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Als Juror von "Germany's Next Topmodel" versucht Wolfgang Joop angehende Models "vor ihren selbstgewählten Kosmetikunfällen" zu bewahren. Das sei ziemlich anstrengend, befindet der Modemacher.

Foto: Felix Hörhager / dpa / picturedesk.com

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Beim Zeichnen spürt man Proportionen ganz genau, sagt Joop. In seinem Buch stellt er zwölf Modetypen vor – und kommt ihnen zeichnerisch näher. Hier seine Zeichnungen von Rihanna, ...

Illustration: Wolfgang Joop

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Tilda Swinton,

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Chloe Sevigny,

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Carine Roitfeld,

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Lena Dunham

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und Diane Keaton.

Illustration: Wolfgang Joop

Kaiserwetter nennt man das in Potsdam. Der erste Sonnentag im Frühling, der Blick geht über den blauen Heiligensee hinüber zum Marmorpalais, in der Luft liegt Kaffeeduft. Wolfgang Joop empfängt auf seiner Terrasse. "Gibt's keine Schlagsahne?", fragt er kurz irritiert. Doch, doch, und noch viel mehr: Auf dem Tisch liegt das erste Exemplar von Dresscode, einem Stilbuch, das der deutsche Modeschöpfer (Wunderkind) und TV-Juror (Germany's Next Topmodel) nun veröffentlicht. Und sofort ist der 70-Jährige in seinem Element: Er erzählt von alkoholisierten Freunden aus seiner Hamburger Zeit in den 80er-Jahren, vom Heroin-Chic in den 90ern und dem Stress der Fernsehaufzeichnungen. "Sie können meine unflätigen Bemerkungen ruhig aufnehmen", sagt er. Also, los geht's.

STANDARD: Herr Joop, Ihr Leben lang beschäftigten Sie sich als Designer mit Dresscodes. Ist das nicht die gute alte Kleiderordnung?

Wolfgang Joop: Die gibt es, Gott sei Dank, nicht mehr. Nein, der Dresscode ist eine Botschaft, keine Ordnung. Ich analysiere diese Botschaften, die manchmal eben zwischen Kult und Chaos liegen - wie es der Untertitel meines Buches nahelegt. Darin sind keine Tipps wie von Guido Maria Kretschmer.

STANDARD: Ihr Credo: Was eine Frau interessant macht, ist die Abweichung von der Norm. Das findet Kretschmer auch.

Joop: Ich glaube, da verstehen Sie mich grundsätzlich falsch. Ich tröste nicht, ich habe auch keine Meinung, ich analysiere lediglich. Ich glaube, dass wir uns auf die Wahrheit einlassen sollten, nicht genau zu wissen, wer wir sind. Und dass jeder das Recht hat, in uns zu sehen, was er sehen möchte. Mit kleinen Tricks in unserer Aufmachung können wir ihn allerdings beeinflussen, uns so zu sehen, wie wir uns selber sehen möchten. Gerade die Frauen in dem gewissen Alter ab 50 haben es nicht nur mit den Blicken des Gegenübers zu tun, sondern auch mit den Gesetzen der Natur. Beiden ein Schnippchen zu schlagen erfordert hohe Intelligenz und eine seelische Kraft.

STANDARD: Über die amerikanische Schauspielerin Diane Keaton schreiben Sie, dass sie ihren Look seit 30 Jahren pflegt. Er stammt aus dem Film "Die Stadtneurotiker" von Woody Allen. Männershirt, weite Hose, Weste. Giorgio Armani hat ihr dazu verholfen. Ein Mann musste dieser Frau erst Stil beibringen?

Joop: Es ist charmant, wenn diese Aufgabe das andere Geschlecht erledigt. Bei mir war es auch meine damalige Frau Karin. Sie schneiderte mir, dem braven Provinzler, eine Jacke aus Schlangenhaut, und ich fühlte mich ein bisschen wie Marlon Brando. Alte Filme sind oft die besten Vorbilder, denn die Geschlechterrollen sind dort total definiert. Karin lieh sich ihre Vorbilder aus Fassbinder- und Bertolucci-Filmen und kombinierte sie mit alten Pelzen und Plateauschuhen.

STANDARD: Dafür steht Diane Keaton nicht.

Joop: Sie ist ein Typus Frau, den man heute so gar nicht mehr kennt: die Emanze. Meine Karriere wurde von diesem Schlagwort begleitet. In den 70er- und 80er-Jahren hat man die emanzipierte, berufstätige Frau als Heldin des Alltags bewundert und beschrieben. Von der Cosmopolitan bis zur Brigitte. Diane Keaton wirkt ein bisschen wie ein weiblicher Dinosaurier, aber es ist spannend, wie sie den alten Look modernisiert. Mit kleinen Accessoires, die den Sexappeal eines Fetischs haben. Zum Beispiel Wespentaille durch breiten Gürtel.

STANDARD: Die gleichzeitig ihre Figur stützen.

Joop: Mit Stilettos betont sie zusätzlich, dass ihr Sexappeal noch wirksam ist. Dieser Fetisch hat auch etwas mit Leiden zu tun. Diese Assoziationen hat man bei ihr, und das bei einer Frau in diesem unaussprechlichen Alter.

STANDARD: Sie ist 69 Jahre alt.

Joop: Eine exquisite Zahl. Die Zahl beschreibt ein Alter, in dem Frauen am französischen Hof durchaus auf dem Höhepunkt ihrer sexuellen wie politischen Macht waren. Eine Madame sans-gêne, eine Regentin wie jene könnte eine Carine Roitfeld (die ehemalige Chefin der französischen "Vogue", Anm.) sein, die auf dem Fashion-Globus eine ultimative Machtrolle innehat. Es ist spannend, wie attraktiv sie in ihrem Alter aussieht.

STANDARD: Obwohl Sie über ihre Kombination aus Bleistiftrock und blauem Hemd urteilen: "Originell ist dieser Look nicht." Warum gleitet der Blick trotzdem nicht ab?

Joop: Das Geheimnis habe ich in dem Moment verstanden, als ich sie gezeichnet habe. Beim Zeichnen spürt man Proportionen ganz genau. Und man fragt sich, warum sieht diese Frau, die ihr Haar trägt wie viele andere, dazu einen Rock, einen Blazer, den es in tausend ähnlichen Variationen gibt, warum sieht das alles so beunruhigend anders aus? Es ist die Art, wie sie es und sich präsentiert. Und wie sie dabei das Gegenüber betrachtet. In Carine Roitfelds Fall mit einer Art Raubtierblick: einem Blick, der scannt, sortiert und verwirft. Bei Tilda Swinton, einer ebenfalls alterslosen Frau, fasziniert mich ihre Renaissanceschönheit. Jemand, der diese Schönheit hat, ist gewohnt, betrachtet zu werden, und betrachtet nicht.

STANDARD: Die Oscar-Preisträgerin nennen Sie ...

Joop: ... ein Alien. Sie tanzt aus der Reihe. Das blasse Gesicht mit den hohen Wangenknochen thront auf dem langen Hals. Sie ist androgyn, breitschultrig, groß. Vermutlich hat sie auch breite Hüften und trägt deshalb geschickt Männerhosen statt simple Röcke. Auch modisch richtet sie sich nach keiner gängigen Norm. Das aufzuspüren, darum ging es mir in meinem Buch: Wie gehen andere mit sich, ihrem Plus und Minus um? Wer findet die Formel, die abrufbar ist, egal, welche Mode die Zeit diktiert? Die Mode lebt von Provokation. Wer ihr blind folgt, wird von ihr verspottet und verraten. Ist heute das Diktat überschlank und blond, so holt der Zeitgeschmack eine dunkelhaarige üppige Kim Kardashian aus der Box. Vor Überraschungen ist man nie sicher, es hilft nur Souveränität.

STANDARD: Kim Kardashian fühlt sich in ihrer Welt der Reality-Show bestimmt pudelwohl.

Joop: Mag sein, aber das interessiert mich nicht. Sie ist sicherlich die Antwort auf einen gängigen Look zuvor. War man gestern so etepetete und gab sich verwöhnt, gebildet, so muss man plötzlich auch das "ugly" können. Unser allgemeines Bild vom Menschen ist längst geshoppt und computerized, sodass uns die Übertreibung wie die Norm vorkommt.

STANDARD: Eine Tragödie?

Joop: Vielleicht eher grotesk, so wie unsere Zeit eben ist.

STANDARD: Wenigstens müssen Sie zugestehen, dass in ihrem Aussehen viel Arbeit steckt - was Sie grundsätzlich gut finden.

Joop: Es mag in ihrem Fall eine Lebensleistung sein, sicher. Vieles muss man nicht machen, aber es scheint Spaß zu machen, was man alles kann. Grenzen müssen täglich verschoben werden. Das ist eine Art Sport. Aber nehmen wir mal lieber eine Chloë Sevigny. In Kids oder Boys Don't Cry spielte sie die passive, lethargische und beinahe autistische Freundin. Dieses "I don't give a shit" ist der moderne Modeltouch.

Ein Model spricht nicht, schon gar nicht über Fashion - im Gegensatz zum auswendig gelernten Text der Schauspielerin. Das Wunschziel, Model zu sein, hat das Wunschziel, Schauspielerin zu sein, längst abgelöst. Denn unsere Gesellschaft ist eine, die in Bildern lebt. Viele sind daran gewöhnt, woran ich mich gewöhnen musste. Quasi entblättert vor Kameras zu stehen, angreifbar und verwundbar durch die vielen Augen, die einen betrachten.

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Wolfgang Joop am Heiligensee in Potsdam.
Foto: Felix Hörhager / dpa / picturedesk.com

STANDARD: Das Mitleid hält sich in Grenzen. Niemand hat Sie gezwungen, Juror in einer Castingshow zu werden.

Joop: Nein, diese neue Rolle hat mich interessiert. Für eine Karriere im Popgeschäft - und dazu gehört für mich die Mode - ist das Medium Fernsehen unabdingbar. Wer mitmachen will, muss willens sein, in die Arena zu steigen. Ich bin natürlich in ein fertiges Set eingestiegen, mit geübten Gegenspielern, und konnte so meine Rolle schnell finden, dennoch ist die Arbeit physisch und emotional sehr anstrengend, denn all die Möchtegernmodels nehmen diese Show tödlich ernst.

STANDARD: Was lernen die Kandidatinnen bei Ihnen?

Joop: Wir befreien sie erst einmal von der Fixierung auf das eigene Spiegelbild und versuchen, sie vor ihren selbstgewählten Kosmetikunfällen zu bewahren. All die Chemie aus dem Regal hat ihnen das Allerschönste zugekleistert: ihre eigene Jugend. In gewisser Weise geben wir ihnen diese Optik zurück. So wie ich im Buch auch Lena Dunham bewundernd beschreibe. Sie ist ein Paradebeispiel, sich mit Chuzpe einem großen Publikum zu präsentieren, ohne dem gängigen amerikanischen Beauty-Ideal zu entsprechen, aber daran sieht man, dass Karrieren im klugen Kopf und nicht nur im schönen Gesicht stattfinden.

STANDARD: Über die Erfinderin der US-Serie "Girls" schreiben Sie: "Sie ist wie Angela Merkel, wenn sie ein Popstar wäre." Klingt so ein Kompliment?

Joop: Mit dem Bild Angela Merkels kann man Fashionistas wunderbar provozieren.

STANDARD: Ein anderes Zitat: "Lena ist eher ein kleiner dicker Junge als eine kleine dicke Frau."

Joop: Ich habe das nicht geschrieben, um Pralinen von ihr zu bekommen. Lena Dunham ist aber so cool und offen, sie findet den Spruch bestimmt gut.

STANDARD: Sie hat auf offener Bühne ihre High Heels ausgezogen ...

Joop: Das würde ich auch tun, wenn ich jemals welche tragen würde.

STANDARD: Die Roitfeld loben Sie für ihr Motto "Zehn Zentimeter Absatz am Tag, etwas mehr am Abend".

Joop: Es gehört eine Menge Fitness dazu, um auf diesen Mörderwaffen zu balancieren. Seltsamerweise können viele Mädchen bei Germany's Next Topmodel vieles nicht, aber auf hohen Absätzen können sie alle gehen. Als ich in der Mode zu arbeiten begann, Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre, sagten Models "I don't do High Heels" und meinten damit sieben Zentimeter. Heute probieren Schulkinder anscheinend auf dem Pausenhof, wie man auf zwölf Zentimetern gehen kann.

STANDARD: Mögen Sie Frauen in High Heels lieber?

Joop: Darum geht es mir nicht, aber es ist ein Phänomen, wie wir alle optisch so manipuliert sind durch geshoppte Endlosbeine in den Magazinen. Ein Model mit normal langen Beinen wirkt kurzbeinig und funktioniert mit Fashion nicht. Es ist auch ein Irrtum, dass weite Kleider für dicke Frauen sind. Weit wirkt nur weit, wenn die Trägerin dünn ist.

STANDARD: Erzählen Sie das mal Lena Dunham.

Joop: Ihr Credo könnte auch mit "Schrei der Verzweiflung" übersetzt werden. Gerade all das Verkehrte macht sie zum Charmbündel. Ich habe ihre Serie Girls nie gesehen, aber soweit ich weiß, hat Anna Wintour mal gesagt, sie hätte gedacht, man hätte ihr einen Porno gegeben, als sie die DVD der ersten Staffel und diese vielen Nacktaufnahmen sah.

STANDARD: Apropos, so ein Outfit attestieren Sie der Popsängerin Rihanna. "Sie lässt sich herumreichen."

Joop: Bei ihr herrscht wirklich stilistisches Chaos. Irgendwie wirkt ihr Hang zur Provokation schon beinahe pathologisch. Ich weiß auch nicht, was davon freiwillig ist. Eine von Natur aus bildschöne Person sollte sich nicht so überpimpen lassen.

STANDARD: An welches Outfit denken Sie?

Joop: Als ich sah, wie sie Häschenohren trug und dazu eine Pelzstola mit der Aufschrift "Fear", hätte ihr gerne eine gescheuert. Man kann sich nicht, nur weil man Rihanna heißt, doofer stellen, als man ist. Es gab mal eine Zeit, in der Models gegen Pelze protestierten und sich nackt fotografieren ließen. Das Foto war schön, die Wahrheit natürlich nicht. Das Statement gegen Pelz war nötig. Einem Fuchs das Fell abzuziehen, um darauf Angst zu schreiben, das ist kein Witz, sondern ungezogen und dumm.

STANDARD: Sie nennen Rihanna ein "Fashion-Victim" - das schlimmste Urteil, das Sie fallen können?

Joop: Na ja, ich bin kein Scharfrichter der Mode, aber diese von Natur aus wunderschöne junge Frau ist auch eine Botschafterin. Viele wollen so aussehen wie sie, nur die Idee ist für mich undenkbar, dass Tausende von Groupies über der Schulter einen abgezogenen Fuchs mit sich herumschleppen könnten. Bei Rihanna habe ich das Gefühl, sie wusste nicht, was sie tat, und ist ein sogenanntes Stilistenopfer.

STANDARD: Ruiniert das für Sie auch deren Lieder?

Joop: Ich bin ein großer Fan von R 'n' B und von Stevie Wonder. Bei einem Lied von ihm rollen mir noch heute die Tränen über die Wangen. Irgendwie tut es mir leid, dass Soul keine Seele mehr hat. (Ulf Lippitz, Rondo, DER STANDARD, 17.4.2015)