Bild nicht mehr verfügbar.

Seit November 2014 wieder Premier: Borissow.

Foto: Reuters / Fabrizio Bensch

Sofia/Athen - "Faule Äpfel" hat er sie höchst undiplomatisch genannt, und eine Frucht ist diese Woche wieder vom Stamm des bulgarischen Justizbaums gefallen, wiewohl die Unschuldsvermutung für Wladimira Janewa, bis dato Vorsitzende des Stadtgerichts von Sofia, gilt, bis das Gegenteil erwiesen sein mag.

Frankreichs Botschafter in Bulgarien, Xavier Lapeyres de Cabanes, ist da weniger zimperlich. Im Dezember vergangenen Jahres ging er ins Studio des Senders bTV und griff eine andere Richterin des Stadtgerichts an. Rumjana Tschenalowa, mittlerweile für ein halbes Jahr suspendiert, hatte ein Insolvenzverfahren gegen das bulgarische Tochterunternehmen des großen französischen Wein- und Spirituosenvertreibers Belvédère und dessen Winzerei Domain Medana eingeleitet. Anlass war eine angebliche nicht beglichene Schuld von umgerechnet 58.000 Euro. Der Gläubiger war Belvédère Bulgaria gar nicht erst bekannt, so heißt es von französischer Seite. Die Richterin setzte aber flugs einen Treuhänder ein, mit dem sie schon in anderen Fällen zusammengearbeitet hatte. "Bulgarien ist kein sicherer Platz für ausländische Investoren", sagte Frankreichs Botschafter live auf bTV - er spricht ausgezeichnet Bulgarisch - und empfahl ironisch: "Kommen Sie hierher und investieren Sie, und Ihr Unternehmen wird mithilfe eines Richters gestohlen."

Sieben EU-Botschafter, darunter auch Österreichs Vertreter in Sofia, unterzeichneten später einen offenen Brief, in dem sie Politik und Justiz drängten, "vollständige Antwort" auf den Vorwurf des Unternehmensdiebstahls zu geben. Schnell richtete sich die Aufmerksamkeit auf das Computerprogramm am Sofioter Stadtgericht, das Gerichtsfälle per Zufallsauswahl an die Richter vergibt, um Interessenkollisionen vorzubeugen. Normalerweise ist das eine Sache von Sekunden. Beim Verfahren gegen Belvédère soll der Computer geschlagene zwei Stunden lang überlegt haben, bis er auf den Namen der Richterin Tschenalowa kam.

Das Insolvenzverfahren läuft derzeit noch - drei Richter haben nacheinander den Fall wie eine heiße Kartoffel weitergereicht, was ahnen lässt, wie schwierig die Entscheidung dieser Gerichtssache auf nunmehr offener Bühne sein muss. Janewa stand erneut im Kreuzfeuer der Kritik: Als Vorsitzende des Gerichts, das Fälle in Sachen Staatssicherheit, Betrug mit EU-Hilfen oder auch die in die Insolvenz getriebene Bank KTB untersucht, wird sie letztlich verantwortlich gemacht für die möglicherweise manipulierte Software für die Fallzuweisung.

Janewa reichte nun ihren Rücktritt ein. Der Generalstaatsanwalt hatte vergangene Woche schon ihre Suspendierung beantragt. Der Grund war die nächste Affäre, die auf Belvédère folgte: Janewa soll die Sonderbeobachtung der Organisatoren der Straßenproteste im Sommer 2013 angeordnet haben; "Operation Würmer" hieß der Codename laut Medien.

Dabei sei es nicht um telefonische Abhörung gegangen, versicherte Generalstaatsanwalt Sotir Tsatsarow. Spekuliert wird über eine Weitergabe persönlicher Daten der Regierungsgegner aus dem Innenministerium; die Untersuchungen laufen noch.

Janewas Ernennung zur Chefin des Stadtgerichts 2011 hatte schon für einigen Aufruhr gesorgt. Mangelnde Qualifikation wurde ihr damals vorgeworfen und die Nähe zur Familie des damaligen Innenministers Tswetan Tswetanow, der rechten Hand des heute wieder amtierenden Premiers Boiko Borissow. "Die Bedeutung von mehr Transparenz und Objektivität bei Richterernennungen ist ein dauerhaftes Thema der Kontrollberichte gewesen", stellt der jüngste Report der EU über die Justiz in Bulgarien lakonisch fest. (Markus Bernath, DER STANDARD, 28.2.2015)