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Die Idee klang spannend: Auf der Jagd nach Robben und anderen Meerestieren könnten sich steinzeitliche Menschen von Europa aus an der Eisgrenze entlang nach Nordamerika vorgearbeitet haben. Eine neue Studie verwirft diese Theorie aus Mangel an Beweisen.

Foto: REUTERS/Torsten Blackwood

Columbia - Wie es aussieht, bleibt es doch bei der klassischen Form der amerikanischen Besiedlungsgeschichte: Der Doppelkontinent wurde am Ende der vergangenen Kaltzeit von Nordwesten her aus Asien besiedelt.

Zwar gibt es mittlerweile Indizien dafür, dass die direkten Vorfahren der amerikanischen Ureinwohner nicht zügig über die einstige Landbrücke in der heutigen Beringstraße einwanderten, sondern einige Jahrtausende lang einen Zwischenstopp in der nun versunkenen Region einlegten. Und es wird nach wie diskutiert, in wie vielen Wellen die Menschen aus Sibirien kamen. Aber das Grundszenario bleibt unverändert.

Alternative Hypothese

In den 1990er Jahren war allerdings eine vollkommen andere Hypothese aufgekommen: Derzufolge hätten die Pioniere, noch während eiszeitliche Verhältnisse herrschten, aus der anderen Richtung kommen können - in Form von jungpaläolithischen Jägern und Fischern, die sich am Rand der Eiskappe des Nordatlantiks von Europa nach Nordamerika vortasteten.

Dem widersprechen Forscher der University of Missouri-Columbia und des Cleveland Museum of Natural History nun nicht nur - sie sind sogar überzeugt davon, die Theorie von der "Eisbrücke" eindeutig widerlegen zu können, wie sie im "Journal of Archaeological Science: Reports" berichten.

Das Indiz

Sie stellen nämlich die Herkunft des vielleicht zentralen Indizes für die Eisbrückentheorie in Frage: Eine eiszeitliche Steinklinge, die in den frühen 1970er Jahren zusammen mit Teilen eines Mastodonskeletts aus der Chespeake Bay an der US-Ostküste gehoben worden sein soll. Das Alter der Steinklinge ließ sich nicht bestimmen - die angeblich aus ihrer unmittelbaren Nähe stammenden Knochen jedoch schon: Die Messung ergab ein Alter von 22.000 Jahren - was einige Jahrtausende vor der Ära der sibirischen Einwanderer läge.

Dieses Alter würde mit dem Beginn des Solutréen übereinstimmen, einer jungpaläolithischen Kultur, von der Funde in Spanien und Frankreich erhalten geblieben sind. Die Vertreter der Eisbrückentheorie verwiesen auf Ähnlichkeiten zwischen den Steinwaffen dieser Kultur und späteren nordamerikanischen bis hin zur bekannten Clovis-Kultur.

Recherchen

Ein Team um Michael J. O'Brien von der University of Missouri-Columbia hat sich nun der Fundgeschichte dieser Steinklinge gewidmet und ist dabei auf allerlei Ungereimtheiten gestoßen. Klinge und Knochen sollen nämlich vom Fangboot eines Muschelfischers gehoben worden sein. Allerdings stießen die Forscher nun auf widersprüchliche Angaben zu Herkunft, Aussehen und Eigentümerschaft des Boots mit Namen "Cinmar".

Und was noch schwerer wiegt: Die Fundgeschichte von Klinge und Knochen stützt sich auf ein Telefoninterview, das damals mit dem Kapitän der "Cinmar" geführt worden sein soll. Allerdings fand O'Brien in Logbuchaufzeichnungen keinen Hinweis auf einen derartigen Fund.

Die Folgerung

Es liegen keine direkten Berichte von der "Cinmar"-Crew vor, sagt O'Brien. Es gebe nur indirekte Angaben - und die würden allesamt von Vertretern der Eisbrückentheorie stammen. Deshalb zieht O'Brien den Fund in Zweifel - und mit ihm die ganze Theorie, die sich auf ihn stützt.

Bis die Unklarheiten ausgeräumt sind, gebe es keinen Grund, das Artefakt als Beweis für eine frühe Besiedlung Amerikas heranzuziehen. Oder für die Vermutung, dass schon vor den Wikingern, die etwa um das Jahr 1000 im Nordosten des Kontinents eintrafen, Europäer Nordamerika besiedelten. (red, derStandard.at, 9.5. 2015)