"Juden Eintritt verboten!" prangt am 23. Juni 1931 in roter Schrift auf gelben Plakaten vor dem Eingang zur Universität Wien. Im Inneren des Hauptgebäudes wüten nationalsozialistische Schlägertrupps.

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3. Juli 1931: Rektor Hans Uebersberger (mit Fliege) und sein Vorgänger Wenzel Gleispach (mit Stock) singen mit Nazi-Studenten vor der Universität Wien "Deutschland, Deutschland über alles".

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Als die Universität vor 50 Jahren den 600. Geburtstag feierte, gab es bei den zahlreichen festlichen Rückblicken auf ihre lange Geschichte eine auffällige Leerstelle: Liest man in den zahlreichen Festschriften und Berichten über die Feierlichkeiten des Jahres 1965, dann findet man nur wenig über die Zeit des Nationalsozialismus und die Jahre davor.

Es gab zwar eine "Totengedenkfeier", bei der Rektor Karl Fellinger in der Aula - ausgerechnet vor dem antisemitisch konnotierten "Siegfriedskopf" - an die Toten des Zweiten Weltkriegs und an das ehemalige Konzentrationslager Mauthausen erinnerte. Ansonsten war man 20 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs - auch noch lange danach - nicht gewillt, sich den dunkelsten Kapiteln ihrer langen Geschichte zu stellen.

Der kürzlich verstorbene Chemiker Carl Djerassi hat dieses hartnäckige Verdrängen in seiner letzten Autobiografie in bittere Worte gefasst: Die Aufarbeitung dieser Geschichte habe in Österreich zum einen drei Jahrzehnte später eingesetzt als in Deutschland, zum anderen wolle er "ausdrücklich betonen, dass die österreichische Regierung wesentlich früher damit begann als die akademische Gemeinschaft".

Wenn Djerassis schmerzvolle Diagnose stimmt: Warum dauerte es an den Universitäten so lange? Man darf vermuten, dass es auch an der Zusammensetzung der Professorenschaft der Nachkriegszeit lag: Aufgrund der letztlich kulanten Entnazifizierungspolitik kehren nicht wenige ehemalige Parteigenossen an ihre Ordinariate zurück.

Nach Abzug der Alliierten 1955 kam es zudem zu einigen "braunen" Rückfällen in der akademischen Erinnerungspolitik. Der schlimmste war wohl, dass NS-Rektor Fritz Knoll 1961 das Rektorserinnerungszeichen der Uni Wien erhielt "in Anerkennung der ehrenvollen und mutigen Amtsführung in schwerer Zeit".

Ehrung für einen Vertreiber

Diese Ehrung ist an Zynismus schwer zu überbieten: Knoll war für die größte Vertreibungswelle mitverantwortlich, die jemals in so kurzer Zeit aus rassistischen und politischen Gründen an einer Universität stattgefunden hat: Unter seiner Ägide wurden in wenigen Wochen 252 Lehrpersonen aus rassistischen oder politischen Gründen "entfernt".

In den letzten knapp dreißig Jahren hat sich die Aufarbeitung dieser dunklen Vergangenheit sehr zum Besseren verändert. Dennoch warne ich zum einen davor, vorschnell zu glauben, dass bereits alle Fakten zur Vorgeschichte dieser Vertreibung auf dem Tisch sind. Zum anderen fürchte ich - und ich sage das als Alumnus dieser Universität -, dass im Lichte dieser Tatsachen die Universität Wien als Institution sehr viel mehr als Wegbereiterin des Nationalsozialismus erscheinen wird denn als sein Opfer.

Vertraut man dem Wikipedia-Eintrag zur Geschichte der Universität Wien, dann scheint diese Vorgeschichte schlimm, aber nicht allzu dramatisch gewesen zu sein: "Schon lang vor dem ,Anschluss' von 1938 waren demokratiefeindliche und antisemitische Studenten, von einigen Professoren wohlwollend toleriert, an der Universität aktiv", heißt es da. "1928 fanden Hochschulkrawalle statt, 1932 waren ebenfalls Studentenkrawalle zu verzeichnen."

Gestützt sind diese Angaben auf einer von der Bundespolizeidirektion Wien herausgegebenen Festschrift aus dem Jahr 1949. Konsultiert man freilich andere Quellen - wie die Berichterstattung in den damaligen Zeitungen -, dann ergibt sich ein ungleich dramatischeres Bild. Bei Durchsicht von 2300 Zeitungsartikeln, die unter dem Stichwort "Hochschulen" im Tagblattarchiv zwischen 1918 und 1938 abgeheftet worden sind, ist man schlechterdings mit einer Orgie antisemitischer Gewalttaten konfrontiert, die 1933 ihren Höhepunkt erreicht und bis dahin hunderte Verletzte und Schwerverletzte fordert.

Neue Qualität der Gewalt

Gewiss, antisemitische Ausschreitungen an der Universität Wien gab es auch schon rund um 1900. Die gewaltsamen Übergriffe nach dem Ersten Weltkrieg haben aber eine neue Qualität. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Ende 1922 an der Universität Wien eine neue Gruppe auftritt, die für die bürgerkriegsähnlichen Zustände an der Universität hauptverantwortlich werden sollte: die Hakenkreuzler.

Was sich in den folgenden Jahren beobachten lässt, ist eine fatale Allianz der Universitätsleitungen mit den rechtsextremen und nationalkatholischen Prügelstudenten: Die allermeisten Rektoren - der Theologe Theodor Innitzer ist 1928/29 eine bemerkenswerte Ausnahme - sympathisieren mit den rechtsextremen Prügeltrupps, sperren die Polizei aus der Kampfzone Universität aus und nehmen die Gewalt gegen jüdische und linke Studierende wohlwollend zur Kenntnis.

Es gibt aber noch eine andere fatale Allianz: nämlich die zwischen dem Rektorat, etlichen Uni-Professoren und der nationalsozialistischen Presse. Die facht die Stimmung an, publiziert bereits ab 1924 unter dem Titel "Rasse und Wissenschaft" Listen angeblich jüdischer Universitätslehrer, deren Lehrveranstaltungen boykottiert werden sollen. Die Nazi-Presse wird aber auch erfolgreich genützt, um Karrieren von Wissenschaftern jüdischer Herkunft zu verunmöglichen. Vor allem aber passiert das sehr erfolgreich in geheimen antisemitischen Professorencliquen.

Anfang der 1930er-Jahre wird die Uni Wien vollends zur Hochburg des Antisemitismus und zur Brutstätte des Nationalsozialismus: 1930 führt Rektor Wenzel Gleispach eine rassistische Studentenordnung ein, sekundiert vom damaligen Unterrichtminister Heinrich Srbik, der eigentlich Professor für Geschichte an der Universität Wien ist - und in der NS-Zeit Präsident der Akademie der Wissenschaften sein wird.

Als diese rassistische Studentenordnung nicht wegen ihres Rassismus, sondern einer formalen Zuständigkeitsfrage vom Verfassungsgerichtshof für ungültig erklärt wurde, eskaliert die Lage einmal mehr: Die Nazi-Studenten plakatieren vor dem Eingang "Juden Eintritt verboten!" und verprügeln im Inneren der Universität jüdische Kollegen. Wenig später rufen sie zu einem Fackelzug auf, um gegen das Urteil zu demonstrieren. Fotos vom Juli 1931 zeigen die beiden Rektoren Hans Uebersberger und Wenzel Gleispach, wie sie umringt von Hitler-grüßenden Nazi-Studenten vor der Universität Wien in das Deutschlandlied einstimmen.

An der Uni Wien sind die Nazi-Studierenden - so wie auch an allen anderen österreichischen Hochschulen - seit den Wahlen 1931 die stärkste Fraktion. Adolf Hitler hat diese Erfolge angeblich so kommentiert: "Wenn eines mich an den Sieg der Bewegung glauben lässt, so ist es der Vormarsch des Nationalsozialismus in der Studentenschaft." 1931 ist auch das Jahr, in dem Rektor Gleispach als nationalsozialistischer Präsidentschaftskandidat aufgestellt werden soll, was einzig am Einspruch der Parteileitung in München scheitert.

Der braun-schwarze Bruch

Im Dezember 1932 kommt es dann zum Bruch der politischen Allianz zwischen Braun und Schwarz auf studentischem Boden mit weitreichenden innenpolitischen Auswirkungen. Da die Universität Wien längst eine braune Hochburg ist, werden hier während der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur besonders viele NS-affine Lehrkräfte zwangspensioniert.

Viele von ihnen bleiben aber an der Universität - wie eben der spätere NS-Rektor Fritz Knoll, seine Dekane oder der Urgeschichte-Professor Oswald Menghin, der nach dem "Anschluss" Unterrichtsminister wird. Sie sind es auch, die nach dem "Anschluss" diese größte rassistische und politische Vertreibung von Universitätslehrern administrieren - zum Teil ohne gesetzliche Grundlagen, zum Teil auf Basis von austrofaschistischen Gesetzen.

Die Listen mit Namen der zu Vertreibenden sind seit vielen Jahren bereitgelegen. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 18.3.2015)