"Das Radikalste an mir ist wahrscheinlich, dass meine Designsprache erwachsen ist", sagt der 31-jährige Designer Jason Wu.

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Von oben: Die ersten drei Looks gehören zu Jason Wus Herbstkollektion für Hugo Boss, die mittleren beiden zur kommenden Frühlingskollektion. Ganz unten: zwei Looks aus seiner eigenen Linie.

Foto: Hugo Boss, Reuters

Selbst wenn es nicht stimmen sollte, so ist es zumindest gut erfunden: Die ersten englischen Worte, die aus dem Mund von Jason Wu kamen, sollen Stephanie Seymour gewesen sein. Das amerikanische Supermodel war eine der Göttinnen, die Wu mit großen Augen in den Modemagazinen bestaunte. Mit neun war Wu gemeinsam mit seiner Familie von Taiwan nach Vancouver gekommen. Hier lernte er die ersten englischen Worte - und entdeckte die Welt der Mode für sich. "Im Fernsehen wurde damals ein Nähkurs ausgestrahlt. Da habe ich meine Mutter gebeten, mir eine Nähmaschine zu kaufen." 22 Jahre später sitzt Wu an einem kleinen Ecktisch in der Konzernzentrale von Hugo Boss in Metzingen und erzählt davon, wie er bereits als kleiner Junge die Brautmode in den Schaufenstern von Taiwan bewunderte.

31 ist er jetzt und bereits dort, wovon andere Designer ein Leben lang träumen. Wu trägt die Gesamtverantwortung für die Damenlinie von Hugo Boss, also nicht nur für das Design, sondern auch für die Lizenzen, die Kampagnen, die Shopgestaltungen. Ein Wunderkind, das es richten soll.

Lange war die Damenlinie das Sorgenkind des weltgrößten Herrenausstatters. Vor zehn Jahren eingerichtet, wollte und wollte sie nicht in Fahrt kommen. Mittlerweile macht sie etwa elf Prozent des Umsatzes aus (2013 lag der Gesamtumsatz bei 2,4 Milliarden Euro), doch die Markenidentität fußt immer noch auf dem etwas kastig geschnittenen Herrenanzug. Dagegen hat auch Jason Wu nichts einzuwenden. "Das Schneiderhandwerk ist bei dieser Marke zentral. Davon können wir auch bei den Frauen profitieren."

Ohne Schnörkel

Wu formuliert klar und ohne Schnörkel. Türsteher in Amerika fragen ihn wahrscheinlich auch heute noch um seinen Ausweis, so bubihaft schaut er aus. Designer wie er sind in Europa selten. So jung er ist, so erfahren wirkt er. "Das Radikalste an mir ist wahrscheinlich, dass meine Designsprache erwachsen ist." Kaum mit dem Modestudium (an der Parsons School for Design in New York) fertig, gründete er seine eigene, auf seinen Namen lautende Marke.

Innerhalb kürzester Zeit waren seine Kreationen in amerikanischen Modemagazinen zu sehen, Michelle Obama trug sowohl bei der ersten als auch bei der zweiten Inauguration ihres Mannes eines seiner Kleider, er kooperierte unter anderem mit Lancôme und mit Target, vor kurzem wurde die Zweitlinie Miss Wu eingeführt. Heute hat der Designer 40 Mitarbeiter und gehört zusammen mit Alexander Wang, Thakoon Panichgul oder Derek Lam zu jenen asiatischstämmigen Modemachern, die den Ruf New Yorks als Modestadt in den vergangenen Jahren wieder maßgeblich gefestigt haben.

"Vielleicht ist es ein Vorteil, dass wir in zwei Kulturen zu Hause sind" , versucht Wu das Phänomen zu erklären. Vielleicht sei es aber auch nur Zufall.

Wie auch immer: Die Strahlkraft des jungen Designers war so groß, dass ein Schlachtschiff wie Hugo Boss ihn verpflichtete. Und das, obwohl man in diesem Unternehmen traditionell besonders vorsichtig ist gegenüber Designern, die sich bereits einen Namen gemacht haben. Designmäßig hat das Unternehmen aus Metzingen schon länger nicht mehr von sich reden gemacht. Die Geschäfte laufen gut, aber die Langeweile ist groß. Es gibt einiges zu tun für Jason Wu.

"Meine Aufgabe ist es, der Frauenmode eine Identität zu geben." Was dieser Satz konkret bedeutet, das lässt sich am besten an Wus Terminkalender ablesen. Hugo Boss hat dem Designer ein eigenes Atelier in Manhattan eingerichtet, gleich in der Nähe von seinem eigenen Studio. Einmal im Monat steigt Wu am Abend in den Flieger nach Stuttgart, wo er am Morgen landet und einer der Ersten auf dem Designcampus von Hugo Boss in Metzingen ist. Es jagen sich Termine mit dem Designteam, dem Vorstand, den Lizenznehmern, der Presse. "Mein Leben wird von meinem Terminkalender bestimmt", sagt der Designer: "Ich komme damit aber ganz gut zurecht. Vielleicht hilft mir mein asiatischer Hintergrund."

Drei Interviews hat der Designer an diesem Vormittag zu bestreiten. Sein Pressebetreuer sitzt zu seiner Rechten, das Lookbook hält er in der Linken. Im Februar hat der Modemacher in New York seine erste Kollektion gezeigt, vergangene Woche seine zweite. Er zeigt auf das Model Edie Campell in einem dunklen, strengen Wollblazer und einem wadenlangen Rock und blättert dann weiter bis zur letzten Seite, wo Stella Tennant in einem kantigen Smoking mit kragenloser, transparenter Bluse zu sehen ist. Er spricht von neuen Proportionen und davon, wie ihn die Ästhetik des Bauhauses und der deutschen Hauptstadt zu diesen geometrisch-strengen Looks inspiriert hätten. "Das Wichtigste ist aber, dass die Mode feminin aussieht."

Weiblich ist das Wort, das Wu an diesem Vormittag am häufigsten in den Mund nimmt. Es ist auch jenes, das in Zusammenhang mit diesem Designer am öftesten zu hören ist. Wus eigene Linie besticht durch sanfte Formen und romantische Details, die Linienführung ist geschwungen, die Farben schmeichelnd. Umso verwunderter waren viele in der Modebranche, dass ausgerechnet Wu bei Hugo Boss zum Zug kam. Den Ruf, besonders feminin zu sein, hatte diese Marke noch nie.

Mit Jason Wu könnte sich das ändern. "Bevor ich engagiert wurde, hat mir Claus-Dietrich Lahrs (CEO von Hugo Boss, Anm.) erzählt, in welche Richtung man mit der Marke gehen wolle." Hugo Boss kannte Wu zu diesem Zeitpunkt nur dem Namen nach, dass es auch eine Damenlinie gibt, wusste er nicht. "Der Instinkt sagte mir, dass ich das machen sollte. Vielleicht weil es genau das Gegenteil von dem ist, wofür meine eigene Marke steht."

Designer als Manager

Es ist dieser Pragmatismus, der viele jüngere (amerikanische) Modemacher auszeichnet. Die Generation der Designerdiven hat es in einer von Konzernen und Umsatzrenditen dominierten Modewelt zusehends schwer. Der Designer als Manager, das ist eine Vorstellung, die Leuten wie Jason Wu selbstverständlich ist. Er weiß, dass Hugo Boss für ihn wohl eine Zwischenstation ist. Läuft der Job gut, dann qualifiziert er sich für eines der großen Couturehäuser. So wie Alexander Wang, der von Balenciaga verpflichtet wurde. Läuft es schlecht, dann hat er auch mit seinem eigenen Label ein gutes Standbein.

Derzeit schaut es für Jason Wu aber ziemlich gut aus. Die in der vergangenen Woche präsentierte Frühlingskollektion kam leicht und luftig daher, die geometrischen Muster wirkten modern, die Formen kantig aber feminin. Die Kritiker applaudierten, Wu strahlte - und machte sich dann wieder an die Arbeit. Die nächste Kollektion wartet. (Stephan Hilpold, Rondo, DER STANDARD, 19.9.2014)