Santiago ging es wenig rational und sehr emotional zu, sie wollten mit viel Gewaltanwendung in kurzer Zeit Resultate erzielen. In der Colonia war das viel stärker kalkuliert. Man hat mir zum Beispiel über längere Zeit Elektroschocks gegeben, ohne Fragen zu stellen, nur um zu sehen, wie ich auf den Schmerz reagiere. Man hat den Strom durch die Genitalien geschickt, aber vor allem durch den Mund. Ich hatte viele Zahnplomben, und sie merkten, dass mir das besonders stark weh tat.

STANDARD: Wie haben Sie erfahren, wo Sie waren?

Zott: Über eine Mitgefangene, Adriana Bórquez. Der hat man etwas zu essen gegeben und dazu einen Löffel, auf dem sie die deutsche Aufschrift "Weihnachten" erkennen konnte. (Die Colonia betrieb ein öffentliches und in Chile bekanntes Restaurant mit deutscher und österreichischer Küche.)

STANDARD: Wie lange wurden Sie in der Colonia festgehalten?

Zott: Das waren ungefähr zwölf Tage. Mittendrin hat man uns aus unerklärlichen Gründen einmal bis zur Panamericana und dann wieder zurück gebracht, ehe es wieder in die "Villa Grimaldi" ging. Deshalb konnte ich später die Route so genau beschreiben. Als ich von dort wieder nach Santiago gebracht wurde, hat mir ein Dina-Agent sogar gesagt, dass ich in der "Colonia" war.

STANDARD: Wann konnten Sie Chile verlassen?

Zott: Das war am 6. November 1976, ich wurde des Landes verwiesen und Österreich hat mich als politischen Flüchtling aufgenommen.

STANDARD: 1977 hat Amnesty International in Deutschland über die Folterungen in der Colonia Dignidad berichtet und wurde dafür von der Sekte verklagt. Schon damals waren Sie ein Hauptzeugen und Sie sind in dem viele Jahre dauernden Verfahren auch zu einem Experten über den Colonia-Gründer Paul Schäfer geworden.

Zott: Das kann man so sagen.

STANDARD: Wie würden Sie Schäfer charakterisieren?

Zott: Ich betrachte ihn als nahezu psychopathischen Päderasten, der aber ein großes Organisationstalent hat. Das Wort, das mir bei ihm sofort einfällt, ist "astucia" – Gerissenheit. Er ist auf seine Art einzigartig und deswegen besonders gefährlich, es reicht nicht, ihn als Nazi-Unteroffizier zu beschreiben. Er hat ja das Konzept für die Kolonie schon in Deutschland entwickelt – mit einem einzigen Ziel: es ging ihm darum, seine Pädophilie zu befriedigen.

Er hat sich mit dem Baptistenprediger Hugo Baar zusammengetan, der den Leuten Vertrauen gab. Aber dahinter stand Schäfer, der wohl selbst gar keine religiöse Überzeugung hat. In der Praxis schuf er einer völlig diktatorischen Gemeinschaft, in der er ständig Zwietracht säte, um ein Komplott gehen ihn zu verhindern. Er hat Frauen von Männern, die Kinder von ihren Eltern, die Mädchen von den Buben getrennt.

Die einzige Gelegenheit, wo sie alle zusammen waren, waren die Generalversammlungen, die er zeitweise täglich einberief, auch um zwei oder drei Uhr früh. Er hat immer bis ein oder zwei Uhr nachmittag geschlafen und war dann ausgeruht. Er ließ alle aus den Betten holen und hielt seine Strafprozesse ab. Die Kolonie-Mitglieder mussten bekennen, welche Sünden sie an diesem Tag begangen hatten. Sie wurden dafür mit geprügelt oder auf andere Weise bestraft. Es war ein fürchterlicher Terror.

STANDARD: Wie ist es zur Verbindung mit Chiles Militärregime gekommen?

Zott: Auch diese ideologische Achse geht schon auf die Zeit in Deutschland zurück. Das Argument Schäfers, um mit seinen Leuten nach Chile zu gehen, war es ja, dass die Kommunisten, die Russen, bald in Deutschland und in großen Teilen Europas einmarschieren würden.

STANDARD: In Wahrheit war durchgesickert, dass es in seiner Sekte Kindesmissbrauch gibt.

Zott: Genau, aber er stellte den antikommunistischen Charakter seiner Gemeinschaft heraus. Es war in der damaligen Zeit leicht, Menschen mit diesem Argument Angst zu machen.

STANDARD: Viele der Gemeindemitglieder waren damals, in 50er Jahren, ja Waisen des Zweiten Weltkriegs?

Zott: Ja, aber es war unterschiedlich. Er suchte Leute aus, die ihm nützlich sein könnten, einfache Leute Tischler, Elektriker, Arbeiter. Der einzige Intellektuelle war Hugo Baar.

STANDARD: Sie fahren an diesem Wochenende nach Chile, um dort gegen Schäfer auszusagen. Wurden Sie vom Gericht vogeladen?

Zott: Ja. Der Richter Joaquin Billard hat mich für Montag als Zeugen hinbestellt.

STANDARD: Was erwarten Sie sich von dem Verfahren?

Zott: Ich denke, dass es nicht nur für mich, auch für alle anderen von Schäfer und seinem Instrument, der Colonia Dignidad Betroffenen, viel zu lang gedauert hat. 44 Jahre im Fall der Im Fall der Deutschen sind es 44 Jahre, für uns schon mehr als 30 Jahre. Ich meine, dass der Staat Chile endlich die Verantwortung übernehmen muss, die er 44 Jahre lang nicht wahrgenommen hat. Das heißt: die Existenz eines Phänomens dieser Art nicht länger hinzunehmen. Das war ein Staat im Staat. (DER STANDARD, 12.12.2005)