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Die Pubertät stellt nicht nur Jugendliche vor neue Herausforderungen – auch für Eltern ist diese Zeit besonders nervenaufreibend.

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Bei Kinderstar Shirley Temple war die Kindheit ein Wettlauf gegen die Zeit. Mit 14 Jahren war sie als Kassenfüller für die Produktionsfirma 20th Century Fox nutzlos geworden.

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Mädchen in der Volksschule, die sich schminken wollen, Buben, die heimlich Pornos konsumieren. Ist hier nur die Rede von früh pubertierenden Kindern, oder tritt die Pubertät inzwischen tatsächlich eher ein als noch vor fünfzig Jahren? Ist diese Entwicklungsphase folglich bei Frühzündern auch schneller vorbei? Und weshalb neigen Jugendliche bereits zu stereotypen Verhaltensmustern?

Pubertät kommt früher

Der Reihe nach: Ja, die Pubertät beginnt in der Tat immer früher. In den letzten Jahren ging das Alter von Mädchen, die pubertätsbedingt äußerliche Veränderungen durchlaufen, zurück. Dänische Forscher und Forscherinnen fanden heraus, dass der Beginn des Brustwachstums von Mädchen seit den 90er-Jahren um ein Jahr früher und damit vor dem zehnten Geburtstag einsetzt. Dieser Prozess zeichnet sich schon länger ab: Während 1850 Mädchen in Europa mit durchschnittlich 16 Jahren menstruiert haben, setzt die Regelblutung nun im Schnitt mit 12 Jahren ein.

Umwelteinflüsse verantwortlich

Hauptauslöser für die rasche körperliche Entwicklung ist das kontinuierliche Angebot an Nahrung, Vitaminen und Nährstoffen. "Ebenso tragen Umweltgifte wie Pestizide zur früheren Geschlechtsreife bei, da sie eine hormonähnliche Struktur haben", sagt die Gynäkologin und Psychotherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger. Auch psychologische Aspekte haben einen Einfluss: "Wir leben in einer übersexualisierten Zeit, die beständig das Thema Sexualität letztlich schon im Kleinkindalter aufwirft."

Auch Gerald Brandtner, ehemaliger Jugendleiter eines Jugendzentrums bestätigt: "Kinder begreifen sich selbst nach der Volksschule schon als Jugendliche. Sie möchten immer früher erwachsen sein." Das stelle Eltern vor neue Herausforderungen, die derart fordernd seien, dass Brandtner die Kursreihe "Achtung, mein Kind pubertiert" ins Leben gerufen hat. An drei Abenden sollen Eltern dabei in ihrer Erziehung gestärkt werden. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen berichten von vorpubertären Verhaltensweisen ihres Kindes, die teilweise erst zehn Jahre alt sind. "Sie haben das Gefühl, dass sich das Kind über Nacht völlig verändert hat. Daraus resultierend haben Eltern Schwierigkeiten im Umgang mit ihrem Kind", sagt Brandtner.

Benchmark der Gesellschaft

Ein Trend, den Leibovici-Mühlberger beobachtet, ist, dass sich Mädchen bereits gegen Ende der Volksschulzeit zunehmend Gedanken über ihr Äußeres machen. Obwohl die sekundären Geschlechtsmerkmale meistens noch gar nicht ausgebildet seien, käme das Thema der Geschlechterrolle sehr früh auf. Als Grund ortet Leibovici-Mühlberger erneut die Übersexualisierung der Gesellschaft. Denn auch wenn die Mädchen körperlich oder psychisch noch gar nicht so weit sind, beginnen sie sich schon wie Jugendliche zu verhalten.

Vielen Mädchen sind die äußerlichen Veränderungen unangenehm. Hand in Hand mit dem Beginn der Pubertät geht eine Gewichtszunahme, da der Körper für die weitere Entwicklung einen gewissen Fettgehalt im Körper benötigt. "Heute gibt es bei jungen Mädchen ein ganz starkes Verständnis für die gesellschaftlich erwünschten Körpernormen und sie fühlen sich schlecht, wenn sie zunehmen. Die Kinder erleben ihre Körperlichkeit als Benchmark zur Gesellschaft schon sehr bewusst", sagt Leibovici-Mühlberger, Gründerin der ARGE Erziehungsberatung in Wien. Die gesellschaftlichen Einflüsse geben klare Normierungsvorstellung von Äußerlichkeiten vor, die Jugendlichen großen Druck bereiten. Als die heutige 57-jährige Psychotherapeutin noch ein Kind war, sei das Gewicht von Kindern noch kein Thema gewesen: " Ein Kind war einfach ein Kind." Ihre jüngste Anorexiepatientin besucht noch die Volksschule.

Impulse, Normen, Ansprüche

Auch Brandtner ortet Veränderungen. In seinen Kursen würden Eltern andere Themen als vor einigen Jahren aufbringen. Vor allem das Internet stelle für Eltern eine große Problematik dar: "Angefangen mit Onlinespielen bis zu Smartphones und Sozialen Netzwerken haben die Eltern viele Fragen. Leibovici-Mühlberger sieht durch das Internet eine massivere Verbreitung von Gesellschaftsnormen: "Neue Medien haben einen großen Effekt für das eigene Wertebild des jungen Menschen. Es kommen viele Impulse, Normen und Ansprüche, die natürlich nicht im Sinne des Kindes, sondern im Sinne einer Industrie und einer Kommerzialisierung sind."

Trotz dieser neuen Herausforderungen kämen viele Eltern noch wegen der klassischen Reibungspunkte in den Kurs von Brandtner. "Die Ausgehzeiten und der Konsum von Alkohol sind nach wie vor die häufigsten Konfliktpunkte, daran hat sich wenig geändert." Wohingegen das Thema Drogen keine große Rolle mehr spiele, meint Brandtner, der auch in der Suchtberatung tätig ist.

Wegen Umbaus geschlossen

Besonders kräfteraubend für Eltern ist die Dauer der Pubertät, denn nur weil Kinder sich körperlich früher entwickeln, heißt das nicht, dass Jugendliche eher erwachsen werden. Die Pubertät stellt nicht nur einen Umbauprozess der Körperhülle dar. "Der kognitive Entwicklungsprozess der Hirnarchitektur, also das planerische und langfristige Denken, das Abschätzen von Risiko und Konsequenzen, kann bis zum 24. Lebensjahr dauern," sagt Leibovici-Mühlberger. Folglich befinden sich die Jugendlichen wesentlich länger in der Pubertät. "Die Umbauprozesse brauchen Zeit, das läuft in unterschiedlichen Wellen. Sonst müsste man den Jugendlichen ja in eine Ecke stellen und sagen: Wegen Umbaus geschlossen", schlussfolgert die Gynäkologin.

Für Eltern kann es schwierig sein, mit dem plötzlich anderen Verhalten des Kindes umzugehen, weiß Brandtner, der das Dilemma von seinen Töchtern nur zu gut kennt. In seiner Kursreihe kämen regelmäßig Eltern, die am Limit seien. Frei nach dem dänischer Familientherapeuten Jesper Juul rät er Eltern, die Konflikte und Provokationen ihrer Kinder nicht persönlich zu nehmen: "Denn alles, was Kinder in der Pubertät tun, machen sie für sich – und nicht gegen die Erwachsenen." (Sophie-Kristin Hausberger, 22.10.2015)