Es ist einer dieser heißen Sommerabende, draußen hat es 37 Grad, die Backstube ist auf mindestens 50 Grad aufgeheizt. Aufmerksam drängen sich 25 interessierte weißbeschürzte Frauen und Männer um den Bioholzofenbäcker Helmut Gragger. Jeder, auch die Frau mit dem Gipsfuß, möchte im Slowfood-Workshop lernen, Semmeln zu schlagen, Mohnstriezeln zu flechten oder Salzstangerln zu rollen. Dafür steht die Gruppe stundenlang in der kleinen Backstube in der Wiener Spiegelgasse und knetet, formt, pinselt und schwitzt – still und glücklich.

Die Teilnehmer sind allesamt keine Neulinge, jeder von ihnen bäckt regelmäßig Brot. Die meisten ziehen ihren Sauerteig, füttern und pflegen ihn – und manche haben sogar schon einen eigenen Holzbackofen im Garten aufgebaut.

Warum tun sich berufstätige, vielbeschäftigte Menschen diese Arbeit an? Einer der Gründe ist sicherlich, dass es schwierig ist, gutes Brot zu kaufen. Nicht überall ist der Bioholzofenbäcker vor Ort. Die labbrigen tiefgekühlten Teiglinge, die in diversen Supermarktbackshops aufgebacken und als frisches Brot angeboten werden, schmecken vielen Menschen ganz einfach nicht.

Oft ist auch eine Gluten- oder Hefeunverträglichkeit der Grund dafür, selber zu backen, und natürlich gibt es auch eine nicht unbeträchtlich große Gruppe, der es ganz einfach Spaß macht. Die Lust hat am Experimentieren mit verschiedenen Mehlen, Germ oder Sauerteig, hand- oder maschinengeknetet, am Stein oder im Topf gebacken.

Foto: Helga gartner

Gutes Brot braucht Zeit

Wer sich einmal an den Geschmack von richtig gutem Brot gewöhnt hat, für den gibt es kein Zurück zur billigen Massenware.

Die wichtigste Zutat, um gutes Brot zu backen, ist Zeit. Schon der Sauerteig braucht, um seine volle Triebkraft zu erlangen, vor jedem Backen einige Stunden in wohliger Wärme. Der Brotteig muss geknetet, gedehnt und gefaltet werden, damit das Brot viel Volumen und Lockerheit bekommt.

Eine weitere wichtige Zutat ist das richtige Mehl. Davon hängt auch wieder ab, wie viel Wasser – die dritte wichtige Zutat – benötigt wird. Für den Geschmack ist Salz entscheidend. Roggenbrote bekommen durch traditionelle Brotgewürze, wie Anis, Kardamom, Fenchel oder Kümmel ihren typischen Geschmack.

Sobald alle Zutaten vermischt sind, braucht der Teig nochmals Zeit, um zu gehen, dabei werden die im Mehl enthaltenen Inhaltsstoffe aufgeschlossen, die dem Brot dann sein würziges Aroma geben, es bekömmlich und länger haltbar machen.

Es kann also schon ein ganzer Tag ins Land ziehen, bis am Abend ein unvergleichlicher Duft nach frischgebackenem Brot durch die Küche zieht. Dann haben sich die Mühe und die Sorgfalt endlich gelohnt.

Foto: Helga Gartner

Am Anfang bleiben trotzdem viele Fragen offen. Wer im Internet nach "Brot selber backen" sucht, kommt sehr schnell auf den "Plötzblog". Lutz Geißler führt diesen seit sechs Jahren und gilt als der Experte für DIY-Brotbäcker (siehe auch Buchtipp). Über eine Million Aufrufe verzeichnet der gelernte Geologe pro Monat. Dabei kam er ganz zufällig zum Brotbacken – "um etwas mit den Händen zu tun und den Kopf freizubekommen", wie er sagt. Jetzt ist es sein Beruf geworden. Mindesten zwei Stunden am Tag verbringt Lutz vor dem Bildschirm, um seine Blogfans mit guten Ratschlägen und geduldigen Antworten zu unterstützen. Wie etwa eine Frau, die unbedingt Toastbrot backen will, das genau so schmeckt wie das abgepackte aus dem Supermarkt. Nun, nicht jedem kann geholfen werden.

Seine Expertise ist auch bei Bäckern und Restaurants gefragt, für die er neue Brotrezepte entwickelt. Er veranstaltet regelmäßige Brotbackkurse in Berlin und für private Gruppen und Firmen im deutschsprachigem Raum.

In Insiderkreisen sind Geißlers "Alm-Brot-Kurse" auf Roswitha Hubers Kalchkendlalm in Rauris besonders gefragt und trotz der stattlichen Teilnahmegebühr von fast 1.000 Euro für eine Woche binnen kürzester Zeit ausgebucht.

Sauerteig für Selberbäcker

Auch der Waldviertler Wegbereiter für das neue Brotbewußtsein Josef Weghaupt greift den Trend zum selbstgebackenen Brot auf. Er bietet in seiner neuen Zweigstelle in der Obkirchergasse 37 Sauerteig aus der eigenen Bäckerei, Bioweizen- und Bioroggenmehl von der Kittel-Mühle und das Rezept für ein "No-Knead-Bread" an. Bei dieser – ursprünglich von Jim Lahey propagierten – Methode entfällt das Teigkneten und das Brot gewinnt seinen guten Geschmack durch eine lange Teigruhe. Gebacken wird im Topf, das ist auch für Einsteiger ein garantiertes Erfolgserlebnis.

Für Brotback-Einsteiger empfehlenswert: Backen im Topf.
Foto: Helga Gartner

Auch die Müller merken den Trend zum Selberbacken. "Wir führen viele alte Getreidesorten in Bioqualität und in den letzten Jahren ist der Ab-Mühle-Verkauf ständig gewachsen", beobachtet Monika Rosenfellner von der gleichnamigen Mühle in Niederösterreich. Ebenso die Knoll-Mühle, die angespornt durch eine Zusammenarbeit mit der Guerilla-Bakery ihr Mehl auch vermehrt an den Endverbraucher verkaufen möchte.

Brot als Kulturgut

In Ottakring nahm eine Archäologen-Freundesgruppe das dem Thema Ernährung gewidmete Programm der Kulturinitiative SoHo zum Anlass, um über die Errichtung eines historischen, mittelalterlichen Lehmbackofens auf dem Matteotti-Platz laut nachzudenken. Der Plan sieht vor, diesen regelmäßig zu befeuern und gemeinsam Brot zu backen.

Die schwedischen Bäcker Charlotta und David Zetterström bieten sogar ein "Hotel für Sauerteig" an. Hier wird das heikle Stück regelmäßig gefüttert und bei der richtigen Temperatur aufbewahrt, bis die Sauerteighalter wieder zurück sind.

All diese Intiativen zeigen, dass viele Menschen unzufrieden sind mit der stereotypen Backmischungsmassenware und aktiv werden. Oder wie es Lutz Geißler sagt: "Wenn die Bäcker wieder gutes Brot backen, dann kann ich aufhören, selber zu backen." (Helga Gartner, RONDO, 17.10.2015)

No-Knead-Bread im Topf gebacken.
Foto: Helga Gartner

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