Europa liebt das Wiener Schnitzel - bloß heißt es manchmal Milanesa oder wird mit Sardellen und Kapern garniert.

Montage: Lukas Friesenbichler

Der Name legt nahe, dass das Schnitzel ein echter Wiener sei, tatsächlich aber ist diese Ikone der heimischen Küche weitaus vielfältiger in Europa verwurzelt. Das ist nicht zuletzt deshalb tröstlich, weil es ausgerechnet in seiner vorgeblichen Heimatstadt nur noch selten so serviert wird, dass es seinem Namen zur Ehre gereichen kann. Auch wenn sich nur ganz wenige Wiener Wirtshäuser oder Beisln finden werden, die den keusch und doch knusprig verhüllten Fleischlappen nicht auf der Karte haben: Aus hochwertigem Kalbfleisch geschnitten, mit entsprechender Hingabe herpaniert, gefühlvoll und aufmerksam in der Pfanne souffliert wird er allzu selten.

Im Gegensatz zu anderen lokal verorteten Gerichten, von der Weißwurst in München bis zur Pizza in Neapel, gibt es in Wien auch keine Lokale, die sich aufs Wiener Schnitzel spezialisiert hätten. Es sieht fast so aus, als ob die größte Köstlichkeit in ihrer Heimatstadt unter "ferner liefen“ abgelegt worden wäre. Dazu passt auch, dass das einzige explizit für seine Schnitzel bekannte Wiener Restaurant, der Figlmüller, explizit keine Wiener serviert, sondern gebackene Schweinsschnitzel.

Von Preiselbeeren bis Pommes

Dementsprechend erscheint bis heute unklar, wie ein Wiener Schnitzel überhaupt zu Tisch kommen sollte, um sich des Namens würdig zu erweisen. Schon innerhalb Österreichs kann man bei der Schnitzelbestellung einiges erleben – im weiteren Europa scheinen überhaupt andere, wenngleich nicht weniger gültige Maßstäbe angesetzt zu werden.

Preiselbeermarmelade als Garnitur etwa ist in den Bundesländern Standard, in Wien ein No-go. Ähnliches gilt für die Beilagen – während in Wien außer dem obligaten Zitronenschnitz lediglich Erdäpfel-, Erdäpfel-Gurken-, Erdäpfel-Vogerl- oder Gemischter Salat die Freude am Schnitzel unterstützen dürfen, gehört jenseits der Hauptstadtgrenzen eine weitere Sättigungsbeilage mit auf den Teller – Reis ist beliebt, aber auch Petersilerdäpfel oder gar Pommes.

Curryreis als Gourmetbeilage

Wie locker mit den Zutaten gespielt werden darf, wird auch im eben erschienenen Lebenskochbuch des verstorbenen Gastronomiekritikers und für seine Kenntnis der österreichischen Küche legendären Kochbuchautors Christoph Wagner offenbar. Demnach genoss dieser sein Wiener am liebsten mit Curryreis.

Wir sehen: Schon in Wien, erst recht aber innerhalb Österreichs gibt es Brösel, sobald es um die richtige Darreichung des Schnitzels geht. Nun ist das Wiener Schnitzel aber ein Welterfolg, wird in Berlin ebenso freudig bestellt wie in Paris, Stockholm, Buenos Aires, Tel Aviv oder natürlich Mailand. Zwar heißt es nicht überall Wiener Schnitzel – auf Spanisch wird es etwa als "Milanesa“ nach dem angeblichen, historisch aber nicht plausiblen Ursprungsort bestellt – noch wird überall Kalbfleisch verwendet (in Israel meist Huhn oder Pute, in Argentinien Rind). Das Grundprinzip des in Brösel gehüllten und in heißem Fett herausgebackenen Fleisches ist aber dasselbe, auch der Geschmack kann, wenngleich vom hierorts Gewohnten abweichend, um nichts weniger erhebend sein. Es kommt, wie stets, eben ganz auf den Koch an.

Präpotenz der Wiener

Insofern ist es doch verwunderlich, mit welcher Präpotenz der gemeine Wiener glaubt, sich etwa über jene Deutschen lustig machen zu können, die ihr Schnitzel am liebsten "mit Tunke“, vulgo Kalbsjus, serviert haben möchten. Oder wie borniert Wiener Kellner sich verhalten, wenn etwa ein Skandinavier das, was er in Wien als Wiener Schnitzel serviert bekommt, als minder garniert wahrnimmt.

In Stockholm oder Kopenhagen gilt ein Wiener Schnitzel eben erst dann als komplett, wenn es mit seiner Garnitur aus Sardellen, Petersilie, Kapern und Zitrone serviert wird. Wer das weiß, dem mag die knusprige Panier des Schnitzels ganz plötzlich als brotähnliche Unterlage erscheinen, die nur darauf wartet, entweder mit Süßem (also Preiselbeeren) oder Salzigem (Sardellen, Kapern usw.) garniert zu werden.

Weder Wien, noch Mailand

Dass beides gleich gültige Herangehensweisen sind wie die pure Zitronenvariante, zeigt die Geschichte. Der Kulturhistoriker Alberto Capatti hat sich als einer der wenigen wissenschaftlich mit der Herkunft des Wiener Schnitzels beschäftigt. Er meint, dass es, wie die Cotoletta alla milanese, weder aus Wien noch aus Mailand stammt, sondern in diversen Varianten auf den Tafeln wohlhabender Adeliger in ganz Europa heimisch gewesen ist.

Erstmals kodifiziert wurde es laut Capatti, wie fast alle edlen Gerichte Europas, jedoch in Paris: "Nur hier hat man so früh begonnen, Zubereitungsarten niederzuschreiben, sie nach Machart oder Ingredienzien mit Namen zu versehen“, sagt Capatti. "So bezeichnet ,à la Milanaise‘ eine Reihe in Bröseln gebackener Gerichte, während ,à la Viennoise‘ eine Garnitur aus Sardellen, Petersilie, Kapern und Zitrone bedingt. In Paris ist die ,Escalope  Viennoise‘ deshalb bis heute ein paniertes Schnitzel, das dank ebendieser ,Wiener Garnitur‘ mit Würze versehen wird.“

Vielfalt und Einheit des Kontinents äußern sich eben auch in dem, was der Europäer zu sich nimmt – dass das Wiener Schnitzel da in durchaus prominenter Weise dazugehört, darf uns gern mit Stolz erfüllen. Spott hingegen zeugt lediglich von einer Wissenslücke. Den darf man sich getrost für jenen Moment aufheben, da man die (amerikanische) Webseite www.wienerschnitzel.com anklickt. Dort werden in dezidiert altdeutscher Schrift Hotdogs angeboten. Und die sind nicht einmal paniert. (Severin Corti, DER STANDARD, 24.05.2014)