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Schon jetzt sitzen etwa 650 Häftlinge aus Belgien ihre Strafe in den Niederlanden ab.

Foto: AP/ Glefs AS

Oslo/ Wien - Insgesamt 1300 verurteilte Straftäter warten in Norwegen darauf, dass sie ihre Haft antreten können. Manche von ihnen warten dabei bis zu einem Jahr. Die norwegische Regierung will diese "Haftschlange" im kommenden Jahr reduzieren und Häftlinge in die Niederlande exportieren.

Die Behörden der beiden Länder verhandeln bereits. "Es ist scheint sehr wahrscheinlich, dass Norwegen wirklich Häftlinge auslagert", sagt Thomas Ugelvik, Kriminologe an der Universität Oslo, im Gespräch mit dem Standard.

Bereits im Dezember 2013 hat der norwegische Justizminister, Anders Anundsen, einen Brief an seine Amtskollegin in Schweden geschickt, um einen vergleichbaren Deal auszuhandeln. Der bilaterale Vertrag scheiterte aber, weil man sich nicht einigen konnte. Die Niederlande haben aber bereits Erfahrung mit der Aufnahme ausländischer Strafgefangenen.

42 Millionen Euro aus Belgien

Etwa 650 Belgier sitzen im Moment ihre Strafe in dem Nachbarland ab. Das kostet die belgische Regierung jährlich 42 Millionen Euro, die sie an den Nachbarstaat zahlen – der Vertrag wird aber in zwei Jahren ablaufen und nicht mehr verlängert werden.

Das norwegische Justizministerium will laut Medienberichten zwischen 200 und 500 Häftlinge außer Landes senden. Dabei soll es sich vor allem um ausländische Straftäter handeln, die nach ihrer verbüßten Haft wieder abgeschoben werden. Laut Statistik ist in Norwegen jeder dritte Häftling aus dem Ausland – der höchste Wert der Geschichte.

Ugelvik begrüßt, dass die norwegische Regierung etwas gegen die langen Wartezeiten auf die Haft machen will, doch fragt, wie man das norwegische Haftsystem in die Niederlande transferieren möchte. "In Norwegen nehmen wir die Rehabilitierung von Häftlingen sehr ernst", sagt der Kriminologe: "Gefängnisse sind Teil des Wohlfahrtsstaates." Die Schulen und Krankenhäuser etwa werden nicht vom Justizministerium geleitet, sondern vom Unterrichts- und Gesundheitsministerium.

Norwegisches Recht in den Niederlanden

"Ein Häftling verliert im Gefängnis nur sein Recht auf Freiheit. Alle anderen Bürgerrechte behält er, als ob er draußen wäre", sagt Ugelvik. Für ihn ist es nicht unmöglich, dass es der norwegischen Regierung gelingt, den Wohlfahrtsstaat in die Niederlande zu transferieren. "Aber ich bin schon sehr neugierig, wie das die Behörden zustande bringen wollen", sagt er.

Vidar Brein-Karlsen, Staatssekretär im Justizminister, sagte zum norwegischen Medienunternehmen NRK, dass die Rechte der Häftlinge niemals in Frage gestellt wurden. Auch in den Niederlanden würde für sie norwegisches Recht gelten.

Norwegen verzeichnete in den vergangenen zehn Jahren einen Anstieg der Strafgefangenen von 3000 im Jahr 2004 auf 3700 im heurigen Jahr. Gleichzeitig stehen in den Niederlanden manche Gefängnisse leer, weil seit dem Jahr 2001 kurze Haftstrafen durch gemeinnützige Arbeiten ersetzt werden.

Geringe Rückfallquoten

Das Haftsystem in Norwegen hat eine der niedrigsten Rückfallquoten von Häftlingen europaweit. Durchschnittlich weniger als 30 Prozent begehen nach ihrer Haft wieder eine Straftat. Im Gefängnis auf Bastøy nahe der Hauptstadt Oslo, liegt diese Quote sogar bei nur 16 Prozent. Für diese offene Strafanstalt, wo Häftlinge mehr Freiheiten genießen, kann sich ein Straftäter bewerben, wenn er maximal noch fünf Jahre seiner Haft zu verbüßen hat. Auch ausländische Gefangene können nach Bastøy.

Der von norwegischen Politikern zitierte "Hafttourismus", den es angeblich im Land gebe, bezeichnet Ugelvik als Mythos: "Ich habe bereits mit hunderten ausländischen Häftlingen Interviews geführt und obwohl die Gefängnisse in Norwegen oft besser sind als in ihren Heimatländern, würden es alle vorziehen, zu Hause ihre Haft abzubüßen. Die Nähe zur Familie ist ihnen allen wichtiger."

Wenn der Vertrag zwischen den Niederlanden und Norwegen zustande kommt, dann sollen bereits mit Anfang des Jahres 2015 die ersten Gefangenen ausgelagert werden. Den Standort kennt man bereits: Veenhuizen, ein kleines Dorf im Norden des Landes. (Bianca Blei, DER STANDARD, 10.12.2014)