Netflix schlägt jedem Nutzer individuell Inhalte vor.

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Die Vorschläge basieren auf einem ausgeklügelten Algorithmus.

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Das Empfehlungssystem speist sich aus Bewertungen von Netflix-Angestellten, Kundendaten und maschineller Verarbeitung.

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Netflix' Original-Serie "Orange is the New Black" könnte auf Vorschlag des Algorithmus entstanden sein.

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Netflix soll im Herbst in Österreich starten.

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Er gilt als das Herz von Netflix: Ein hochkomplexer Empfehlungsmechanismus, der Kunden des Videostreaming-Services immer wieder Filme und Serien nahelegt. Er soll dafür sorgen, dass die Netflix-Abonnenten beim Videodienst verweilen und das Gefühl haben, den "perfekten individuellen Fernsehsender“  zu besitzen- der genau weiß, was seinen Sehern als Nächstes gefällt.

Extrem aufwändiges Modell

Tatsächlich ist die Kundenzufriedenheit bei Netflix‘ Empfehlungstool erstaunlich hoch und schlägt ähnliche Systeme der Konkurrenz klar. Möglich wird dies durch ein ausgeklügeltes und extrem aufwändiges Klassifizierungsmodell, das auf die Zusammenarbeit von menschlichen Mitarbeitern und automatisierten Algorithmen setzt.

40 Stunden Netflix sehen

Den Anfang übernehmen die "Tagger", also bezahlte Netflix-Beschäftigte, die wie berichtet ihre Arbeitszeit mit dem Ansehen von Netflix-Content verbringen. Nach jedem konsumierten Programm beurteilen sie das Gesehene in unterschiedlichsten Kategorien: Wie romantisch ist der Film? Wie lustig? Welchen moralischen Status haben die einzelnen Hauptfiguren? Nahezu jede denkbare Eigenschaft wird bewertet, begleitet von einem 36-seitigen Handbuch, das Erklärungen liefert.

Alles wird gemessen

Wichtig ist dabei, dass alle Angaben auf einer Skala erfolgen – es wird also nicht vermerkt, ob der Film prinzipiell romantisch ist oder nicht, vielmehr kommt eine fünf- oder zehnstufige Skala für "Romantik-Elemente“ zum Einsatz. Dadurch ergibt sich eine viel größere Menge an Feinabstufungen und Kombinationen.

Anschließend übernimmt ein Algorithmus, der bestimmte Genres – sogenannte "Alternativ-Genres“ - erstellt. Er kombiniert die Daten der "Tagger“ mit den Kundendaten der regulären Zuseher. Anschließend schlägt er Letztgenannten neue Filme vor, basierend auf ihren bisherigen Sehgewohnheiten.

"Romantische chinesische Filme über Verbrechen"

Dadurch entstehen rein theoretisch Genres wie "Horrorfilme mit bösen Kindern“, "Fantasy-Filme über Briten in Europa in den 1960ern“ oder "Romantische chinesische Filme über Verbrechen.“ Das US-Magazin "The Atlantic“ hat in einer Untersuchung 76.897 Genres ausfindig gemacht: Die Atlantic-Journalisten bemerkten, dass Netflix seine Genres in bestimmten URLs ablegte. Die Reporter besorgten sich daher Software, die diese URLs automatisch abgriff und eine Datenbank erstellte. Die Software benötigte dafür einen ganzen Tag, am Ende standen eben fast 80.000 Subgenres.

Blick in Hollywood-Psyche

Analysiert man diese auf häufig vorkommende Wörter, wird ein „Blick in die Seele Hollywoods“ möglich: So geht es in den meisten Netflix-Filmen um "Ehe“, "Adlige“ und "Elternschaft“, als Adjektive kamen "romantisch“, "klassisch“ und "düster“. Laut The Atlantic spielen die meisten Filme in Europa (wobei in den USA nicht extra erwähnt wurde), die häufigste Zeitperiode sind die 1980er.

Der Hollywood-Generator

Limitiert man nun die Nummer an Eigenschaften, könnte man einen Generator bauen, der die vermeintlichen Lieblingsfilme der Netflix-Nutzer ausspuckt. Genau das taten die Journalisten des Atlantic und tauften den Algorithmus auf "Hollywood-Button“. Drei Ergebnisse: "Klassische Actionfilme“, "Familienfreundliche Western“ und "Filme über Freundschaft zu einer bestimmten Zeitperiode“. Also typisches Kino Marke Hollywood.

"Noch umfangreicher als eure Recherchen"

Mit den Ergebnissen wurde Netflix konfrontiert, dass dann überraschenderweise mithalf, sein Geschäftsgeheimnis weiter offenzulegen. So soll Netflix-Vizepräsident Todd Yellin die Atlantic-Reporter mit den Worten "Ich warte schon seit langem auf ein solches Gespräch“ begrüßt haben. Tatsächlich sei die Netflix-Datenbank noch um einiges umfangreicher als die Recherchen es nahelegten. Gleichzeitig wurden die ausgegebenen Ergebnisse limitiert, sodass so absurde Kategorien wie die weiter oben genannten "Romantische chinesische Filme über Verbrechen“ de facto keine Rolle spielen.

Netflix limitiert Genres

Netflix beschränkt die Betitelung seiner Genres bei der Ausgabe auf 50 Zeichen, außerdem soll eine "bestimmte Anzahl“ von Filmen in diese Kategorie passen und das Subgenre an sich Sinn machen. Dass das Ergebnis trotz der Limitierungen nicht immer vollkommen Sinn mache, gibt Yellin offen zu. Dennoch sorge das ab 2006 entwickelte System für weitaus akkuratere Empfehlungen als vergleichbare Modelle. So reichten Tools, die das Konsumverhalten "ähnlicher“ Nutzer beobachteten, zu wenig tief. Auch ein oberflächliches Kategoriensystem, dass auf einem binären "Ja/Nein“-Prinzip funktioniert (Ist lustig/Ist nicht lustig), reiche für präzise Empfehlungen nicht aus.

House of Cards ist kein Zufallsprodukt

Allerdings geht es nicht nur um Empfehlungen: Netflix produziert auch selbst – und weiß durch die gigantische Datenmenge genau, was die Menschen sehen wollen. "House of Cards ist kein Zufallsprodukt“, schreibt etwa The Atlantic. Genauso wie die hochgepriesene Serie "Orange ist the New Black“, deren Beschreibung wohl stark an eines der 76.897 Subgenres erinnert: "Eine romantische Tragikomödie über eine bisexuelle junge Frau, die ins Gefängnis muss.“  (fsc, derStandard.at, 13.7.2014)