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Hundenasen können flüchtige organische Verbindungen in Urinproben erschnüffeln. Diese werden von Krebszellen produziert.

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Wien - Der Fall machte Schlagzeilen: 1989 stellte sich eine 44-jährige Frau in der Hautklinik vor. Die Ärzte entfernten einen Leberfleck am Oberschenkel, der sich nachfolgend als bösartig entpuppte. Die Frau war nur ihres Hundes wegen auf den Leberfleck aufmerksam geworden: Der roch mehrmals täglich daran und versuchte den Leberfleck gar abzubeißen. Andere Muttermale am Körper seines Frauchens interessierten ihn hingegen nicht.

Seitdem hat es immer wieder Berichte über Hunde gegeben, die fähig sein sollen, Krebs zu riechen. Eine italienische Forschergruppe vom Humanitas Research Hospital aus Mailand wollte es am Beispiel von Prostatkrebs genau wissen: "Wir wollten testen, ob die Fähigkeit der Hundenase ein Mythos ist oder ob sie einen echten medizinischen Nutzen birgt", sagt Fabio Grizzi, der an der italienischen Studie maßgeblich beteiligt war. Ihre Ergebnisse stellten die Forscher kürzlich auf dem Amerikanischen Urologen Kongress in Orlando vor: In 98 Prozent der Fälle lagen die Hunde richtig – und übertrafen damit die Trefferquote herkömmlicher Diagnoseverfahren.

Treffsichere Nasen

Die Stichprobe der Studie – die größte ihrer Art – ist beachtlich: 902 Patienten nahmen daran teil. 362 Männer mit Prostatakrebs in verschiedenen Stadien und 540 Frauen und Männer, die entweder an einer anderen Krebsart oder Krankheit litten oder aber gesund waren.

Die Hauptrolle in der Studie hatten zwei dreijährige Schäferhündinnen: Zoe und Liu, ehemalige Sprengstoffspürhunde. Die Forscher gaben ihnen Urinproben der Studienteilnehmer zu riechen. Die beiden Hündinnen rochen je 100 und 99 Prozent der Krebs-positiven Proben heraus und schlossen 98 und 96 Prozent der negativen Proben aus. Insgesamt produzierten sie nur 16 falsch positive und vier falsch negative Ergebnisse. Ein verblüffend gutes Ergebnis, das dem hervorragenden Geruchssinn der Vierbeiner zu verdanken ist.

Hunde sind Nasentiere und riechen etwa 40-mal besser als Menschen. Gut 200 Millionen Riechzellen nennt ein Schäferhund sein eigen. Damit lassen sich auch so genannte flüchtige organische Verbindungen (VOC nach volatile organic compound) erschnüffeln, etwa im Urin eines Krebspatienten. Diese "Duftstoffe" entstehen, weil sich bei Prostatakrebs auch der Stoffwechsel verändert. Hunde können, analog zu Drogen– und Sprengstoffhunden, auf das Aufspüren von VOCs trainiert werden.

Vor der Testreihe waren Zoe und Liu mehrere Monate lang intensiv trainiert worden. "Schnupperten sie an der Urinprobe eines Prostatakrebspatienten, wurden sie belohnt", sagt Grizzi, "später wurde ihnen beigebracht, sich vor eine solche positive Urinprobe zu setzen."

Die Ergebnisse von Grizzi und seinen Kollegen mögen beeindrucken, aber sind sie für den Klinikalltag von Bedeutung? Tatsache ist, dass der PSA-Test, der klassische Diagnosetest bei Prostatakrebs, seit einiger Zeit umstritten ist. PSA ist ein Protein, das mithilfe eines Bluttests nachgewiesen wird. Je höher der PSA-Wert ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Erkrankung vorliegt. Doch ein hoher PSA-Wert zeigt nicht zwangsläufig einen Krebs an, der Wert ist auch bei gutartigen Veränderungen und Entzündungen erhöht. Die häufigen falsch-positiven Ergebnisse haben Zweifel am PSA-Massenscreening aufkommen lassen, da damit zu viele Männer unnötig behandelt werden.

Daniel Eberli, Leitender Arzt an der Klinik für Urologie der Universität Zürich, stellt klar: "Die PSA-Diagnostik ist eine gute Methode, die wegen einiger kritischer Studien vorschnell in Verruf geraten ist." Eberli räumt aber ein, dass Hunde derzeit wohl die genaueren Diagnosen liefern. "Beim PSA-Test verlassen wir uns auf ein einzelnes Protein. Hunde hingegen nutzen automatisch eine Kombination aus Molekülen", sagt Eberli. Dennoch glaubt der Urologe nicht daran, dass Hunde eines Tages im Klinikalltag eine Rolle spielen werden: "Wie sollen Testreihen denn standardisiert werden? Jeder Hund hat doch unterschiedliche Fähigkeiten."

Grizzi und seine Kollegen sehen das anders. In einer weiteren Studie wollen sie die Praxistauglichkeit von Schnupperhunden testen. "Wenn sie sich bewähren – warum sollte man sie dann nicht einsetzen?", fragt Grizzi.

"Hunde sind den derzeitigen Hightech-Geräten überlegen", sagt Guiseppe Lippi von der Universität Parma, der ebenfalls auf dem Gebiet forscht, "was nicht verwundert, denn die Geräte testen nur eine Reihe vorgegebener Komponenten. Hunde hingegen riechen den geruchlichen Fingerabdruck des Krebses. Wahrscheinlich sind darunter auch Komponenten, die wir noch gar nicht kennen." Lippi findet ein weiteres Argument für den Einsatz von Hunden: Selbst aufwändig trainierte Hunde seien deutlich günstiger als Gaschromatographen und Spektrometer, die bis zu 500 000 Euro kosten würden.

Andere Forscher setzen hingegen auf künstliche Hundenasen. Das israelische Forschungsinstitut Technion hat ein solches Gerät namens "Na-Nose" entwickelt. Es befindet sich in der Testphase. Einem Alkoholtest ähnlich, analysiert "Na-Nose" flüchtige Biomarker aus dem Atem von Patienten. Langfristig sollen mithilfe von "Na-Nose" verschiedene Krebsarten aber auch Krankheiten wie Multiple Sklerose nachgewiesen werden.

Zukunft und Perspektive

"Geruch spielte in der Medizin schon immer eine Rolle", sagt Shahrokh Shariat, Urologe an der Universitätsklinik Wien, "Unser Ziel ist es, diejenigen flüchtigen Biomarker zu identifizieren mit denen sich verschiedene Krebsarten diagnostizieren lassen. Als Quelle solcher Biomarker eigenen sich neben Urin und Atem auch Blut, Sperma und Schweiß." Shariat ist überzeugt, dass die Zukunft elektronischen Spürnasen gehört, da sich damit akkurate und reproduzierbare Massenscreenings durchführen ließen. "Die Ergebnisse der italienischen Studie sind ein proof-of-principle und ungeheuer motivierend für die weitere Forschung auf dem Gebiet", so Shariat.

Das Forschungslabor Apopo nutzt derweil weder Hunde noch elektronische Spürnasen sondern: Gambia-Riesenhamsterratten. Die Tiere werden in Tansania sowohl in der Medizin – sie identifizieren Tuberkulosebakterien in Speichelproben - als auch in den Nachbarländern Mosambik und Angola eingesetzt, wo sie dank ihres überragenden Riechorgans Landminen aufspüren. 54 Ratten hat Apopo bereits zertifiziert. Ihre Trefferquote: 100 Prozent. (Juliette Irmer, DER STANDARD, 17.6.2014)