Kim Nasmyth sieht sich kurz davor, seine Hypothese zur Zellteilung belegen zu können: "Wir sind nahe dran" , meint er. Seine Annahme hinter der Hypothese: "Was für die Hefe stimmt, ist wahrscheinlich auch für Sie und mich richtig."

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STANDARD: Für eine Tagung sind Sie nun kurzzeitig ans Institut für Molekulare Pathologie (IMP), deren Leiter Sie von 1997 an fast zehn Jahre lang waren, nach Wien zurückgekehrt: Wie fühlt sich das an?

Kim Nasmyth: Ich komme noch regelmäßig nach Wien. Teile meiner Familie leben in Österreich. Ich habe auch immer wieder Kontakt zu Jan-Michael Peters, der ja heute das IMP leitet. Er war schon damals ein mir sehr nahestehender Kollege. Wir arbeiten ja an ähnlichen Dingen. Ich habe daher nicht das Gefühl, dass ich Wien komplett verlassen habe.

STANDARD: Sie haben 1997 ein neuartiges ringförmiges Molekül in Hefezellen entdeckt, das Sie noch heute beschäftigt. Was ist das Besondere an dem sogenannten Cohesin?

Nasmyth: Dieser Proteinkomplex ist bedeutend für die Zellteilung. Das ringförmige Molekül hält die verdoppelten Chromosomen im Teilungsprozess so lange zusammen, bis der Zeitpunkt für ihre Trennung gekommen ist und sie sich auf die zwei neuen Zellen aufteilen. Ohne Cohesin entstünde Chaos. Die zwei Tochterzellen würden die falsche Kombination von Chromosomen erben. Leben, wie wir es kennen, ist ohne Cohesin unmöglich.

STANDARD: Das gilt für alle Organismen?

Nasmyth: Das gilt zumindest für alle Lebewesen, deren Zellen einen Zellkern haben. In Bakterien gibt es aber ähnliche Moleküle wie Cohesin, die ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Chromosomenteilung spielen. Der französische Wissenschafter Jacques Monod sagte einst: "Alles, was sich als wahr erweist für E. coli, muss sich auch als wahr erweisen für Elefanten." Das trifft wohl auch auf das Vorhandensein von Proteinkomplexen wie Cohesin zu.

STANDARD: Sie haben einige Jahre nach der Entdeckung gemutmaßt, wie das Cohesin die verdoppelten Chromosomen bei der Zellteilung zusammenhält.

Nasmyth: Wir haben bereits 2001 gemeint, dass Cohesin die Chromosomen in seinem Ring einfängt und zusammenhält. Es hat uns viel Zeit gekostet, diese Hypothese zu testen. Und wir testen sie nach wie vor.

STANDARD: Sie ist noch nicht bewiesen?

Nasmyth: Wir sind nahe dran. Und wir haben es nicht geschafft, sie bisher zu widerlegen - das ist zumindest sicher. Ich denke, dass wir in den nächsten ein, zwei Jahren wissen, ob wir richtig liegen oder nicht. Zumindest bei der Hefe. Unsere Annahme ist: Was für die Hefe stimmt, ist wahrscheinlich auch für Sie und mich richtig.

STANDARD: Gibt es konkurrierende Erklärungsmodelle?

Nasmyth: Nicht wirklich. Es gibt unser Modell. Und dann gibt es jene, die sagen: Es ist nicht so. Aber die Kritiker sagen nicht, wie es ist.

STANDARD: Bei der Tagung soll es zu einer eher hitzigen Diskussion zwischen Ihnen und Ihrem Kollegen Douglas Koshland gekommen sein. Ging es um dieses Thema?

Nasmyth: Ja. Das Labor meines US-Kollegen war gemeinsam mit unserem das erste, das Cohesin in der Hefe entdeckt hat. Doch Doug war immer etwas skeptisch gegenüber unserem Ring-Modell. In seinem Vortrag hat er einige Beobachtungen beschrieben, die im Rahmen unseres Modells schwer zu erklären sind. So fechten einige Forscher unser Modell an. Das ist meiner Meinung nach nicht gerechtfertigt.

STANDARD: Warum?

Nasmyth: Wenn man am Anfang steht, sind alle Theorien unvollständig. Sie können niemals alles erklären, was erklärt werden muss. Ist man nicht fähig, eine Anzahl von Beobachtungen zu erklären, heißt das aber noch nicht, dass man falsch liegt. Unsere Hypothese ist vielleicht nur nicht vollständig.

STANDARD: Es geht eher um eine Frage der Betrachtung?

Nasmyth: Es geht um die Natur der Wahrheit. Das geht zurück auf Karl Poppers Ansätze, wie man zur Wahrheit kommt. Man hat Theorien - diese werden zerstört durch Beobachtungen, die die Theorien anfechten. Doch was rechtfertigt eine Anfechtung? Das ist die Schlüsselfrage. Und man sagt doch: Man soll nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Man sollte keine Theorie verwerfen, sobald man auf Schwierigkeiten trifft. Schwierigkeiten geben keinen Grund zur Anfechtung und zur Behauptung, die Theorien wären falsch. Das, glaube ich, hat Popper niemals ganz verstanden.

STANDARD: Nervt diese Art von Kritik oder ist sie auch hilfreich?

Nasmyth: Ich glaube, jede Kritik ist hilfreich. Doch ich denke auch, es wäre hilfreicher gewesen, wenn mehr Forscher versucht hätten herauszufinden, ob das Ring-Modell richtig oder falsch ist. Nur Schwierigkeiten aufzuzeigen ist zu wenig.

STANDARD: Mit ihrer Forschung ist eine große Hoffnung für neue Ansätze in der Krebstherapie verbunden. Worin besteht die Verbindung zu Krebs?

Nasmyth: Man muss erst einmal verstehen, wie die Chromosomen arbeiten. Das ist fundamental, um Krebszellen zu verstehen. In Krebszellen hat man Defekte bei der Chromosomenteilung beobachtet. Vor kurzem haben Forscher entdeckt, dass viele Krebszellen anscheinend Mutationen haben, die das Verhalten von Cohesin beeinflussen. Wie also Defekte in Cohesin zur Bildung von Geschwülsten beitragen können. Das war sehr überraschend. Am Anfang hatten wir keinen Grund, davon auszugehen, dass das Cohesin direkt etwas mit der Tumorentstehung zu tun haben könnte. Doch bei ein paar Krebsarten könnte das der Fall sein. Es gibt aber noch andere medizinische Probleme, für die die Cohesin-Forschung sehr wichtig ist.

STANDARD: Welche?

Nasmyth: Cohesin könnte relevant sein für die Entstehung von Trisomie 21, eine bestimmte Chromosomenabweichung, die zum Down-Syndrom führt. Es gibt Hinweise, dass das Cohesin mit zunehmendem Alter bei Frauen degeneriert. Seine Veränderung könnte dazu beitragen oder sogar die Hauptursache dafür sein, dass Frauen mit zunehmendem Alter unfruchtbarer werden und ein erhöhtes Risiko von Trisomie 21 besteht. Hier könnte die Cohesin-Biologie eine viel direktere Folge für die Menschen haben. Heute bekommen doch viele Frauen ihre Kinder erst in ihren 30ern. Zitieren sie mich bitte nicht mit den Worten, dass Cohesin das Problem ist. Aber es ist vielleicht die beste Hypothese, die wir derzeit haben. In den nächsten fünf Jahren wissen wir womöglich mehr. Ob man dann daran etwas ändern kann, ist eine andere Frage. (Lena Yadlapalli, 20.5.2015)