Viele NS-affine Archäologen konnten ihre Arbeit nach 1945 fortsetzen. Ein prominentes Beispiel: Oswald Menghin, der im Bild rechts neben Hermann Junker in der neolithischen Grabung von Merimde/Beni-Salame um 1930 zu sehen ist. Im Vordergrund ein ägyptischer Mitarbeiter.

Foto: Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Nachlass O. Menghin

Wien/Graz – Archäologische Ausstellungen und Museen hatten bis in die 1960er-Jahre eines gemeinsam: Sie waren oft ausgesprochen langweilig. Die verstaubte Atmosphäre hatte nicht nur mit mangelnder Präsentationstechnik und Museumsdidaktik zu tun, sondern auch mit einer Art Schreckstarre des gesamten Fachbereichs: "Damals hat man sich in den Museen bei der Interpretation von Funden sehr zurückgehalten, oft wurden sie überhaupt kommentarlos präsentiert", erinnert sich Otto Urban vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien. Die Ursache dieser befremdlichen Interpretationsabstinenz ist weitgehend in der Zeit des Nationalsozialismus zu finden, als viele Archäologen ihre Forschung in den Dienst der herrschenden NS-Ideologie stellten. Als sich die politischen Werte nach 1945 radikal änderten, verhielten sich viele Institutionen wie gebrannte Kinder: Man war vorsichtig bis zur Selbstaufgabe.

Was aber hatte die archäologische Forschung mit dem Nationalsozialismus zu schaffen? Die damals noch junge Disziplin eignete sich optimal zur wissenschaftlichen Untermauerung des Mythos vom germanischen Herrenmenschentum. In bezeichnender Weise kommt das in einer Publikation von 1938 von Leonhard Franz zum Ausdruck, der von 1942 bis 1967 Professor für Vorgeschichte an der Universität Innsbruck war, in der er schreibt: "Der Nationalsozialismus hat das Kampf- und Propagandamittel, das sich ihm in Gestalt der Vorgeschichte darbot, aufgegriffen, sie ist heute mit Rassenkunde und Vererbungslehre die vornehmste der 'Weltanschauungswissenschaften'."

Das mag gerade bei einer humanistisch geprägten Wissenschaft, die sich auch mit der griechisch-römischen Zivilisation beschäftigt, überraschen. Und dennoch fiel die NS-Ideologie gerade bei den Erdwissenschaften, zu denen auch die Archäologie gehört, auf äußerst fruchtbaren Boden. Hitlers Machtergreifung baute darauf auf, was ideologisch schon vorbereitet war: "An der Wiener Philosophischen Fakultät dachte man schon in den 1920er-Jahren großdeutsch, rassistisch und antisemitisch", sagt Urban. Zur "Heiligen Schrift" des staatstragenden Germanenkults wurde kurioserweise der vom römischen Historiker Tacitus im Jahr 98 verfasste Text Germania, in dem er den aufrichtigen Charakter und die sittliche Lebensweise der großen, blonden, blauäugigen und tapferen Krieger beschreibt.

Beutezug mit der Wehrmacht

Die Erforschung der heroischen "Vorfahren" ließen sich die Nationalsozialisten einiges kosten: Plötzlich gab es beträchtliche Mittel für Ausgrabungen, Ankäufe und archäologische Lehrstühle an den Universitäten. In der 1935 von Heinrich Himmler gegründeten Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe spielte die Archäologie eine zentrale Rolle. Es waren Archäologen, die ab 1940 die von Deutschland besetzten Länder systematisch ihrer "germanischen" Funde beraubten. Auch der Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte hatte sich der "Germanenforschung" verschrieben. Sein Leiter, der Archäologe Hans Reinerth, ging mit der Wehrmacht auf Beutezug und ließ hunderte Museen ausrauben. "Bodendenkmalpflege" und "Kulturgutsicherung" wurden diese archäologischen Plünderungen in den Besatzungsgebieten genannt.

Anhand der gestohlenen Objekte wollte man nachweisen, dass beispielsweise in Russland ursprünglich Germanen gesiedelt hätten. Damit sollte aus dem Eroberungskrieg eine "Rückeroberung deutschen Landes" und ein historisch legitimierter Anspruch auf den "Lebensraum im Osten" konstruiert werden. "Das bedeutet also, dass Deutsche wie schon vor so während der slawischen Episode im Osten gewohnt und gewirkt haben", schrieb Franz 1941.

Otto Urban hat sich als einer der ersten Archäologen in Österreich mit den tiefgreifenden Verstrickungen seiner Disziplin in die NS-Politik befasst. Auch nach dem Krieg habe es ihm zufolge keinen wirklichen Bruch in der archäologischen Forschung gegeben. Wie viele andere NS-affine Universitätsprofessoren lehrte etwa Leonhard Franz nach einer kurzen Pause bereits 1948 wieder in Innsbruck, 1957 wurde er zum ordentlichen Professor für Ur- und Frühgeschichte ernannt und 1966 erhielt er sogar das große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. Das ist umso bemerkenswerter, als in Franz' Spätwerk nach wie vor rassistische Passagen zu finden sind.

Späte Aufarbeitung

Auch für den Prähistoriker Oswald Menghin, der als Unterrichtsminister im "Anschlusskabinett" von Seyß-Inquart für die politischen und rassistischen Säuberungen an den österreichischen Universitäten verantwortlich war, bedeutete das Jahr 1945 nur eine geografische Verlagerung seiner Aktivitäten, jedoch keine Ende: 1948 flüchtete er nach Argentinien, wo er Universitätsprofessor in Buenos Aires und 1959 korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften wurde.

Neben ideologisch "geläuterten" Professoren arbeiteten an den Universitäten und Museen bis in die 1970er-Jahre natürlich auch viele ihrer Schüler. "Das war zweifellos ein wichtiger Grund, warum man mit der Aufarbeitung so lange gewartet hat", ist Urban überzeugt. "Immerhin hätten sich damit viele auch selbst diskreditiert." So wählte man den klassischen Weg des Verdrängens, bis man sich in den 1990er-Jahren schließlich an die desillusionierende Geschichtsforschung in eigener Sache wagte. Seitdem hat sich an den österreichischen Universitäten und Museen viel bewegt. Das Grazer Symposium machte jedoch auch deutlich, dass die kritische Auseinandersetzung mit der jüngeren Vergangenheit, zu der nicht zuletzt Fragen der Restitution gehören, noch nicht abgeschlossen ist. (Doris Griesser, 22.5.2015)