"Am Anfang ist die Idee, die Linie und wenn man ihr entlang geklettert ist, dann ist sie Realität geworden. Dieser kreative Prozess ist für mich sehr reizvoll."

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David Lama, Cerro Torre.

MAMMUT

Der rund 3130 m hohe Granitberg in Argentinien ist wohl einer der am schwierigsten zu besteigenden Berge der Welt.

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Auf dem Weg nach oben.

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Mit Peter Ortner (re), seinem Kletterpartner in Patagonien.

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In den kommenden Tagen bricht David Lama auf, um ein neues Abenteuer zu starten. Der Tiroler möchte auf den Lunag Ri, den höchsten nichtbestiegenen Berg Nepals, klettern. Diese Expedition bezeichnet er jedoch als kleineres Projekt, ein weit größeres, das ihn nicht zum ersten Mal ins Karakorum nach Pakistan führen wird, hat er bereits im Hinterkopf.

Zum Free-TV-Start des Films "Cerro Torre – Nicht den Hauch einer Chance", der diesen und nächsten Freitag in zwei Teilen auf Servus TV (jeweils 20.15 Uhr) gezeigt wird, sprach er mit dem STANDARD über das Scheitern beim ersten Versuch, als er den Cerro Torre über die Kompressorroute freikletternd bezwingen wollte. Außerdem ging es in dem Gespräch um seine Motivation, den kreativen Prozess bei der Besteigung, Angst und Panik, öffentliche Erwartungshaltungen, Selbstverwirklichung, anfängliche Probleme mit den Alpinisten, Grenzen und den Reiz des schier Unmöglichen.

STANDARD: Im März 2014, mehr als vier Jahre nach dem ersten Scheitern, kam der Cerro-Torre-Film in die Kinos. Sind Sie auch heute noch mit dem Produkt zufrieden?

David Lama: Absolut! Man muss aber auch sehen, dass die Zeit nicht stehen bleibt und sich Sichtweisen verändern. Heute wären Film, Schnitt und auch das Abenteuer sicher ganz anders. Aber mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden, weil ich mich stark in die Produktion und auch das Schneiden einbringen konnte. Ich bin dankbar dafür, dass die Zusammenarbeit mit dem Regisseur und dem Produzenten so gut geklappt hat und sie auch mein Feedback ernst genommen haben. Der Film ist klettertechnisch interessant und beinhaltet auch viele Botschaften für jedermann.

STANDARD: Entspricht der Film Ihren realen Erlebnissen am Berg?

Lama: Ja, die drei Jahre, dich ich in Patagonien war, sind wirklich eins zu eins so abgebildet und das zeichnet den Film auch aus. Wie viele Filme gibt es denn in einer derartigen Reinform, wo nicht versucht wird, vieles mit rosaroter Brille zu beschönigen und zu übertreiben?

STANDARD: 2009 klappte die Besteigung noch nicht. Was haben Sie damals über das Scheitern gelernt?

Lama: Damals war das mein erstes alpinistisches Großprojekt. Von den Wettkämpfen und Erfolgen davor war ich in gewisser Weise verwöhnt. Dann aber bei so einem Berg derart abzublitzen, war sicher eine ganz wichtige Lektion. Ich bin einer, der Projekte in Angriff nimmt, die andere für nicht möglich halten. Bei solch großen Projekten muss man sich aber schon mit dem Scheitern auseinandersetzen und lernen, dass dies ein ganz normaler Prozess ist. Oft bringt einem das mehr, als wenn man es ganz locker abzieht und abhaken kann.

STANDARD: Welches Abenteuer steht nun als nächstes an?

Lama: Eine Nepalexpedition. Ich möchte den Lunag Ri raufklettern. Das ist der höchste nicht bestiegene Berg Nepals. Eine spannende Geschichte. In Nepal und im Karakorum gibt es noch viele unbestiegene Berge, aber viele sind klettertechnisch nicht sonderlich anspruchsvoll. Überspitzt formuliert sind das oftmals Schneehügel, die nur auf Grund von Faulheit noch nicht bestiegen wurden. Der Lunag Ri aber ist ein richtiger Berg mit einer klettertechnisch anspruchsvollen Wand. Es hat schon mehrere Besteigungsversuche gegeben, aber bislang sind alle Teams gescheitert. Das ist eine kleinere Expedition, ein kurzfristiges Projekt.

STANDARD: Was kommt dann?

Lama: Solche Expeditionen sind für mich Vorbereitungsexpeditionen auf das Großprojekt, das ich im Hinterkopf habe, die Nordostwand des Masherbrum in Pakistan. Die Wand habe ich schon zweimal versucht, 2013 mit meinem Partner vom Cerro Torre, Peter Ortner und einmal 2014 mit Peter und Hans-Jörg Auer. Das ist so ziemlich das schwierigste, was ich mir vorstellen kann. Eine ganz komplexe Sache. Eine große Wand, mehr als doppelt so hoch wie der Cerro Torre und es geht auch auf über 7.800 Meter hinauf.

STANDARD: Verspüren Sie den Drang, sich von Mal zu Mal zu steigern?

Lama: Ich glaube, das ist menschlich. Anstelle von Steigerung kann man auch das Wort Entwicklung nehmen. Der Mensch wäre nicht so weit gekommen, wenn er nicht immer versucht hätte, den Standard zu toppen und sich zu verbessern. Ich glaube, das ist in jedem Menschen mehr oder weniger ausgeprägt.

STANDARD: Wie gehen Sie damit um, dass die Leute immer schwierigere Abenteuer erwarten?

Lama: Erwarten können Sie viel, ob Sie es kriegen oder nicht, liegt in dem Fall an mir. Ich gehe nicht raus, um die Leute zu beeindrucken. Ich mache Projekte, die mir Spaß machen, die ich als Herausforderung empfinde. Es geht um Selbstverwirklichung. Beim Bergsteigen geht es ja auch um das Künstlerische. Wenn man vor einer großen Wand steht, sich die Linie sucht und dann hinaufsteigt, wo zuvor keiner war, dann hat man die komplette Freiheit, sich selbst zu entfalten und zu verwirklichen. Am Anfang ist die Idee, die Linie und wenn man ihr entlang geklettert ist, dann ist sie Realität geworden. Dieser kreative Prozess ist für mich sehr reizvoll. Man hinterlässt etwas, auch für andere Bergsteiger.

STANDARD: Reizt Sie, schier Unmögliches zu schaffen?

Lama: Ja. Ich versuche neue Wege zu gehen und überlege, was für mich möglich ist. Dabei schaue ich weniger auf andere und was sie denken. Ich verlasse mich lieber auf meine 20-jährige Klettererfahrung und ein bissl auch auf das Gefühl. Das führt mich immer wieder zu Projekten, die andere als unmöglich abtun. Der Reiz ist natürlich größer, wenn man etwas macht, von dem man im Vorfeld nicht weiß, ob es möglich ist und ob man es schafft.

STANDARD: Die Grenzen sind vermutlich nicht leicht zu definieren. Probiert man es manchmal einfach aus?

Lama: Im Großen und Ganzen ja, natürlich hängt es mit der persönlichen Vorstellungskraft zusammen und die setzt im Prinzip die Grenzen. Hin und wieder wird man aber nicht drum herum kommen, etwas zu probieren. Ob man es schafft oder nicht ist auch eine Frage der Willensstärke.

STANDARD: Haben Sie ein Lebensmotto?

Lama: Am ehesten, dass man seinem persönlichen Stil treu bleiben soll. Ich möchte das vorsichtig als Motto bezeichnen, weil sich der Stil über die Jahre auch ändern kann. Man hat mit 20 sicher eine andere Betrachtungsweise als mit 30 oder 50. Auch die persönlichen Ideale ändern sich. Als Wettkampfkletterer habe ich manche Sachen gar nicht in Frage gestellt, heute als Alpinist würden manche Dinge gar nicht mehr in Frage kommen. Das Thema Bohrhaken am Cerro Torre zum Beispiel war für mich ein sehr lehrreiches.

STANDARD: Wegen der durch zusätzlich angebrachte Bohrhaken für Dreharbeiten entstandenen Aufregung in der Alpinszene?

Lama: Ja, auch deswegen. Grundsätzlich gibt es ja verschiedene Stile und während beim klassischen Bergsteigen der Gipfel im Vordergrund steht, spielt beim freien Klettern die Art und Weise eine entscheidende Rolle. Da man sich beim Freiklettern in gewisser Weise selbst beschränkt, weil man Sicherungspunkte nur als solche und nur die natürlichen Strukturen zum Hochziehen nimmt, spielen sie eine ganz andere Rolle als beim Bergsteigen.

STANDARD: Beim Bergsteigen werden sie ja auch zur Fortbewegung genützt.

Lama: Genau. Messner hat einmal gesagt, dass der Bohrhaken der Mörder des Unmöglichen ist, weil man ihn in jede noch so glatte Wand hineinschlagen kann. So werden auch unmögliche Besteigungen möglich. Das gilt aber nicht für Freikletterer. Ohne entsprechende Struktur gibt es kein Hinaufkommen. Ich musste damals erst lernen, dass bei den Alpinen etwas andere Gesetze herrschen und dass ich in den Bergen nicht nur meinen persönlichen Ansprüchen als Freikletterer als auch jenen der Alpinisten gerecht werden muss.

STANDARD: Hatten Sie jemals Angst?

Lama: Absolut, ja! Angst hat jeder Mensch, manche haben Höhenangst, die habe ich aber nicht. Ich habe Angst vor Schlangen. Damit kann ich schwer umgehen. Aber man muss unterscheiden zwischen Angst und Panik. Auf die Angst sollte jeder Bergsteiger in gewisser Weise achten, denn sie zeigt Gefahren auf. Wenn man die kennt, dann kann man versuchen, sie zu minimieren oder auszuschalten. Panik hingegen lähmt dich, macht dich unfähig, richtig zu handeln. Daher ist Panik beim Bergsteigen so gut es geht zu vermeiden.

STANDARD: Was kann man dagegen machen?

Lama: Ich frage mal anders: Was kann man tun, um es erst gar nicht so weit kommen zu lassen? Die Vorbereitung und die Auseinandersetzung mit den Gefahren spielen dabei eine wichtige Rolle. Wenn sich zum Beispiel der Partner in der Wand den Fuß bricht, dann ist man oftmals überfordert, weil man sich im Vorhinein nicht damit auseinandergesetzt hat. Aber solche und andere Szenarien muss man für jede Wand zuvor im Kopf durchgehen. Selbiges gilt für die kritischen Punkte.

STANDARD: Es gibt den Vorwurf, dass Sie Teil einer gut funktionierenden Werbemaschinerie sind und dass es auch viele andere sehr gute aber nicht so bekannte Kletterer gibt.

Lama: Solche Vorwürfe höre ich selten. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, dass ich das Bergsteigen zu meinem Lebensmittelpunkt machen möchte. Dabei muss man sich auch damit auseinandersetzen, wie es möglich ist, davon zu leben. Die Formulierung "Werbemaschinerie" gefällt mir nicht, aber ich empfinde es fast schon als Kompliment, dass es bei uns gut läuft. Es gibt viele starke Kletterer und ich behaupte auch nicht, dass ich der beste bin, aber mir macht es Spaß und ich glaube nicht, dass ich mich verstecken muss. Es gibt sehr wenige, die vom Bergsteigen oder Klettern leben können. Das ist ein Privileg.

STANDARD: Haben Sie auch abseits der Berge Träume?

Lama: Neben dem großen Traum Masherbrum, der mich in den Bann zieht, habe ich in den letzten Jahren das Surfen für mich entdeckt. Auf dem Brett zu stehen und eine perfekte Welle zu surfen, ist auch einer meiner Träume. (Thomas Hirner, 24.9.2015)