Beim Umbau des neuen Weltmuseums Wien ist Geschick und Durchhaltevermögen gefragt. Direktor Steven Engelsman übt mit seinem Lieblingsobjekt: einem mexikanischen Hutspiel namens "Bolero".

Foto: Andreas Urban

Wien – Bei seinem Antritt hatte er eigentlich nichts zu verlieren. Als Steven Engelsman 2012 das Museum für Völkerkunde übernahm, hatten viele ihr Urteil längst gefällt. Zu viel Porzellan war in den Jahren davor rund um das Museum schon zerschlagen worden: eine weltweit bewunderte ethnografische Sammlung seit über zehn Jahren unter Verschluss, eine schleppende Generalsanierung, teilweise Wiedereröffnung im Jahr 2007, schließlich der Rücktritt des leidgeprüften Direktors Christian Feest im Jahr 2010.

Das Projekt einer Neupositionierung des Museums galt als zerfahren, gescheitert am Spardruck, am Unwillen der Politik und an den finanziellen Prioritäten des KHM-Dachverbands. "Ich kannte Christian Feest und seine Situation hier in Wien, ich weiß, wie schwer er es hatte", sagt Steven Engelsman heute, wenige Wochen nachdem für seine Pläne für das Weltmuseum von der Politik grünes Licht gegeben wurde.

Das ist bereits mehr, als Kritiker ihm zutrauten. Der Niederländer, der zuvor 20 Jahre dem Museum für Völkerkunde in Leiden vorstand, galt vielen als willfähriger Spielball von Politik und KHM-Verband. Als "Frühstücksdirektor" bezeichnete ihn damals etwa der grüne Kultursprecher Wolfgang Zinggl. "Ich fand das witzig. Wusste ja gar nicht, was das bedeutet, ein ,Frühstücksdirektor‘. Hab mir gedacht, das ist ein Direktor, der gern frühstückt. Seither habe ich Herrn Zinggl jedes Jahr um den ersten Mai herum zum Frühstück eingeladen", sagt Engelsman, der freilich eine andere Sicht der Dinge hat.

"Ich habe die Einladung nach Wien so verstanden: Die brauchen jetzt einen von außen, der Erfahrung hat und in keine Streitereien verwickelt ist. Ich hatte auch Rückenwind. Die ersten zwei Jahre waren wie ein Märchen, wie ein Traum. Die Pläne wurden akzeptiert, kommentiert und auch finanziert." Und dann?

Dann griff Kulturminister Ostermayer (SPÖ) durch, stoppte im vergangenen November die Pläne für den 27,5 Millionen Euro teuren Umbau und wollte sie "redimensionieren", also kleiner haben. 16,6 Millionen sollte das neue Weltmuseum nun kosten, die Redimensionierung Platz und Geld für ein Haus der Geschichte freimachen. "Da war das Märchen erst einmal zu Ende", sagt Engelsman. "Es folgten drei Monate großer Unsicherheit, ehe wir im März verkünden konnten, dass die neuen Pläne genehmigt wurden. Das war eine große Erleichterung. Im September 2017 gibt es also das neue Weltmuseum Wien. Endlich."

Ein Name macht Schule

Öl ins Feuer goss Ostermayer aber auch nach der Entscheidung. Denn mit dem 2012 von Steven Engelsman gewählten Namen "Weltmuseum Wien" konnte der Minister nicht viel anfangen. "Haus der Kulturen" gefiele ihm besser, ließ er wissen. "Er hat das aber jetzt auch nicht weiterverfolgt", sagt Engelsman, "darüber bin ich glücklich, denn der Name wurde nach einem sehr sorgfältigen und langwierigen Prozess ausgewählt. Als ich antrat, war das Museum mitten in der Namensfindung. Das Ministerium, damals noch unter Claudia Schmied, hatte eine Agentur beauftragt, einen Namen zu finden. Die hatte das für viel Geld auch getan – aber mit ,Ethnos‘ einen Namen vorgeschlagen, der genau nicht das tut, was wir wollen. So ein Name hebt den Kurator auf eine Ebene, die höher ist als die der Dargestellten. Und das ist ein riesiges Hindernis."

Dazu fällt Engelsman ein Beispiel aus seiner Zeit in Leiden ein: "Als ich einmal einen Künstler zu einem Projekt eingeladen hatte, sagte der: ,I don’t want to be ethnologized.‘ Er hatte das Problem auf den Punkt gebracht. Die Kategorisierung in der Ethnologie ist eine Beleidigung. Daher sollte man weg von dem Begriff Völkerkunde." Zu Weltmuseum sei man über eine Longlist von 200 Namen gekommen. "Welt, Museum und Wien sind drei Begriffe, die uns wichtig sind: die Welt, Wien und als Verbindung das Museum."

Blickt man über Österreich hinaus, so scheint der Name tatsächlich Schule zu machen. Neil MacGregor, ehemaliger Direktor des British Museum, der nun das Humboldt-Forum Berlin gestalten soll, hat ihn sich geliehen. "Als wir den Namen auswählten, war Neil gerade bei mir in Wien. Er hätte sich den Namen immer gern für das British Museum gewünscht. Das Humbold-Forum Berlin bewirbt er nun als ,Weltmuseum für eine Weltstadt‘."

Zweites Museumsquartier

Und das Haus der Geschichte? "So etwas ist wichtig für ein Land", sagt Engelsman, und auch den Ort hält er für richtig: "Weil dieser sogenannte Hitler-Balkon dort steht. Allein dadurch wird der Besucher künftig aufgefordert, sich mit der Rolle Österreichs im Nationalsozialismus auseinanderzusetzen." Außerdem bestehe nun endlich die Chance "die größte Baustelle, die jetzt ein asphaltierter Blechplatz ist, zu öffnen. Wenn die Neue Burg und der Heldenplatz zu einem attraktiven Ort werden, wo der Besucher weiß, dort ist was los, dann könnte das zu einem zweiten Museumsquartier werden."

Mit den redimensionierten Plänen hat sich Engelsman bereits angefreundet. "Wir können auch so fast alles verwirklichen." Einzig der Wegfall des Zoom-Kindermuseums schmerzt ihn. "Ein kleinerer Korridor des Staunens steht weiterhin auf unserer Wunschliste. Voraussetzung ist aber, dass wir zehn Prozent des Umbaubudgets selbst aufstellen. Dafür Sponsoren aufzutreiben ist noch eine Herausforderung." Eine wichtige Rolle werde dem bespielbaren Kubus vor dem Weltmuseum zukommen: "Etwa bei unserer Kooperation mit Impulstanz. Theater, Kino und auch Ausschank werden dort möglich sein. Wir können dort auch Spritzer trinken."

Bis es so weit ist, hat das Weltmuseum jetzt erst einmal eine zweijährige Schließzeit vor sich. Trotzdem soll es weiterhin Projekte geben: Bis Ende Juni läuft "Neue Welten" in der Brunnenpassage am Yppenmarkt. Hierbei sind Menschen aufgefordert, Objekte mitzubringen und deren Geschichte zu erzählen. Im Gespräch führt Steven Engelsman auch sein Lieblingsobjekt, ein mexikanisches Geschicklichkeitsspiel, vor. "Wenn es bei vier Versuchen bleibt, habe ich Glück", sagt er.

Es klappt beim vierten Versuch. (Stefan Weiss, DER STANDARD, 16.4.2015)