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Ein guter Start ins Leben ist entscheidend. Eltern dürfen sich Unterstützung holen.

Foto: APA/dpa/Arne Dedert

Eineinhalb Stunden hat Anna vorletzte Nacht geschlafen. Letzte Nacht waren es immerhin viereinhalb. Während sie erzählt, hängt sie im Wohnzimmer ihrer Wohnung im 19. Bezirk Wäsche auf. Hosen, T-Shirts, Baby-Kleider – je zweimal das gleiche Exemplar. Ihre braunen Locken hat sie zusammengebunden. Die dunkel unterrahmten Augen zeigen ihre Erschöpfung.

"Wenn die Mädchen etwa um acht Uhr abends eingeschlafen sind, liege ich im Bett und denke mir: 'Du musst auch schlafen!' Neun Uhr, zehn Uhr, elf Uhr. Die Zeit vergeht bis eines der Mädchen aufwacht weil es Hunger hat. Dann stehe ich wieder auf."

Seit September ist Anna Mutter von Zwillingen. Die beiden Mädchen sind Frühchen. Laura hat aktuell 7,6 Kilogramm, ihre Schwester Lena nur 6,4. "Dass Lena nur langsam zunimmt, stresst die Familie. An Laura sieht Anna Tag für Tag, wie Lena sich entwickeln könnte", sagt Theres Kranner. Sie sitzt im Wohnzimmer und hält Lena auf dem Arm während Anna die Wäsche aufhängt. Ein bis zwei Mal pro Woche kommt sie vorbei, um Anna fachlich zu unterstützen und zu beraten.

Regelmäßige Familienbesuche

Kranner ist Psychologin und arbeitet für das Modellprojekt Frühe Hilfen in einem Team, das sich aus verschiedenen Fachkräften zusammensetzt, etwa Hebammen, Sozialarbeiter und Psychologen. Im Rahmen des Angebots der Familienbegleitung besucht sie regelmäßig junge Familien und Mütter zu Hause.

Die Frühen Hilfen sind eine Kooperation der Sozialversicherung und der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit. Das Projekt vernetzt bereits vorhandene regionale Angebote miteinander. "Es gibt so viele wirksame und wertvolle Einzelangebote. Durch Kenntnis der Unterstützenden voneinander können sie Familien auch möglichst rasch zugänglich gemacht werden. Das ist der Grundgedanke der Frühen Hilfen", sagt Gesamtprojektleiterin Alexandra Preis. Neben Wien gibt es das Modellprojekt auch in Wiener Neustadt, Linz, Bruck-Mürzzuschlag, Wolfsberg und bald auch in den restlichen Bundesländern.

Das Gefühl, alles alleine schaffen zu müssen

Seit einigen Wochen haben Laura und Lena tagsüber nicht mehr den gleichen Rhythmus. Wenn eine schläft, ist die andere wach. Für Anna bedeutet das noch weniger Zeit für Einkäufe, den Haushalt oder sich selbst. "Samstags ist mein Mann bei den Zwillingen. Dann habe ich zwischendurch ein paar Stunden Zeit für Erledigungen. Letzte Woche war ich wieder einmal beim Frisör", erzählt sie schmunzelnd, "ich bin wohl die einzige der Kundinnen, der es nichts ausmacht, lange warten zu müssen. Dann blättere ich die Magazine durch und genieße die Ruhe." Spätestens zur Essenszeit der Mädchen muss sie aber wieder daheim sein. "Lena ist daran gewohnt, von mir gefüttert zu werden, deshalb isst sie meist schlechter, wenn ich nicht da bin."

Am Beginn einer Familienbegleitung stehen in den meisten Fällen ein Arzt, eine Krankenschwester oder eine Hebamme: "Hat etwa eine Krankenschwester ein ungutes Gefühl dabei, eine junge Mutter mit einem Neugeborenen alleine nach Hause zu schicken, meldet sie sich beim Team der Frühen Hilfen", erklärt Hedwig Wölfl. Sie leitet das Projekt in der Modellregion Wien. Nimmt die Familie das Angebot freiwillig an, kommt eine Mitarbeiterin vorbei. Anfangs im Krankenhaus, später daheim.

Mütter hätten oft das Gefühl, es alleine schaffen zu müssen, sagt Kranner. In Annas Familie sei das zum Glück mittlerweile anders. "Sie hat erkannt, dass es nicht darum geht, so viel wie möglich zu ertragen, sondern dass eine junge Familie Hilfe annehmen darf." Bei Anna gehe es darum, auftauchende Selbstzweifel zu verringern und sie beim Füttern von Lena fachlich anzuleiten. "Anna hat so viele Ressourcen. Bei meinen Besuchen versuche ich ihr das zu vermitteln und ihr Vertrauen in ihre eigenen Kompetenzen zu stärken."

Vertrauensbasis

Viele Familien, die von den Frühen Hilfen unterstützt werden, sind mehrfach belastet. Manche haben finanzielle Schwierigkeiten, bekommen keine Unterstützung von der Familie, haben keine Krankenversicherung oder leben mit einem ungeklärten Aufenthaltsstatus. Andere leiden unter psychischen Erkrankungen und Einsamkeit, haben Alkohol- oder Drogenprobleme oder Konflikte in der Partnerschaft. Hier sei es besonders wichtig, eine stabile Beziehung aufzubauen. "Persönliche und belastende Dinge erzählt man nur jemandem, dem man vertraut", sagt Kranner.

Erst wenn dieses Vertrauen da sei, könnten die Frühen Hilfen helfen. Je nach Problemstellung lotsen die Familienbegleiterinnen durch das Sozial- und Gesundheitssystem und die vorhandenen Angebote wie Wohnungslosenhilfe, Mütter-/Vätertreffs, Erziehungsberatung, Mindestsicherung oder Psychotherapie. Den Eltern wird geholfen, sich selbst zu helfen.

Empathie und Feingefühl lernen

"In der ersten Zeit sind fünf bis sieben Prozent der Eltern mit einem Neugeborenen überfordert oder leiden unter einer Belastung", sagt Wölfl. Jungen Eltern fehle oft noch das Feingefühl und die Empathie im Umgang mit Säuglingen. "Es sind ganz grundlegende Dinge, die sie lernen müssen, etwa wie man ein Kind hält oder badet."

Gerade wer zum ersten Mal Vater bzw. Mutter werde, könne schlecht einschätzen, was für ein Kind in einem bestimmten Alter angemessen ist. "Wir waren bei einer Familie, in der die Eltern ihrem Säugling Fanta in die Trinkflasche gefüllt haben", erzählt Wölfl.

Die Frühen Hilfen unterstützen Eltern dabei, ihre Erziehungsfähigkeiten zu stärken. Dadurch können die Kinder gesund aufwachsen und es langfristig auch bleiben. Egal wie viel manche Mütter und Väter an Unterstützung brauchen und ganz gleich wie groß die Belastung sei, ist Kranner überzeugt: "Alle Eltern wollen gut genug sein für ihr Kind." (Bernadette Redl, Cure, 25.8.2015)