"Nicht die Medienkritiker und nicht die Feministen und nicht die Andersdenker sind die Spielverderber. Sondern die realen Sexisten da draußen und der Hass, der den Andersdenkenden entgegengesetzt wird und jeden Fortschritt im Keim zu ersticken droht."

Bild: "Hitman Absolution"

Eine meiner engsten Freundinnen ist seit einigen Jahren Recruiterin bei einem großen österreichischen Unternehmen. Sie hat ein Magisterstudium absolviert, hat zuvor bei anderen Firmen in der Sparte Erfahrung gesammelt und ist heute eine der wenigen in ihrer Arbeit, die ihren Job machen kann. Es gibt erfahrenere Kollegen und Kolleginnen in ihrer Abteilung, doch sie arbeitet in vieler Hinsicht schneller und macht damit Altersunterschiede wett. Ein Grund für ihren Vorsprung ist ihr Verständnis für Computer. Nicht, dass sie sich genauer mit Code und Programmierung auskennt, aber im Umfeld von Menschen, die sich nach der Zeit vor den PCs zurücksehen, sind ihre Kenntnisse bei Standardprogrammen Gold wert.

Ihre Professionalität und ihre schon seit der Schule radioreife Artikulationsweise sind der Grund, weshalb ihr Chef es gerne sieht, wenn sie und nicht er für höhere Vorgesetzte Präsentationen hält. Ihre Qualifikation für ihren Job ist unumstritten. Warum sie nicht schon längst den Laden leitet, ist eines der mannigfachen Mysterien in meinem Kopf.

Schleichendes Gift

Jedenfalls ist es eines Tages wieder so weit. Sie schreibt eine Präsentation, fertigt die Folien an und spricht sich vor dem Tag X noch einmal mit ihrem Boss ab. Ich weiß zwar nicht mehr, worum es genau ging, jedoch, dass es eine wichtige Sache war. Von der Arbeit ihres Teams sind nicht nur künftige Arbeitnehmer, sondern auch dutzende, hunderte Menschen betroffen, die von deren Dienstleistungen Gebrauch machen. Als sie mit dem Probedurchgang fertig ist, sagt der Chef nicht viel. Etwas frustrierend nach all der Arbeit, die sie geleistet hatte, aber so ist das mit manchen Chefs nun einmal. Sie verlassen den Besprechungsraum und zwischen Tür und Angel lässt er dann doch noch eine Bemerkung fallen. "Und wissen Sie, im Zweifelsfall lächeln Sie einfach lieb und es wird schon passen."

Sexismus ist ein schleichendes Gift. Unterschwellig und auch dort zuhause, wo man es nicht erwartet.

Vor den Kopf gestoßen

Aber was weiß ich schon über Sexismus? Ich bin ein Mann. Und als Mann wurde ich in meinem Berufsleben noch kein einziges Mal auf mein Äußeres reduziert. Doch ich wage zu behaupten, dass meine Freundin nach all der Arbeit, die sie geleistet hatte, um ihre Firma möglichst gut zu repräsentieren, von ihrem Abteilungsleiter in dieser Situation niemals auf ihr hübsches Lächeln reduziert worden wäre, wäre an ihrer Stelle ein Mann gewesen. Kein Danke und kein Wort über ihre eigentliche Leistung, aber ihr Lächeln wird es schon schaukeln. Da fühlt man sich für voll genommen.

Diese Geschichte hatte sie mir bereits vor einigen Wochen erzählt. Wir gingen gar nicht so weit zu schlussfolgern, dass ihr Vorgesetzter ein Sexist ist oder, dass diese Bemerkung abschätzig gemeint war. Vermutlich hat er sie mit der Aussage "eh nur" beruhigen wollen. Doch als sie begann laut über viele solche kleine Vorkommnisse in der Berufswelt nachzudenken, hatte sie mich damit in einen langen und aufwühlenden Reflexionsprozess versetzt.

Es mag nur eine kleine Episode aus dem Alltag sein, doch für mich sagt sie sehr viel aus über den Status Quo, in dem wir uns gesellschaftlich befinden. In einer Zeit, in der die Debatte über Sexismus überall geführt wird und auch den Bereich der Videospiele erfasst hat.

Gegenseitige Vorwürfe

Medienkritiker und Feministen werfen der Branche die Objektifizierung der Frau und chauvinistische Rollenbilder vor und eine ganze Menge aufgebrachter Männer begegnen dieser Kritik wiederum mit Protest und auch lautstark geäußertem Hass und Anfeindungen. Die aktuelle Reibfläche für diesen Zündstoff ist eine Dokumentarserie der feministischen Aktivistin Anita Sarkeesian. In der Reihe "Tropes vs Women" zeigt sie Beispiele auf, in denen weibliche Charaktere in Games auf abschätzige oder übersexualisierte Weise dargestellt werden. Viele dieser Werke gehören zu den populärsten Franchises überhaupt.

Während ihre Unterstützer, darunter einige führende Spielentwickler, ihre Arbeit für konstruktiv halten und als förderlich für die Entwicklung des Mediums preisen, werfen ihre Kritiker ihr Manipulation, Selbstdarstellung und eine Verunglimpfung ihres Hobbies vor. Denunzierend wird sie als Social Justice Warrior bezeichnet. Sie monieren, dass Sarkeesian selbst keine Videospielerin ist und daher keine Ahnung habe, wovon sie spricht. Ihre Beispiele seien aus dem Zusammenhang gerissen und hetzerisch.

Es wird gefragt, ob Sarkeesians Vorwürfe haltbar sind. Und, ob Sarkeesian nicht selbst videospielen müsste, um das Medium kritisieren zu können. Eine entscheidende Frage lassen ihre Gegner jedoch gerne aus: Wer hat denn das Recht zu beurteilen, ob etwas sexistisch ist oder nicht?

Tussis und Prostituierte

Als passionierter Gamer muss ich leider nicht lange suchen, um vielen, wenn auch nicht allen von Sarkeesians Vorwürfen recht geben zu können. In zwei meiner liebsten Spielserien, "Grand Theft Auto" und "Hitman", die Sarkeesian selbst zitiert, werden Frauen praktisch zur Gänze objektifiziert. In "GTA" sind Frauen hauptsächlich Freundinnen, nervige Tussis oder Prostituierte. Mit letzteren kann man sogar Sex haben, sie danach töten und ihnen das Geld wieder abknöpfen. Eine inhaltlich tragende Rolle bekleiden sie so gut wie nie.

Man kann dies auf den satirischen Tenor von "GTA" zurückführen. In "GTA" wird alles und jeder aufs Korn genommen und schließlich leben wir in einer männerdominierten Welt. Es ändert aber nichts daran, dass das nicht nur aus Sicht einer Frau schwer verdauliche Kost ist.

In der Serie "Hitman" kann ich mich ebenso wenig an eine weibliche Rolle erinnern, die für viel mehr als ihren großen Busen stand bzw. die in ihrer Rolle nicht sexualisiert wurde. Die Lack-und-Leder-Killer-Nonnen im letzten Teil "Absolution" sind bezeichnend dafür. Sexobjekte für ein Spiel von Männern für Männer, könnte man ehrlicherweise dazu sagen.

Selbst als großer Fan beider Spielserien kann ich bei bestem Willen nicht darüber hinwegsehen, dass der Umgang mit weiblichen Charakteren mehr als bedenklich ist.

Und solche Beispiele finden sich in der Branche durch die Bank wieder. Von Titten-Volleyball-Games bis hin zu den tief ausgeschnittenen Rüstungen weiblicher Charaktere in Rollenspielen. Ich bin sicher, jeder, der viel und gerne spielt, wird sich ohne lange zu grübeln ähnliche Szenen in Erinnerung rufen können.

Sexismus als Dauerzustand

Das Problem hier ist nicht, dass einzelne Games solche Inhalte aufweisen, sondern, dass die übersexualisierte Darstellung der Frau in Games Usus geworden ist. Sie ist hat sich mit den Jahren als stink normales Marketingwerkzeug für Hersteller etabliert, die ihre Produkte plakativ mit "Sex and Crime" an ein männliches Publikum verkaufen wollen. (Wenngleich dies nicht bedeutet, dass allen Männern diese Art der Vermarktung gefällt!)

Die Objektifizierung der weiblichen Rollen in "GTA" wäre viel leichter als künstlerisches Ausdrucksmittel anzunehmen, würden nicht haufenweise Spiele voll damit sein. Eine nuttig gekleidete Dame, die man ausnützen kann, ist nicht mehr satirisch, wenn es alle machen. Es geht nicht um den Einzelfall, um ein paar kontroverse Games, sondern darum, dass die Kontroverse (der Sexismus) in Videospielen gang und gebe geworden ist. Unterschwellig, wie ein schleichendes Gift.

Realitycheck

Und damit schließt sich der Kreis und knüpft bei der Realität wieder an. Frauen sind im Alltag in einer Häufigkeit mit Sexismus konfrontiert, dass er als Dauerzustand betrachtet werden kann. Die "kecke Bemerkung" am Arbeitsplatz, der Grapscher im Bus, wenig charmante Anmachsprüche in der Disco - Fälle, die einzeln vielleicht nicht schwer wiegen würden, aber in Summe eine enorme Entwürdigung darstellen. Ganz abgesehen davon, dass es dann oft nicht bei verbalen Angriffen bleibt und Frauen weit häufiger Opfer sexueller Übergriffe werden, als Männer. In Deutschland etwa wird Schätzungen nach jede dritte Minute eine Frau vergewaltigt.

Jede. Dritte. Minute.

Wir Männer können, sofern wir bereit dazu sind, diese furchtbare Realität anerkennen und zum Gegenstand einer gesellschaftlichen Debatte machen. Aber wir können diesen Zustand der sexuellen Diskriminierung nicht vollends nachvollziehen, weil wir ihn selbst nicht erleben. Denn wie oft werden wir begrapscht und auf unsere Äußerlichkeiten reduziert? Die meisten von uns vermutlich so selten, dass sie es sogar als Kompliment auffassen, wenn Ihnen eine Frau im Club unaufgefordert zwischen die Beine greift. Aber stellen Sie sich vor, das passiert Ihnen jeden Samstagabend. Nicht einmal, sondern zehnmal. Und dann sind es möglicherweise auch noch Frauen, die Sie abstoßend finden.

Als Mann ist es sehr sehr leicht zu behaupten, dass Sexismus in unserer Gesellschaft kein Problem ist und "unsere" Medien und Games nicht sexistisch sind, weil wir Männer von Sexismus nicht betroffen sind. Zumindest lange nicht in dem Ausmaß, in dem es Frauen sind. Und so können wir uns nicht herausnehmen, ohne der Sicht der Frau über Sexismus zu urteilen. Es kann nicht Männern obliegen, zu entscheiden, was diskriminierend für Frauen ist und was nicht.

Recht auf Protest

Im Bewusstsein darüber, welchen Sexismus Frauen alltäglich ausgesetzt sind, hat es auch eine völlig andere Bedeutung und Wirkung, wenn in einem Videospiel eine Frau leicht bekleidet dargestellt wird, als wenn ein Mann mit Lendenschutz über den Bildschirm läuft. Überflüssig auf die typische Rollenverteilung hinzuweisen, wonach halbnackte Männer in Games zumeist starke Helden und halbnackte Frauen in Spielen zumeist Trophäen sind. Gewiss nicht immer, aber sehr oft.

Und wenn sich eine Frau durch diese Bilder in Videospielen angegriffen fühlt, hat sie jedes Recht dazu, sich zu beschweren. Da macht es keinen Unterschied, ob sie selbst spielt oder sich nur auf theoretischer Ebene mit den Inhalten auseinandersetzt. Es ändert nämlich nichts daran, dass mit diesen Darstellungen ihre Würde verletzt wurde. Ob es in einem Fall Satire ist und im anderen Fall blanker Chauvinismus, lässt sich dann freilich immer noch diskutieren. Doch Platz muss es für derartige Kritik in jedem Fall geben.

Wichtiger Spiegel

Sarkeesian mag in manchen Punkten danebenliegen und sich an den Extremen orientieren. Und sind wir froh, dass es auch zahlreiche Positivbeispiele für die Branche gibt. Doch entscheidend ist, dass Sarkeesian einen wahren Kern trifft. Ihre Arbeit ist ein Spiegel für die Missstände in der Games-Industrie und ein wichtiger Beitrag für die zukünftige Entwicklung von Videospielen. Denn selbst wenn ihre Doku-Serie nur dazu anregt, über Inhalte zu diskutieren, kann sie schon dazu beitragen, dass es einen Fortschritt gibt.

Die vielleicht absurdeste Befürchtung ihrer Gegner ist, dass die Medienkritik und Sexismusvorwürfe Videospiele kaputtmachen würden. Das Gegenteil ist der Fall: Dank anders denkender Entwickler wie Neil Druckmann ("The Last of Us", "Uncharted 4") und Tim Schafer ("Monkey Island", "Brütal Legend", "Broken Age"), denen die Stärkung der Rolle der Frau in Games ein großes Anliegen ist - wie auch vielen Konsumenten - , haben wir heute Videospiele, die sich von Stereotypen und einer klischeebehafteten Masse abheben und neue Zielgruppen sowie Gamer ansprechen, die den immer gleichen Rollenbildern bereits überdrüssig sind. Vielschichtigkeit, offene Ohren und neue Denkansätze bringen dieses Medium voran.

Hate kills

Niemand muss befürchten, dass wir irgendwann nur noch politisch korrekte Games haben werden. Solange ein Bedarf für brutale Shooter oder erotische Darstellungen besteht, wird es diese geben. Daran werden Sarkeesians Anhänger ebenso wenig ändern, wie "Killerspiel" schreiende Politiker zuvor. Genauso wie Filme trotz mehrfacher Proteste über die Jahrzehnte nicht harmloser geworden sind. Tatsächlich haben Filmemacher erst durch die kulturelle Auseinandersetzung gelernt, Grenzen auszuloten. Nackte Haut wird immer ein Stilmittel sein, künftig aber hoffentlich auch in Spielen mit mehr Bedacht und dort, wo es kontextuell Sinn ergibt. Diesen Wandel hin zur intelligenteren, ausdrucksstärkeren Kunstform kann eine ernsthafte und kritische Auseinandersetzung mit Inhalten nur beschleunigen. Mit Scheuklappen vor den Augen und der Bedienung althergebrachter Stereotype wird es keine neuen, spannenden Spielideen geben.

Nicht die Medienkritiker und nicht die Feministen und nicht die Andersdenker sind die Spielverderber. Sondern die realen Sexisten da draußen und der Hass, der den Andersdenkenden entgegengesetzt wird und jeden Fortschritt im Keim zu ersticken droht. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 30.8.2014)